keine Belege, läßt nicht die Philosophen herrschen, nicht Güter und Kinder gemeinsam seyn, läßt auch das männ- liche Geschlecht in seinem Unterschiede vom weiblichen be- stehen. Die Erziehung der Knaben und die verschiedenen Obrigkeiten sind hier sehr umständlich entwickelt.
217. Aristoteles sah eine Welt von Freistaaten rings um sich versinken, während die ungeheure politische Kraft des Königthums sich laut und lauter verkündigte: Ihm, der in einem besonderen Werke mehr als anderthalb hundert Staatsverfassungen beschrieb, der in allem Wissens- würdigen zu Hause, in dem meisten Meister war, lag es vornehmlich nahe, daß der Mensch nicht überall dasselbe Nest baue. Er verwarf den Staat seines Lehrers (der fast unmöglich werden und schwerlich seyn kann), weil seine Mittel für seine Zwecke nicht ausreichen, und er dabei bloß die Philosophen- und die Krieger-Classe bedenkt (Pol. II. c. 1. u. 2.). Lieber beobachtet er die historisch gegebenen Staaten, vornehmlich den der Spartaner, Kre- ter und Karthager; denn der Römische muß ihm doch nicht nahe genug getreten seyn, um seiner Überlegenheit inne zu werden. Nicht zwar als ob die Zustände allein ihm das Maas der Dinge gäben, aber er findet daß die Natur selber in den gelungneren Darstellungen der zum Staat versammelten Menschheit ein sittliches Gleichmaas suche und bewähre. Nicht jede Volksanlage aber ist des besseren Staats empfänglich; und kein Staat darf, weder im Begriffe, noch in der Wirklichkeit, als fehlerlos betrach- tet werden. Daß dem so sey, wird schon dadurch bezeugt, daß es zur Sclaverei geborene Naturen giebt, wie im All- gemeinen die der Barbaren sind. Sie sind geborene Sa- chen und Besitzthümer und müssen um ihres eigenen Bestens
Neuntes Capitel.
keine Belege, laͤßt nicht die Philoſophen herrſchen, nicht Guͤter und Kinder gemeinſam ſeyn, laͤßt auch das maͤnn- liche Geſchlecht in ſeinem Unterſchiede vom weiblichen be- ſtehen. Die Erziehung der Knaben und die verſchiedenen Obrigkeiten ſind hier ſehr umſtaͤndlich entwickelt.
217. Ariſtoteles ſah eine Welt von Freiſtaaten rings um ſich verſinken, waͤhrend die ungeheure politiſche Kraft des Koͤnigthums ſich laut und lauter verkuͤndigte: Ihm, der in einem beſonderen Werke mehr als anderthalb hundert Staatsverfaſſungen beſchrieb, der in allem Wiſſens- wuͤrdigen zu Hauſe, in dem meiſten Meiſter war, lag es vornehmlich nahe, daß der Menſch nicht uͤberall dasſelbe Neſt baue. Er verwarf den Staat ſeines Lehrers (der faſt unmoͤglich werden und ſchwerlich ſeyn kann), weil ſeine Mittel fuͤr ſeine Zwecke nicht ausreichen, und er dabei bloß die Philoſophen- und die Krieger-Claſſe bedenkt (Pol. II. c. 1. u. 2.). Lieber beobachtet er die hiſtoriſch gegebenen Staaten, vornehmlich den der Spartaner, Kre- ter und Karthager; denn der Roͤmiſche muß ihm doch nicht nahe genug getreten ſeyn, um ſeiner Überlegenheit inne zu werden. Nicht zwar als ob die Zuſtaͤnde allein ihm das Maas der Dinge gaͤben, aber er findet daß die Natur ſelber in den gelungneren Darſtellungen der zum Staat verſammelten Menſchheit ein ſittliches Gleichmaas ſuche und bewaͤhre. Nicht jede Volksanlage aber iſt des beſſeren Staats empfaͤnglich; und kein Staat darf, weder im Begriffe, noch in der Wirklichkeit, als fehlerlos betrach- tet werden. Daß dem ſo ſey, wird ſchon dadurch bezeugt, daß es zur Sclaverei geborene Naturen giebt, wie im All- gemeinen die der Barbaren ſind. Sie ſind geborene Sa- chen und Beſitzthuͤmer und muͤſſen um ihres eigenen Beſtens
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0202"n="190"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Neuntes Capitel</hi>.</fw><lb/>
keine Belege, laͤßt nicht die Philoſophen herrſchen, nicht<lb/>
Guͤter und Kinder gemeinſam ſeyn, laͤßt auch das maͤnn-<lb/>
liche Geſchlecht in ſeinem Unterſchiede vom weiblichen be-<lb/>ſtehen. Die Erziehung der Knaben und die verſchiedenen<lb/>
Obrigkeiten ſind hier ſehr umſtaͤndlich entwickelt.</p><lb/><p>217. <hirendition="#g">Ariſtoteles</hi>ſah eine Welt von Freiſtaaten<lb/>
rings um ſich verſinken, waͤhrend die ungeheure politiſche<lb/>
Kraft des Koͤnigthums ſich laut und lauter verkuͤndigte:<lb/>
Ihm, der in einem beſonderen Werke mehr als anderthalb<lb/>
hundert Staatsverfaſſungen beſchrieb, der in allem Wiſſens-<lb/>
wuͤrdigen zu Hauſe, in dem meiſten Meiſter war, lag es<lb/>
vornehmlich nahe, daß der Menſch nicht uͤberall dasſelbe<lb/>
Neſt baue. Er verwarf den Staat ſeines Lehrers (der<lb/>
faſt unmoͤglich <hirendition="#g">werden</hi> und ſchwerlich <hirendition="#g">ſeyn</hi> kann), weil<lb/>ſeine Mittel fuͤr ſeine Zwecke nicht ausreichen, und er dabei<lb/>
bloß die Philoſophen- und die Krieger-Claſſe bedenkt<lb/>
(Pol. <hirendition="#aq">II. c.</hi> 1. u. 2.). Lieber beobachtet er die hiſtoriſch<lb/>
gegebenen Staaten, vornehmlich den der Spartaner, Kre-<lb/>
ter und Karthager; denn der Roͤmiſche muß ihm doch<lb/>
nicht nahe genug getreten ſeyn, um ſeiner Überlegenheit<lb/>
inne zu werden. Nicht zwar als ob die Zuſtaͤnde allein<lb/>
ihm das Maas der Dinge gaͤben, aber er findet daß die<lb/>
Natur ſelber in den gelungneren Darſtellungen der zum<lb/>
Staat verſammelten Menſchheit ein ſittliches Gleichmaas<lb/>ſuche und bewaͤhre. Nicht jede Volksanlage aber iſt des<lb/>
beſſeren Staats empfaͤnglich; und kein Staat darf, weder<lb/>
im Begriffe, noch in der Wirklichkeit, als fehlerlos betrach-<lb/>
tet werden. Daß dem ſo ſey, wird ſchon dadurch bezeugt,<lb/>
daß es zur Sclaverei geborene Naturen giebt, wie im All-<lb/>
gemeinen die der Barbaren ſind. Sie ſind geborene Sa-<lb/>
chen und Beſitzthuͤmer und muͤſſen um ihres eigenen Beſtens<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[190/0202]
Neuntes Capitel.
keine Belege, laͤßt nicht die Philoſophen herrſchen, nicht
Guͤter und Kinder gemeinſam ſeyn, laͤßt auch das maͤnn-
liche Geſchlecht in ſeinem Unterſchiede vom weiblichen be-
ſtehen. Die Erziehung der Knaben und die verſchiedenen
Obrigkeiten ſind hier ſehr umſtaͤndlich entwickelt.
217. Ariſtoteles ſah eine Welt von Freiſtaaten
rings um ſich verſinken, waͤhrend die ungeheure politiſche
Kraft des Koͤnigthums ſich laut und lauter verkuͤndigte:
Ihm, der in einem beſonderen Werke mehr als anderthalb
hundert Staatsverfaſſungen beſchrieb, der in allem Wiſſens-
wuͤrdigen zu Hauſe, in dem meiſten Meiſter war, lag es
vornehmlich nahe, daß der Menſch nicht uͤberall dasſelbe
Neſt baue. Er verwarf den Staat ſeines Lehrers (der
faſt unmoͤglich werden und ſchwerlich ſeyn kann), weil
ſeine Mittel fuͤr ſeine Zwecke nicht ausreichen, und er dabei
bloß die Philoſophen- und die Krieger-Claſſe bedenkt
(Pol. II. c. 1. u. 2.). Lieber beobachtet er die hiſtoriſch
gegebenen Staaten, vornehmlich den der Spartaner, Kre-
ter und Karthager; denn der Roͤmiſche muß ihm doch
nicht nahe genug getreten ſeyn, um ſeiner Überlegenheit
inne zu werden. Nicht zwar als ob die Zuſtaͤnde allein
ihm das Maas der Dinge gaͤben, aber er findet daß die
Natur ſelber in den gelungneren Darſtellungen der zum
Staat verſammelten Menſchheit ein ſittliches Gleichmaas
ſuche und bewaͤhre. Nicht jede Volksanlage aber iſt des
beſſeren Staats empfaͤnglich; und kein Staat darf, weder
im Begriffe, noch in der Wirklichkeit, als fehlerlos betrach-
tet werden. Daß dem ſo ſey, wird ſchon dadurch bezeugt,
daß es zur Sclaverei geborene Naturen giebt, wie im All-
gemeinen die der Barbaren ſind. Sie ſind geborene Sa-
chen und Beſitzthuͤmer und muͤſſen um ihres eigenen Beſtens
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/202>, abgerufen am 20.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.