Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.Erstes Capitel. schaft umfassen, keinen einzigen einem Monarchen, oderetwa einem Adel abtreten soll; 3) die Unmittelbarkeit, vermöge welcher sie theils von Allen gleichzeitig als Volks- versammlung geübt wird, insoweit die Natur des Geschäfts es gestattet, theils zwar von Einzelnen, aber in einem raschen Wechsel des Herrschens und Beherrscht-Seyns (kata meros arkhon kai arkhomenos) durch verantwortliche Obrigkeiten und durch Richter, beide von beschränkter Amts- Dauer. Aber in diesen Forderungen selber sind auch schon die Gränzen ausgesprochen, welche nicht minder die Natur der zu Beherrschenden als die Natur der Herrschaft der nach Vollendung strebenden Demokratie gesetzt hat. Denn jene stellt ihr Alles entgegen, was die Menschen nothwen- dig ungleich macht, den Geschlechts-Unterschied, der die Menschheit in zwei ungleich berechtigte Hälften theilt, die Stufen des Alters, die jedes Individuum sogar sich selber ungleich machen, Stamm- und Familien-Verfassung, Talent, Bildung, Vermögen, verschiedene Lebensarten; Alles gebieterische Beschaffenheiten, welche nicht als gleich- artige Mengen zusammengezählt, nicht durch den Zufall ausgeloost werden wollen. Die Natur der Herrschaft aber fordert nicht bloß Beschluß und Ausführung, sondern zum Zwecke der Beschlußnahme eine Berathschlagung, welche kein versammeltes Volk vornehmen kann, sobald der Gegen- stand über die einfache Willensmeinung hinausgeht. Darum lehrt die Erfahrung aller Zeiten, daß reine Volksherrschaft nur in einem sehr kleinen und ungebildeten Staate statt hat, solche Volksherrschaft nehmlich, welche die ganze Be- völkerung umfaßt und nicht etwa, wie im alten Hellas und Italien, eine Menge freier Männer ausschließt und unzählige Knechte sich unterbreitet. Denn jene alten De- mokratieen waren, nach menschheitlichem Maaße gemessen, Erſtes Capitel. ſchaft umfaſſen, keinen einzigen einem Monarchen, oderetwa einem Adel abtreten ſoll; 3) die Unmittelbarkeit, vermoͤge welcher ſie theils von Allen gleichzeitig als Volks- verſammlung geuͤbt wird, inſoweit die Natur des Geſchaͤfts es geſtattet, theils zwar von Einzelnen, aber in einem raſchen Wechſel des Herrſchens und Beherrſcht-Seyns (κατὰ μέϱος ἄϱχων καὶ ἀϱχόμενος) durch verantwortliche Obrigkeiten und durch Richter, beide von beſchraͤnkter Amts- Dauer. Aber in dieſen Forderungen ſelber ſind auch ſchon die Graͤnzen ausgeſprochen, welche nicht minder die Natur der zu Beherrſchenden als die Natur der Herrſchaft der nach Vollendung ſtrebenden Demokratie geſetzt hat. Denn jene ſtellt ihr Alles entgegen, was die Menſchen nothwen- dig ungleich macht, den Geſchlechts-Unterſchied, der die Menſchheit in zwei ungleich berechtigte Haͤlften theilt, die Stufen des Alters, die jedes Individuum ſogar ſich ſelber ungleich machen, Stamm- und Familien-Verfaſſung, Talent, Bildung, Vermoͤgen, verſchiedene Lebensarten; Alles gebieteriſche Beſchaffenheiten, welche nicht als gleich- artige Mengen zuſammengezaͤhlt, nicht durch den Zufall ausgeloost werden wollen. Die Natur der Herrſchaft aber fordert nicht bloß Beſchluß und Ausfuͤhrung, ſondern zum Zwecke der Beſchlußnahme eine Berathſchlagung, welche kein verſammeltes Volk vornehmen kann, ſobald der Gegen- ſtand uͤber die einfache Willensmeinung hinausgeht. Darum lehrt die Erfahrung aller Zeiten, daß reine Volksherrſchaft nur in einem ſehr kleinen und ungebildeten Staate ſtatt hat, ſolche Volksherrſchaft nehmlich, welche die ganze Be- voͤlkerung umfaßt und nicht etwa, wie im alten Hellas und Italien, eine Menge freier Maͤnner ausſchließt und unzaͤhlige Knechte ſich unterbreitet. Denn jene alten De- mokratieen waren, nach menſchheitlichem Maaße gemeſſen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0026" n="14"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erſtes Capitel</hi>.</fw><lb/> ſchaft umfaſſen, keinen einzigen einem Monarchen, oder<lb/> etwa einem Adel abtreten ſoll; 3) die <hi rendition="#g">Unmittelbarkeit</hi>,<lb/> vermoͤge welcher ſie theils von Allen gleichzeitig als Volks-<lb/> verſammlung geuͤbt wird, inſoweit die Natur des Geſchaͤfts<lb/> es geſtattet, theils zwar von Einzelnen, aber in einem<lb/> raſchen Wechſel des Herrſchens und Beherrſcht-Seyns<lb/> (κατὰ μέϱος ἄϱχων καὶ ἀϱχόμενος) durch verantwortliche<lb/> Obrigkeiten und durch Richter, beide von beſchraͤnkter Amts-<lb/> Dauer. Aber in dieſen Forderungen ſelber ſind auch ſchon<lb/> die Graͤnzen ausgeſprochen, welche nicht minder die Natur<lb/> der zu Beherrſchenden als die Natur der Herrſchaft der<lb/> nach Vollendung ſtrebenden Demokratie geſetzt hat. Denn<lb/><hi rendition="#g">jene</hi> ſtellt ihr Alles entgegen, was die Menſchen nothwen-<lb/> dig ungleich macht, den Geſchlechts-Unterſchied, der die<lb/> Menſchheit in zwei ungleich berechtigte Haͤlften theilt, die<lb/> Stufen des Alters, die jedes Individuum ſogar ſich ſelber<lb/> ungleich machen, Stamm- und Familien-Verfaſſung,<lb/> Talent, Bildung, Vermoͤgen, verſchiedene Lebensarten;<lb/> Alles gebieteriſche Beſchaffenheiten, welche nicht als gleich-<lb/> artige Mengen zuſammengezaͤhlt, nicht durch den Zufall<lb/> ausgeloost werden wollen. Die Natur der Herrſchaft aber<lb/> fordert nicht bloß Beſchluß und Ausfuͤhrung, ſondern zum<lb/> Zwecke der Beſchlußnahme eine Berathſchlagung, welche<lb/> kein verſammeltes Volk vornehmen kann, ſobald der Gegen-<lb/> ſtand uͤber die einfache Willensmeinung hinausgeht. Darum<lb/> lehrt die Erfahrung aller Zeiten, daß reine Volksherrſchaft<lb/> nur in einem ſehr kleinen und ungebildeten Staate ſtatt<lb/> hat, ſolche Volksherrſchaft nehmlich, welche die ganze Be-<lb/> voͤlkerung umfaßt und nicht etwa, wie im alten Hellas<lb/> und Italien, eine Menge freier Maͤnner ausſchließt und<lb/> unzaͤhlige Knechte ſich unterbreitet. Denn jene alten De-<lb/> mokratieen waren, nach menſchheitlichem Maaße gemeſſen,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [14/0026]
Erſtes Capitel.
ſchaft umfaſſen, keinen einzigen einem Monarchen, oder
etwa einem Adel abtreten ſoll; 3) die Unmittelbarkeit,
vermoͤge welcher ſie theils von Allen gleichzeitig als Volks-
verſammlung geuͤbt wird, inſoweit die Natur des Geſchaͤfts
es geſtattet, theils zwar von Einzelnen, aber in einem
raſchen Wechſel des Herrſchens und Beherrſcht-Seyns
(κατὰ μέϱος ἄϱχων καὶ ἀϱχόμενος) durch verantwortliche
Obrigkeiten und durch Richter, beide von beſchraͤnkter Amts-
Dauer. Aber in dieſen Forderungen ſelber ſind auch ſchon
die Graͤnzen ausgeſprochen, welche nicht minder die Natur
der zu Beherrſchenden als die Natur der Herrſchaft der
nach Vollendung ſtrebenden Demokratie geſetzt hat. Denn
jene ſtellt ihr Alles entgegen, was die Menſchen nothwen-
dig ungleich macht, den Geſchlechts-Unterſchied, der die
Menſchheit in zwei ungleich berechtigte Haͤlften theilt, die
Stufen des Alters, die jedes Individuum ſogar ſich ſelber
ungleich machen, Stamm- und Familien-Verfaſſung,
Talent, Bildung, Vermoͤgen, verſchiedene Lebensarten;
Alles gebieteriſche Beſchaffenheiten, welche nicht als gleich-
artige Mengen zuſammengezaͤhlt, nicht durch den Zufall
ausgeloost werden wollen. Die Natur der Herrſchaft aber
fordert nicht bloß Beſchluß und Ausfuͤhrung, ſondern zum
Zwecke der Beſchlußnahme eine Berathſchlagung, welche
kein verſammeltes Volk vornehmen kann, ſobald der Gegen-
ſtand uͤber die einfache Willensmeinung hinausgeht. Darum
lehrt die Erfahrung aller Zeiten, daß reine Volksherrſchaft
nur in einem ſehr kleinen und ungebildeten Staate ſtatt
hat, ſolche Volksherrſchaft nehmlich, welche die ganze Be-
voͤlkerung umfaßt und nicht etwa, wie im alten Hellas
und Italien, eine Menge freier Maͤnner ausſchließt und
unzaͤhlige Knechte ſich unterbreitet. Denn jene alten De-
mokratieen waren, nach menſchheitlichem Maaße gemeſſen,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |