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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Neuntes Capitel.
Aristokratie (denn nothwendig muß ja der Beste im Staate
nicht vertrieben, nicht getödtet, auch nicht beherrscht werden,
sondern herrschen) als die gewöhnlich so geheißene Aristokra-
tie; die trefflichste Form der Aristokratie aber und darum vor-
zugsweise Politeia zu heißen wäre freilich die dritte, welche
ein sich selbst regierendes Volk darstellt. Sie verspricht
am meisten Beglückung, und die Naturanlage der Griechen,
Muth und Einsicht vereinigend, scheint für diese beste
Verfassung vorzugsweise geeignet (VII, 6.); aber selten
wird der größere Theil des Volks sich als den Besten an-
gehörig verhalten. Das Königthum entspricht am meisten
der Erhaltung; aber freilich das unumschränkte Königthum
(pambasileia) setzt eine schlechte Volksnatur voraus, so
auch ist auf das Erbkönigthum wenig zu bauen, da oft
dem guten Vater ein schlechter Sohn folgt, und überhaupt,
wenn das Volk aus Gleichen und einander Ähnlichen be-
steht, ist das Königthum nicht räthlich, da es gegen die
Natur, daß ein Theil über das Ganze herrsche. Nur ein
Geschlecht, besser als alle übrigen im Volk, ist zum König-
thum berufen.

219. Nun aber neigt die menschliche Natur fortwäh-
rend zu Überschreitungen hin, welche jene drei Gattungen
der Aristokratie zwar der äußeren Form nach darstellen, aber
das Wesen ist verloren. Denn das Beste herrscht nicht in
ihnen und sie sorgen wol etwa für einen Theil des Volks-
Wohles, aber nicht für das Ganze. Als solche Ausartung
tritt dem Königthum die Tyrannis, der Aristokratie die
Oligarchie, der Politeia die Demokratie entgegen. Fragt
es sich daher nach der für die meisten Staaten im Allge-
meinen geeignetsten Verfassung, so ist das diejenige, welche
dem Vermögen die Macht giebt, die aristokratischen und

Neuntes Capitel.
Ariſtokratie (denn nothwendig muß ja der Beſte im Staate
nicht vertrieben, nicht getoͤdtet, auch nicht beherrſcht werden,
ſondern herrſchen) als die gewoͤhnlich ſo geheißene Ariſtokra-
tie; die trefflichſte Form der Ariſtokratie aber und darum vor-
zugsweiſe Politeia zu heißen waͤre freilich die dritte, welche
ein ſich ſelbſt regierendes Volk darſtellt. Sie verſpricht
am meiſten Begluͤckung, und die Naturanlage der Griechen,
Muth und Einſicht vereinigend, ſcheint fuͤr dieſe beſte
Verfaſſung vorzugsweiſe geeignet (VII, 6.); aber ſelten
wird der groͤßere Theil des Volks ſich als den Beſten an-
gehoͤrig verhalten. Das Koͤnigthum entſpricht am meiſten
der Erhaltung; aber freilich das unumſchraͤnkte Koͤnigthum
(παμβασιλεία) ſetzt eine ſchlechte Volksnatur voraus, ſo
auch iſt auf das Erbkoͤnigthum wenig zu bauen, da oft
dem guten Vater ein ſchlechter Sohn folgt, und uͤberhaupt,
wenn das Volk aus Gleichen und einander Ähnlichen be-
ſteht, iſt das Koͤnigthum nicht raͤthlich, da es gegen die
Natur, daß ein Theil uͤber das Ganze herrſche. Nur ein
Geſchlecht, beſſer als alle uͤbrigen im Volk, iſt zum Koͤnig-
thum berufen.

219. Nun aber neigt die menſchliche Natur fortwaͤh-
rend zu Überſchreitungen hin, welche jene drei Gattungen
der Ariſtokratie zwar der aͤußeren Form nach darſtellen, aber
das Weſen iſt verloren. Denn das Beſte herrſcht nicht in
ihnen und ſie ſorgen wol etwa fuͤr einen Theil des Volks-
Wohles, aber nicht fuͤr das Ganze. Als ſolche Ausartung
tritt dem Koͤnigthum die Tyrannis, der Ariſtokratie die
Oligarchie, der Politeia die Demokratie entgegen. Fragt
es ſich daher nach der fuͤr die meiſten Staaten im Allge-
meinen geeignetſten Verfaſſung, ſo iſt das diejenige, welche
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[192/0204] Neuntes Capitel. Ariſtokratie (denn nothwendig muß ja der Beſte im Staate nicht vertrieben, nicht getoͤdtet, auch nicht beherrſcht werden, ſondern herrſchen) als die gewoͤhnlich ſo geheißene Ariſtokra- tie; die trefflichſte Form der Ariſtokratie aber und darum vor- zugsweiſe Politeia zu heißen waͤre freilich die dritte, welche ein ſich ſelbſt regierendes Volk darſtellt. Sie verſpricht am meiſten Begluͤckung, und die Naturanlage der Griechen, Muth und Einſicht vereinigend, ſcheint fuͤr dieſe beſte Verfaſſung vorzugsweiſe geeignet (VII, 6.); aber ſelten wird der groͤßere Theil des Volks ſich als den Beſten an- gehoͤrig verhalten. Das Koͤnigthum entſpricht am meiſten der Erhaltung; aber freilich das unumſchraͤnkte Koͤnigthum (παμβασιλεία) ſetzt eine ſchlechte Volksnatur voraus, ſo auch iſt auf das Erbkoͤnigthum wenig zu bauen, da oft dem guten Vater ein ſchlechter Sohn folgt, und uͤberhaupt, wenn das Volk aus Gleichen und einander Ähnlichen be- ſteht, iſt das Koͤnigthum nicht raͤthlich, da es gegen die Natur, daß ein Theil uͤber das Ganze herrſche. Nur ein Geſchlecht, beſſer als alle uͤbrigen im Volk, iſt zum Koͤnig- thum berufen. 219. Nun aber neigt die menſchliche Natur fortwaͤh- rend zu Überſchreitungen hin, welche jene drei Gattungen der Ariſtokratie zwar der aͤußeren Form nach darſtellen, aber das Weſen iſt verloren. Denn das Beſte herrſcht nicht in ihnen und ſie ſorgen wol etwa fuͤr einen Theil des Volks- Wohles, aber nicht fuͤr das Ganze. Als ſolche Ausartung tritt dem Koͤnigthum die Tyrannis, der Ariſtokratie die Oligarchie, der Politeia die Demokratie entgegen. Fragt es ſich daher nach der fuͤr die meiſten Staaten im Allge- meinen geeignetſten Verfaſſung, ſo iſt das diejenige, welche dem Vermoͤgen die Macht giebt, die ariſtokratiſchen und

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/204>, abgerufen am 23.11.2024.