Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.Einleitung. zwar hat die Lehre vom Staate nicht zu untersuchen, wiees denn gekommen sey, daß die Menschheit von Anfang her so schief gegen das Licht steht, daß sie bei jedem Schritte einen langen Schatten wirft, warum Familien-Vortheil und Staats-Wohl sich so mannigfach bekämpfen, und warum, was die höchsten Beziehungen angeht, Eines gut seyn kann (dem Sittengesetz des Individuums entsprechend), ein Anderes aber recht (dem Gebot des Staats entspre- chend). Die Staatslehre hat den Grund der ethischen Ver- hältnisse nicht aufzudecken, sie soll dieselben anerkennen, und diejenigen äußerlichen Einrichtungen ausbilden, welche die- sen Zwiespalt zu vermindern dienen, indem sie den Staat der höheren versöhnenden Sitte empfänglich machen. Der Einzelne aber muß zuvor in seinem eigenen Wesen die billig herrschenden Gewalten von den billig dienenden un- terscheiden lernen, ehe er von Staatssachen zu urtheilen unternimmt. 9. Darum ist die Errichtung des rechtlichen Zustandes, 10. Der seiner höheren Bestimmung getreue Mensch Einleitung. zwar hat die Lehre vom Staate nicht zu unterſuchen, wiees denn gekommen ſey, daß die Menſchheit von Anfang her ſo ſchief gegen das Licht ſteht, daß ſie bei jedem Schritte einen langen Schatten wirft, warum Familien-Vortheil und Staats-Wohl ſich ſo mannigfach bekaͤmpfen, und warum, was die hoͤchſten Beziehungen angeht, Eines gut ſeyn kann (dem Sittengeſetz des Individuums entſprechend), ein Anderes aber recht (dem Gebot des Staats entſpre- chend). Die Staatslehre hat den Grund der ethiſchen Ver- haͤltniſſe nicht aufzudecken, ſie ſoll dieſelben anerkennen, und diejenigen aͤußerlichen Einrichtungen ausbilden, welche die- ſen Zwieſpalt zu vermindern dienen, indem ſie den Staat der hoͤheren verſoͤhnenden Sitte empfaͤnglich machen. Der Einzelne aber muß zuvor in ſeinem eigenen Weſen die billig herrſchenden Gewalten von den billig dienenden un- terſcheiden lernen, ehe er von Staatsſachen zu urtheilen unternimmt. 9. Darum iſt die Errichtung des rechtlichen Zuſtandes, 10. Der ſeiner hoͤheren Beſtimmung getreue Menſch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0018" n="6"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/> zwar hat die Lehre vom Staate nicht zu unterſuchen, wie<lb/> es denn gekommen ſey, daß die Menſchheit von Anfang her<lb/> ſo ſchief gegen das Licht ſteht, daß ſie bei jedem Schritte<lb/> einen langen Schatten wirft, warum Familien-Vortheil<lb/> und Staats-Wohl ſich ſo mannigfach bekaͤmpfen, und<lb/> warum, was die hoͤchſten Beziehungen angeht, Eines <hi rendition="#g">gut</hi><lb/> ſeyn kann (dem Sittengeſetz des Individuums entſprechend),<lb/> ein Anderes aber <hi rendition="#g">recht</hi> (dem Gebot des Staats entſpre-<lb/> chend). Die Staatslehre hat den Grund der ethiſchen Ver-<lb/> haͤltniſſe nicht aufzudecken, ſie ſoll dieſelben anerkennen, und<lb/> diejenigen aͤußerlichen Einrichtungen ausbilden, welche die-<lb/> ſen Zwieſpalt zu vermindern dienen, indem ſie den Staat<lb/> der hoͤheren verſoͤhnenden Sitte empfaͤnglich machen. Der<lb/> Einzelne aber muß zuvor in ſeinem eigenen Weſen die<lb/> billig herrſchenden Gewalten von den billig dienenden un-<lb/> terſcheiden lernen, ehe er von Staatsſachen zu urtheilen<lb/> unternimmt.</p><lb/> <p>9. Darum iſt die Errichtung des rechtlichen Zuſtandes,<lb/> wie er denn auch beſchaffen ſey, freilich Sache des Staa-<lb/> tes, aber nicht letzter Zweck des Staates. Darum aber<lb/> auch tritt der Staat als ſolcher nicht an die Stelle der<lb/> goͤttlichen, unbedingt zu befolgenden Ordnung, und es<lb/> kann die Vorſchrift nicht vor der Wahrheit beſtehen, daß<lb/> die aͤußere Pflicht <hi rendition="#g">vor</hi> der ſittlichen erfuͤllt werden muͤſſe;<lb/> wiewohl nichts auf der Erde der goͤttlichen Ordnung ſo<lb/> nahe ſteht als die Staatsordnung.</p><lb/> <p>10. Der ſeiner hoͤheren Beſtimmung getreue Menſch<lb/> bringt dem Staate jedes Opfer des Eigenthums und der<lb/> Perſon, nur nicht das Opfer ſeiner hoͤheren Beſtimmung<lb/> ſelber; alles ſein Recht mag er hingeben, nur nicht das,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [6/0018]
Einleitung.
zwar hat die Lehre vom Staate nicht zu unterſuchen, wie
es denn gekommen ſey, daß die Menſchheit von Anfang her
ſo ſchief gegen das Licht ſteht, daß ſie bei jedem Schritte
einen langen Schatten wirft, warum Familien-Vortheil
und Staats-Wohl ſich ſo mannigfach bekaͤmpfen, und
warum, was die hoͤchſten Beziehungen angeht, Eines gut
ſeyn kann (dem Sittengeſetz des Individuums entſprechend),
ein Anderes aber recht (dem Gebot des Staats entſpre-
chend). Die Staatslehre hat den Grund der ethiſchen Ver-
haͤltniſſe nicht aufzudecken, ſie ſoll dieſelben anerkennen, und
diejenigen aͤußerlichen Einrichtungen ausbilden, welche die-
ſen Zwieſpalt zu vermindern dienen, indem ſie den Staat
der hoͤheren verſoͤhnenden Sitte empfaͤnglich machen. Der
Einzelne aber muß zuvor in ſeinem eigenen Weſen die
billig herrſchenden Gewalten von den billig dienenden un-
terſcheiden lernen, ehe er von Staatsſachen zu urtheilen
unternimmt.
9. Darum iſt die Errichtung des rechtlichen Zuſtandes,
wie er denn auch beſchaffen ſey, freilich Sache des Staa-
tes, aber nicht letzter Zweck des Staates. Darum aber
auch tritt der Staat als ſolcher nicht an die Stelle der
goͤttlichen, unbedingt zu befolgenden Ordnung, und es
kann die Vorſchrift nicht vor der Wahrheit beſtehen, daß
die aͤußere Pflicht vor der ſittlichen erfuͤllt werden muͤſſe;
wiewohl nichts auf der Erde der goͤttlichen Ordnung ſo
nahe ſteht als die Staatsordnung.
10. Der ſeiner hoͤheren Beſtimmung getreue Menſch
bringt dem Staate jedes Opfer des Eigenthums und der
Perſon, nur nicht das Opfer ſeiner hoͤheren Beſtimmung
ſelber; alles ſein Recht mag er hingeben, nur nicht das,
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