Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierzehntes Capitel.
den Vice-Rector (Prorector) zu wählen, der nach der
Ordnung der Facultäten gewählt ward, außer wo, wie in
Tübingen, die philosophische Facultät noch in tiefer Her-
abwürdigung unter den andern stand. Der Senat übte
bei Vacanzen das Recht der Vocation, aber der Landes-
fürst als Rector confirmirte, hatte also ein Veto bei der
nicht auf Lebenszeit, sondern nach gewissen Prüfungen auf
Aufkündigung oder etwa auf zehn Jahre gegebenen Anstel-
lung. Das Recht der Vocation pflanzte in jeder Univer-
sität einen gewissen unveränderlichen Typus fort, ge-
wöhnlich zugleich einen polemischen Gegensatz gegen
eine oder die andere Universität; die Lehrer für sich und
wieder Lehrer und Schüler bilden ein Ganzes des Glau-
bens und der Überzeugung. An Erschütterungen freilich
fehlte es auch nicht, wenn etwa ein calvinistisch gesinnter
Fürst an die Stelle eines Fürsten der Concordienformel trat.
Das Recht der Landstandschaft der Corporationen ging aus
ihrem großen Grundbesitze, nicht aus Würdigung ihrer
Intelligenz hervor. Dieser Grundbesitz knüpfte mannig-
fache Verwaltungssorgen an die übrigen Pflichten der aka-
demischen Behörden.

Die Lage der Studirenden würde man heutiges Tages
nicht beneidenswerth finden. Zwar keine einengende Col-
legien-Ordnung im Französischen und Englischen Sinne,
jedem Studirenden blieb die freie Wahl seiner Wohnung,
und wenn Viele in Privat-Convictorien lebten, welche
einzelne Professoren hielten, und somit unter deren ent-
schiedener Aufsicht standen, so ging das aus freier Wahl
hervor; aber häufige Prüfungen in den Vorlesungen fan-
den statt, daneben die Disputatorien, derzeit als unerläß-
licher noch als die Duelle betrachtet, die noch immer geringe
Zahl der Bücher, so Vieles, wozu der Lehrer allein den

Vierzehntes Capitel.
den Vice-Rector (Prorector) zu waͤhlen, der nach der
Ordnung der Facultaͤten gewaͤhlt ward, außer wo, wie in
Tuͤbingen, die philoſophiſche Facultaͤt noch in tiefer Her-
abwuͤrdigung unter den andern ſtand. Der Senat uͤbte
bei Vacanzen das Recht der Vocation, aber der Landes-
fuͤrſt als Rector confirmirte, hatte alſo ein Veto bei der
nicht auf Lebenszeit, ſondern nach gewiſſen Pruͤfungen auf
Aufkuͤndigung oder etwa auf zehn Jahre gegebenen Anſtel-
lung. Das Recht der Vocation pflanzte in jeder Univer-
ſitaͤt einen gewiſſen unveraͤnderlichen Typus fort, ge-
woͤhnlich zugleich einen polemiſchen Gegenſatz gegen
eine oder die andere Univerſitaͤt; die Lehrer fuͤr ſich und
wieder Lehrer und Schuͤler bilden ein Ganzes des Glau-
bens und der Überzeugung. An Erſchuͤtterungen freilich
fehlte es auch nicht, wenn etwa ein calviniſtiſch geſinnter
Fuͤrſt an die Stelle eines Fuͤrſten der Concordienformel trat.
Das Recht der Landſtandſchaft der Corporationen ging aus
ihrem großen Grundbeſitze, nicht aus Wuͤrdigung ihrer
Intelligenz hervor. Dieſer Grundbeſitz knuͤpfte mannig-
fache Verwaltungsſorgen an die uͤbrigen Pflichten der aka-
demiſchen Behoͤrden.

Die Lage der Studirenden wuͤrde man heutiges Tages
nicht beneidenswerth finden. Zwar keine einengende Col-
legien-Ordnung im Franzoͤſiſchen und Engliſchen Sinne,
jedem Studirenden blieb die freie Wahl ſeiner Wohnung,
und wenn Viele in Privat-Convictorien lebten, welche
einzelne Profeſſoren hielten, und ſomit unter deren ent-
ſchiedener Aufſicht ſtanden, ſo ging das aus freier Wahl
hervor; aber haͤufige Pruͤfungen in den Vorleſungen fan-
den ſtatt, daneben die Disputatorien, derzeit als unerlaͤß-
licher noch als die Duelle betrachtet, die noch immer geringe
Zahl der Buͤcher, ſo Vieles, wozu der Lehrer allein den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0296" n="284"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vierzehntes Capitel</hi>.</fw><lb/>
den Vice-Rector (Prorector) zu wa&#x0364;hlen, der nach der<lb/>
Ordnung der Faculta&#x0364;ten gewa&#x0364;hlt ward, außer wo, wie in<lb/>
Tu&#x0364;bingen, die philo&#x017F;ophi&#x017F;che Faculta&#x0364;t noch in tiefer Her-<lb/>
abwu&#x0364;rdigung unter den andern &#x017F;tand. Der Senat u&#x0364;bte<lb/>
bei Vacanzen das Recht der Vocation, aber der Landes-<lb/>
fu&#x0364;r&#x017F;t als Rector confirmirte, hatte al&#x017F;o ein Veto bei der<lb/>
nicht auf Lebenszeit, &#x017F;ondern nach gewi&#x017F;&#x017F;en Pru&#x0364;fungen auf<lb/>
Aufku&#x0364;ndigung oder etwa auf zehn Jahre gegebenen An&#x017F;tel-<lb/>
lung. Das Recht der Vocation pflanzte in jeder Univer-<lb/>
&#x017F;ita&#x0364;t einen gewi&#x017F;&#x017F;en unvera&#x0364;nderlichen Typus fort, ge-<lb/>
wo&#x0364;hnlich zugleich einen polemi&#x017F;chen Gegen&#x017F;atz gegen<lb/>
eine oder die andere Univer&#x017F;ita&#x0364;t; die Lehrer fu&#x0364;r &#x017F;ich und<lb/>
wieder Lehrer und Schu&#x0364;ler bilden ein Ganzes des Glau-<lb/>
bens und der Überzeugung. An Er&#x017F;chu&#x0364;tterungen freilich<lb/>
fehlte es auch nicht, wenn etwa ein calvini&#x017F;ti&#x017F;ch ge&#x017F;innter<lb/>
Fu&#x0364;r&#x017F;t an die Stelle eines Fu&#x0364;r&#x017F;ten der Concordienformel trat.<lb/>
Das Recht der Land&#x017F;tand&#x017F;chaft der Corporationen ging aus<lb/>
ihrem großen Grundbe&#x017F;itze, nicht aus Wu&#x0364;rdigung ihrer<lb/>
Intelligenz hervor. Die&#x017F;er Grundbe&#x017F;itz knu&#x0364;pfte mannig-<lb/>
fache Verwaltungs&#x017F;orgen an die u&#x0364;brigen Pflichten der aka-<lb/>
demi&#x017F;chen Beho&#x0364;rden.</p><lb/>
                <p>Die Lage der Studirenden wu&#x0364;rde man heutiges Tages<lb/>
nicht beneidenswerth finden. Zwar keine einengende Col-<lb/>
legien-Ordnung im Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen und Engli&#x017F;chen Sinne,<lb/>
jedem Studirenden blieb die freie Wahl &#x017F;einer Wohnung,<lb/>
und wenn Viele in Privat-Convictorien lebten, welche<lb/>
einzelne Profe&#x017F;&#x017F;oren hielten, und &#x017F;omit unter deren ent-<lb/>
&#x017F;chiedener Auf&#x017F;icht &#x017F;tanden, &#x017F;o ging das aus freier Wahl<lb/>
hervor; aber ha&#x0364;ufige Pru&#x0364;fungen in den Vorle&#x017F;ungen fan-<lb/>
den &#x017F;tatt, daneben die Disputatorien, derzeit als unerla&#x0364;ß-<lb/>
licher noch als die Duelle betrachtet, die noch immer geringe<lb/>
Zahl der Bu&#x0364;cher, &#x017F;o Vieles, wozu der Lehrer allein den<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0296] Vierzehntes Capitel. den Vice-Rector (Prorector) zu waͤhlen, der nach der Ordnung der Facultaͤten gewaͤhlt ward, außer wo, wie in Tuͤbingen, die philoſophiſche Facultaͤt noch in tiefer Her- abwuͤrdigung unter den andern ſtand. Der Senat uͤbte bei Vacanzen das Recht der Vocation, aber der Landes- fuͤrſt als Rector confirmirte, hatte alſo ein Veto bei der nicht auf Lebenszeit, ſondern nach gewiſſen Pruͤfungen auf Aufkuͤndigung oder etwa auf zehn Jahre gegebenen Anſtel- lung. Das Recht der Vocation pflanzte in jeder Univer- ſitaͤt einen gewiſſen unveraͤnderlichen Typus fort, ge- woͤhnlich zugleich einen polemiſchen Gegenſatz gegen eine oder die andere Univerſitaͤt; die Lehrer fuͤr ſich und wieder Lehrer und Schuͤler bilden ein Ganzes des Glau- bens und der Überzeugung. An Erſchuͤtterungen freilich fehlte es auch nicht, wenn etwa ein calviniſtiſch geſinnter Fuͤrſt an die Stelle eines Fuͤrſten der Concordienformel trat. Das Recht der Landſtandſchaft der Corporationen ging aus ihrem großen Grundbeſitze, nicht aus Wuͤrdigung ihrer Intelligenz hervor. Dieſer Grundbeſitz knuͤpfte mannig- fache Verwaltungsſorgen an die uͤbrigen Pflichten der aka- demiſchen Behoͤrden. Die Lage der Studirenden wuͤrde man heutiges Tages nicht beneidenswerth finden. Zwar keine einengende Col- legien-Ordnung im Franzoͤſiſchen und Engliſchen Sinne, jedem Studirenden blieb die freie Wahl ſeiner Wohnung, und wenn Viele in Privat-Convictorien lebten, welche einzelne Profeſſoren hielten, und ſomit unter deren ent- ſchiedener Aufſicht ſtanden, ſo ging das aus freier Wahl hervor; aber haͤufige Pruͤfungen in den Vorleſungen fan- den ſtatt, daneben die Disputatorien, derzeit als unerlaͤß- licher noch als die Duelle betrachtet, die noch immer geringe Zahl der Buͤcher, ſo Vieles, wozu der Lehrer allein den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/296
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/296>, abgerufen am 26.11.2024.