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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Funfzehntes Capitel.
wies, was jedermann wußte, es sey hier nur ein zwie-
faches Verfahren möglich: die Regierung müsse dem Preß-
vergehen entweder zuvorkommen, das geschehe durch ein
Polizeygesetz (Censur), oder sie müsse das begangene Ver-
brechen hintennach bestrafen, das geschehe durch ein Straf-
gesetz (Preßgesetz und wahrscheinlich Preßgericht). Gentz
erklärt ein gutes Preßgesetz für unmöglich, weil die Eng-
länder es noch zu keiner stringenten Definition des Wor-
tes Libell gebracht haben, und weil hier nicht bloß That
und Absicht, wie sonst bei Vergehungen, sondern vor-
nehmlich die Tendenz (er übersetzt es Wirkung) einer
Schrift entscheidet. Das Resultat ist: es hänge, auch wo
ein Preßgesetz besteht, am Ende doch Alles von der Will-
kühr der Richter ab und die Frage sey also bloß, ob man
einen Censor vor der That, oder nach der That will.
Es sey aber einem gewöhnlichen Gerichtshofe gar nicht ein-
mahl zuzumuthen, daß er, bei der Schwierigkeit Preßver-
gehen zu ergründen und der nothwendigen Unvollkommen-
heit der Gesetzgebung sich mit seinen Aussprüchen in das
Gewoge der Partheien stürze, das geringste Übel sey im-
mer noch, es, wo eine Volks-Jury eingerichtet ist, dieser
zu überlassen, wiewohl deren Aussprüche ganz willkührlich
und der Preßunfug in England (es war gerade derzeit in
leidenschaftlicher Aufregung gegen das Castlereaghsche Mini-
sterium) unerträglich, ein Gift für öffentliches und Pri-
vat-Leben; denn nur durch Selbstsucht und Leidenschaft
werde die Englische Presse regiert. Hiebei bleibt denn
freilich unerörtert, was im Drange Napoleonischer Zeit aus
Europa geworden wäre, wäre England zum Censur-Volke
herabgesunken; gewiß aber war Friedrich Gentz den Be-
weis nun schuldig, wie sich denn auf dem Wege der Cen-
sur die Willkühr entfernen und der freie Gedankenverkehr

Funfzehntes Capitel.
wies, was jedermann wußte, es ſey hier nur ein zwie-
faches Verfahren moͤglich: die Regierung muͤſſe dem Preß-
vergehen entweder zuvorkommen, das geſchehe durch ein
Polizeygeſetz (Cenſur), oder ſie muͤſſe das begangene Ver-
brechen hintennach beſtrafen, das geſchehe durch ein Straf-
geſetz (Preßgeſetz und wahrſcheinlich Preßgericht). Gentz
erklaͤrt ein gutes Preßgeſetz fuͤr unmoͤglich, weil die Eng-
laͤnder es noch zu keiner ſtringenten Definition des Wor-
tes Libell gebracht haben, und weil hier nicht bloß That
und Abſicht, wie ſonſt bei Vergehungen, ſondern vor-
nehmlich die Tendenz (er uͤberſetzt es Wirkung) einer
Schrift entſcheidet. Das Reſultat iſt: es haͤnge, auch wo
ein Preßgeſetz beſteht, am Ende doch Alles von der Will-
kuͤhr der Richter ab und die Frage ſey alſo bloß, ob man
einen Cenſor vor der That, oder nach der That will.
Es ſey aber einem gewoͤhnlichen Gerichtshofe gar nicht ein-
mahl zuzumuthen, daß er, bei der Schwierigkeit Preßver-
gehen zu ergruͤnden und der nothwendigen Unvollkommen-
heit der Geſetzgebung ſich mit ſeinen Ausſpruͤchen in das
Gewoge der Partheien ſtuͤrze, das geringſte Übel ſey im-
mer noch, es, wo eine Volks-Jury eingerichtet iſt, dieſer
zu uͤberlaſſen, wiewohl deren Ausſpruͤche ganz willkuͤhrlich
und der Preßunfug in England (es war gerade derzeit in
leidenſchaftlicher Aufregung gegen das Caſtlereaghſche Mini-
ſterium) unertraͤglich, ein Gift fuͤr oͤffentliches und Pri-
vat-Leben; denn nur durch Selbſtſucht und Leidenſchaft
werde die Engliſche Preſſe regiert. Hiebei bleibt denn
freilich uneroͤrtert, was im Drange Napoleoniſcher Zeit aus
Europa geworden waͤre, waͤre England zum Cenſur-Volke
herabgeſunken; gewiß aber war Friedrich Gentz den Be-
weis nun ſchuldig, wie ſich denn auf dem Wege der Cen-
ſur die Willkuͤhr entfernen und der freie Gedankenverkehr

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[306/0318] Funfzehntes Capitel. wies, was jedermann wußte, es ſey hier nur ein zwie- faches Verfahren moͤglich: die Regierung muͤſſe dem Preß- vergehen entweder zuvorkommen, das geſchehe durch ein Polizeygeſetz (Cenſur), oder ſie muͤſſe das begangene Ver- brechen hintennach beſtrafen, das geſchehe durch ein Straf- geſetz (Preßgeſetz und wahrſcheinlich Preßgericht). Gentz erklaͤrt ein gutes Preßgeſetz fuͤr unmoͤglich, weil die Eng- laͤnder es noch zu keiner ſtringenten Definition des Wor- tes Libell gebracht haben, und weil hier nicht bloß That und Abſicht, wie ſonſt bei Vergehungen, ſondern vor- nehmlich die Tendenz (er uͤberſetzt es Wirkung) einer Schrift entſcheidet. Das Reſultat iſt: es haͤnge, auch wo ein Preßgeſetz beſteht, am Ende doch Alles von der Will- kuͤhr der Richter ab und die Frage ſey alſo bloß, ob man einen Cenſor vor der That, oder nach der That will. Es ſey aber einem gewoͤhnlichen Gerichtshofe gar nicht ein- mahl zuzumuthen, daß er, bei der Schwierigkeit Preßver- gehen zu ergruͤnden und der nothwendigen Unvollkommen- heit der Geſetzgebung ſich mit ſeinen Ausſpruͤchen in das Gewoge der Partheien ſtuͤrze, das geringſte Übel ſey im- mer noch, es, wo eine Volks-Jury eingerichtet iſt, dieſer zu uͤberlaſſen, wiewohl deren Ausſpruͤche ganz willkuͤhrlich und der Preßunfug in England (es war gerade derzeit in leidenſchaftlicher Aufregung gegen das Caſtlereaghſche Mini- ſterium) unertraͤglich, ein Gift fuͤr oͤffentliches und Pri- vat-Leben; denn nur durch Selbſtſucht und Leidenſchaft werde die Engliſche Preſſe regiert. Hiebei bleibt denn freilich uneroͤrtert, was im Drange Napoleoniſcher Zeit aus Europa geworden waͤre, waͤre England zum Cenſur-Volke herabgeſunken; gewiß aber war Friedrich Gentz den Be- weis nun ſchuldig, wie ſich denn auf dem Wege der Cen- ſur die Willkuͤhr entfernen und der freie Gedankenverkehr

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/318>, abgerufen am 23.11.2024.