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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Vom Universitätswesen.

276. Die Reformation ging in der Fortbildung der
hohen Schulen ihren sicheren Weg, aber nicht so rasch als
man gewöhnlich annimmt. Gar manche alte Gewohnheit
blieb hängen. Erst Christian Thomasius verdrängte die
Lateinische Sprache vollends von den Kathedern und es
brauchte Zeit ehe die große Umgestaltung der Kirchengeschichte,
mit rückwirkender Kraft vollführt, aber durch wie unchrist-
liche Leidenschaften verspätet! bis zur politischen Darstel-
lung durchdrang. Die erste Stelle im kirchlichen Staate
nahm jetzt der protestantische Landesfürst ein, allein dieser
Zuwachs fürstlicher Macht kündete für die Universitäten eine
große Umgestaltung mehr in der Ferne an als daß sie
schon in Erfüllung getreten wäre. Die theologische Facul-
tät bleibt nach wie vor die Grundlage der Deutschen Uni-
versitäten, sie übt eine Art von Aufsichtsrecht über das
Ganze. Die Professoren aller Facultäten wurden in Helm-
städt auf die protestantischen Bekenntnißschriften, auch auf
die Concordienformel vereidigt; hiezu kam, damit es an
einer Norm der Lehre nirgend fehle, die besondere Ver-
pflichtung der Mediciner auf Hippokrates, Galenus und
Avicenna als göttliche Lehrer, der Philosophen auf Aristo-
teles und Melanchthon. Das Vier-Monarchien-System
des Magisters Carion, auf Melanchthons Autorität gestützt,
ließ nicht ab von der Universalhistorie, und wie eifersüchtig
ward der Kampf gegen die wachsende Macht der Humani-
sten geführt, die doch in alle Wege in den Bahnen der
Reformation lag! Was eben Ambos war, wird Hammer.
Wollte man doch im protestantischen Tübingen lange Zeit
den Professoren der Philosophie die Ehe verbieten!

Die Corporationsrechte blieben stark, nur daß der
Landesherr, indem er sich selbst als Rector aufstellte, eine
entschiedene Stellung nahm. Die Universität hatte bloß

Vom Univerſitaͤtsweſen.

276. Die Reformation ging in der Fortbildung der
hohen Schulen ihren ſicheren Weg, aber nicht ſo raſch als
man gewoͤhnlich annimmt. Gar manche alte Gewohnheit
blieb haͤngen. Erſt Chriſtian Thomaſius verdraͤngte die
Lateiniſche Sprache vollends von den Kathedern und es
brauchte Zeit ehe die große Umgeſtaltung der Kirchengeſchichte,
mit ruͤckwirkender Kraft vollfuͤhrt, aber durch wie unchriſt-
liche Leidenſchaften verſpaͤtet! bis zur politiſchen Darſtel-
lung durchdrang. Die erſte Stelle im kirchlichen Staate
nahm jetzt der proteſtantiſche Landesfuͤrſt ein, allein dieſer
Zuwachs fuͤrſtlicher Macht kuͤndete fuͤr die Univerſitaͤten eine
große Umgeſtaltung mehr in der Ferne an als daß ſie
ſchon in Erfuͤllung getreten waͤre. Die theologiſche Facul-
taͤt bleibt nach wie vor die Grundlage der Deutſchen Uni-
verſitaͤten, ſie uͤbt eine Art von Aufſichtsrecht uͤber das
Ganze. Die Profeſſoren aller Facultaͤten wurden in Helm-
ſtaͤdt auf die proteſtantiſchen Bekenntnißſchriften, auch auf
die Concordienformel vereidigt; hiezu kam, damit es an
einer Norm der Lehre nirgend fehle, die beſondere Ver-
pflichtung der Mediciner auf Hippokrates, Galenus und
Avicenna als goͤttliche Lehrer, der Philoſophen auf Ariſto-
teles und Melanchthon. Das Vier-Monarchien-Syſtem
des Magiſters Carion, auf Melanchthons Autoritaͤt geſtuͤtzt,
ließ nicht ab von der Univerſalhiſtorie, und wie eiferſuͤchtig
ward der Kampf gegen die wachſende Macht der Humani-
ſten gefuͤhrt, die doch in alle Wege in den Bahnen der
Reformation lag! Was eben Ambos war, wird Hammer.
Wollte man doch im proteſtantiſchen Tuͤbingen lange Zeit
den Profeſſoren der Philoſophie die Ehe verbieten!

Die Corporationsrechte blieben ſtark, nur daß der
Landesherr, indem er ſich ſelbſt als Rector aufſtellte, eine
entſchiedene Stellung nahm. Die Univerſitaͤt hatte bloß

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[283/0295] Vom Univerſitaͤtsweſen. 276. Die Reformation ging in der Fortbildung der hohen Schulen ihren ſicheren Weg, aber nicht ſo raſch als man gewoͤhnlich annimmt. Gar manche alte Gewohnheit blieb haͤngen. Erſt Chriſtian Thomaſius verdraͤngte die Lateiniſche Sprache vollends von den Kathedern und es brauchte Zeit ehe die große Umgeſtaltung der Kirchengeſchichte, mit ruͤckwirkender Kraft vollfuͤhrt, aber durch wie unchriſt- liche Leidenſchaften verſpaͤtet! bis zur politiſchen Darſtel- lung durchdrang. Die erſte Stelle im kirchlichen Staate nahm jetzt der proteſtantiſche Landesfuͤrſt ein, allein dieſer Zuwachs fuͤrſtlicher Macht kuͤndete fuͤr die Univerſitaͤten eine große Umgeſtaltung mehr in der Ferne an als daß ſie ſchon in Erfuͤllung getreten waͤre. Die theologiſche Facul- taͤt bleibt nach wie vor die Grundlage der Deutſchen Uni- verſitaͤten, ſie uͤbt eine Art von Aufſichtsrecht uͤber das Ganze. Die Profeſſoren aller Facultaͤten wurden in Helm- ſtaͤdt auf die proteſtantiſchen Bekenntnißſchriften, auch auf die Concordienformel vereidigt; hiezu kam, damit es an einer Norm der Lehre nirgend fehle, die beſondere Ver- pflichtung der Mediciner auf Hippokrates, Galenus und Avicenna als goͤttliche Lehrer, der Philoſophen auf Ariſto- teles und Melanchthon. Das Vier-Monarchien-Syſtem des Magiſters Carion, auf Melanchthons Autoritaͤt geſtuͤtzt, ließ nicht ab von der Univerſalhiſtorie, und wie eiferſuͤchtig ward der Kampf gegen die wachſende Macht der Humani- ſten gefuͤhrt, die doch in alle Wege in den Bahnen der Reformation lag! Was eben Ambos war, wird Hammer. Wollte man doch im proteſtantiſchen Tuͤbingen lange Zeit den Profeſſoren der Philoſophie die Ehe verbieten! Die Corporationsrechte blieben ſtark, nur daß der Landesherr, indem er ſich ſelbſt als Rector aufſtellte, eine entſchiedene Stellung nahm. Die Univerſitaͤt hatte bloß

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/295>, abgerufen am 22.11.2024.