Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.Vierzehntes Capitel. so frei als die persönliche Autorität der Lehrer, die gebun-dene Art der Lehre, die Nothwendigkeit sich im Disputiren kunstgerecht zu zeigen, es gestattete. Der Muth zu freiem Vollbringen wuchs, als seit der Eroberung von Constan- tinopel jene unversiegbare Quelle der Griechischen Bildung sich für die Deutschen ursprünglicher aufthat, als Androni- kus Kontoblakas in Basel Griechisch lehrte und Reuchlin auf dem in Paris gelegten Grund nun hier und in Tü- bingen weiter bauen konnte. Er brachte seinen Verwand- ten Philipp Melanchthon als Lehrer der Griechischen und Hebräischen Sprache nach Wittenberg. Seit so der Kreis der Wissenschaft sich erweiterte, das Älteste zum Neuesten ward, die Hörsäle der Scholastiker verlassener dastanden, war es besonders wichtig, was nun die Druckerkunst hin- zutretend vollbrachte. Die endlosen Dictate hörten auf nothwendig zu seyn, seit man der Bibel, der Römischen Gesetzbücher wohlfeilen Kaufs habhaft werden konnte und nun der Text-Dictate mindestens nicht bedurfte; auch die Jahre lange, manchmahl bandwurmartige Dauer einer Vor- lesung hörte auf, man las doch nur zwei Jahre an den Institutionen, kam auf ein Jahr, und als Göttingen ge- gründet ward, lautete nach dem neuen Muster der Säch- sischen Universitäten die Vorschrift dahin, jeden Lehrgegen- stand so viel möglich in einem Semester abzuthun1). Das Wichtigste aber hat die Reformation gethan; sie vermehrte die politische Entzweiung unseres Vaterlandes, allein sie gab den Deutschen eine allgemeine Büchersprache und brachte die geistige Wärme dieser Muttersprache auf die von Alters her Lateinisch lehrenden Katheder. Die Universitä- ten hatten es um sie verdient. Die Reformation erwuchs, im Schooße einer Universität genährt, in wenig Jahren zur Mannes-Reife; die Schweitzerische Lehre gedieh nicht Vierzehntes Capitel. ſo frei als die perſoͤnliche Autoritaͤt der Lehrer, die gebun-dene Art der Lehre, die Nothwendigkeit ſich im Disputiren kunſtgerecht zu zeigen, es geſtattete. Der Muth zu freiem Vollbringen wuchs, als ſeit der Eroberung von Conſtan- tinopel jene unverſiegbare Quelle der Griechiſchen Bildung ſich fuͤr die Deutſchen urſpruͤnglicher aufthat, als Androni- kus Kontoblakas in Baſel Griechiſch lehrte und Reuchlin auf dem in Paris gelegten Grund nun hier und in Tuͤ- bingen weiter bauen konnte. Er brachte ſeinen Verwand- ten Philipp Melanchthon als Lehrer der Griechiſchen und Hebraͤiſchen Sprache nach Wittenberg. Seit ſo der Kreis der Wiſſenſchaft ſich erweiterte, das Älteſte zum Neueſten ward, die Hoͤrſaͤle der Scholaſtiker verlaſſener daſtanden, war es beſonders wichtig, was nun die Druckerkunſt hin- zutretend vollbrachte. Die endloſen Dictate hoͤrten auf nothwendig zu ſeyn, ſeit man der Bibel, der Roͤmiſchen Geſetzbuͤcher wohlfeilen Kaufs habhaft werden konnte und nun der Text-Dictate mindeſtens nicht bedurfte; auch die Jahre lange, manchmahl bandwurmartige Dauer einer Vor- leſung hoͤrte auf, man las doch nur zwei Jahre an den Inſtitutionen, kam auf ein Jahr, und als Goͤttingen ge- gruͤndet ward, lautete nach dem neuen Muſter der Saͤch- ſiſchen Univerſitaͤten die Vorſchrift dahin, jeden Lehrgegen- ſtand ſo viel moͤglich in einem Semeſter abzuthun1). Das Wichtigſte aber hat die Reformation gethan; ſie vermehrte die politiſche Entzweiung unſeres Vaterlandes, allein ſie gab den Deutſchen eine allgemeine Buͤcherſprache und brachte die geiſtige Waͤrme dieſer Mutterſprache auf die von Alters her Lateiniſch lehrenden Katheder. Die Univerſitaͤ- ten hatten es um ſie verdient. Die Reformation erwuchs, im Schooße einer Univerſitaͤt genaͤhrt, in wenig Jahren zur Mannes-Reife; die Schweitzeriſche Lehre gedieh nicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0292" n="280"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vierzehntes Capitel</hi>.</fw><lb/> ſo frei als die perſoͤnliche Autoritaͤt der Lehrer, die gebun-<lb/> dene Art der Lehre, die Nothwendigkeit ſich im Disputiren<lb/> kunſtgerecht zu zeigen, es geſtattete. 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Vierzehntes Capitel.
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kunſtgerecht zu zeigen, es geſtattete. Der Muth zu freiem
Vollbringen wuchs, als ſeit der Eroberung von Conſtan-
tinopel jene unverſiegbare Quelle der Griechiſchen Bildung
ſich fuͤr die Deutſchen urſpruͤnglicher aufthat, als Androni-
kus Kontoblakas in Baſel Griechiſch lehrte und Reuchlin
auf dem in Paris gelegten Grund nun hier und in Tuͤ-
bingen weiter bauen konnte. Er brachte ſeinen Verwand-
ten Philipp Melanchthon als Lehrer der Griechiſchen und
Hebraͤiſchen Sprache nach Wittenberg. Seit ſo der Kreis
der Wiſſenſchaft ſich erweiterte, das Älteſte zum Neueſten
ward, die Hoͤrſaͤle der Scholaſtiker verlaſſener daſtanden,
war es beſonders wichtig, was nun die Druckerkunſt hin-
zutretend vollbrachte. Die endloſen Dictate hoͤrten auf
nothwendig zu ſeyn, ſeit man der Bibel, der Roͤmiſchen
Geſetzbuͤcher wohlfeilen Kaufs habhaft werden konnte und
nun der Text-Dictate mindeſtens nicht bedurfte; auch die
Jahre lange, manchmahl bandwurmartige Dauer einer Vor-
leſung hoͤrte auf, man las doch nur zwei Jahre an den
Inſtitutionen, kam auf ein Jahr, und als Goͤttingen ge-
gruͤndet ward, lautete nach dem neuen Muſter der Saͤch-
ſiſchen Univerſitaͤten die Vorſchrift dahin, jeden Lehrgegen-
ſtand ſo viel moͤglich in einem Semeſter abzuthun1). Das
Wichtigſte aber hat die Reformation gethan; ſie vermehrte
die politiſche Entzweiung unſeres Vaterlandes, allein ſie
gab den Deutſchen eine allgemeine Buͤcherſprache und
brachte die geiſtige Waͤrme dieſer Mutterſprache auf die von
Alters her Lateiniſch lehrenden Katheder. Die Univerſitaͤ-
ten hatten es um ſie verdient. Die Reformation erwuchs,
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