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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Sechstes Capitel.
geben oder gar die Provinzen selber zu zerstören als un-
nöthige Denkmäler der Veraltung, wie das revolutionäre
Frankreich that. Gerade im Gegentheil: die Geschichte der
Landschaft ist die Weltgeschichte des größeren Theiles ihrer
Bevölkerung; diese begreift sich im angestammten Selbst-
gefühle einer provinzialen Bedeutenheit, fühlt sich über
Familien- und Orts-Gemeinde hinaus in einem höher
stehenden Ganzen. Die Zeit wird schon sorgen, daß es
auch an Solchen nicht fehle, die weiter blickend den Staat
über die Landschaft stellen, die Reichsstände über die Pro-
vinzial-Stände. Wie oft aber haben sich bedrängte Lan-
desfreiheiten in die Festung der Provinzialrechte geflüchtet?

191. Die Aufgabe ist, das lebendige Verhältniß bei-
der zu einander zu finden und grundgesetzlich festzustellen.
Man sagt nicht richtig: Provinzial-Stände dürfen bloß
rathen, die Entscheidung kommt den Reichsständen zu.
Auch Provinzial-Stände haben ihres Orts Entscheidung
z. B. über die Vertheilung landschaftlicher Steuern, über
die Bewilligung selbst von solchen Steuern, welche noth-
wendige, aber bloß dieser Provinz angehörige Bedürfnisse
z. B. Deiche bestreiten. Das allgemeine Verhältniß ist:
ihre Beschlüsse dürfen die der allgemeinen Ständeversamm-
lung nicht kreuzen, müssen sich diesen unterordnen. Alle
provinziellen Ausnahmen von den allgemeinen Landesge-
setzen bestehen daher nur durch die Billigung der Reichs-
stände. Darum darf auch den Provinzial-Ständen das
Recht landschaftliche Anlagen zu allgemeinen Zwecken zu
bewilligen nur in sehr beschränktem Maaße zustehen. Man
muß ein Maximum festsetzen, für jede Provinz vermuthlich
ein verschiednes 1). Geldanlagen darüber hinaus bedürfen
vor ihrer Ausschreibung der Prüfung und Genehmigung

Sechstes Capitel.
geben oder gar die Provinzen ſelber zu zerſtoͤren als un-
noͤthige Denkmaͤler der Veraltung, wie das revolutionaͤre
Frankreich that. Gerade im Gegentheil: die Geſchichte der
Landſchaft iſt die Weltgeſchichte des groͤßeren Theiles ihrer
Bevoͤlkerung; dieſe begreift ſich im angeſtammten Selbſt-
gefuͤhle einer provinzialen Bedeutenheit, fuͤhlt ſich uͤber
Familien- und Orts-Gemeinde hinaus in einem hoͤher
ſtehenden Ganzen. Die Zeit wird ſchon ſorgen, daß es
auch an Solchen nicht fehle, die weiter blickend den Staat
uͤber die Landſchaft ſtellen, die Reichsſtaͤnde uͤber die Pro-
vinzial-Staͤnde. Wie oft aber haben ſich bedraͤngte Lan-
desfreiheiten in die Feſtung der Provinzialrechte gefluͤchtet?

191. Die Aufgabe iſt, das lebendige Verhaͤltniß bei-
der zu einander zu finden und grundgeſetzlich feſtzuſtellen.
Man ſagt nicht richtig: Provinzial-Staͤnde duͤrfen bloß
rathen, die Entſcheidung kommt den Reichsſtaͤnden zu.
Auch Provinzial-Staͤnde haben ihres Orts Entſcheidung
z. B. uͤber die Vertheilung landſchaftlicher Steuern, uͤber
die Bewilligung ſelbſt von ſolchen Steuern, welche noth-
wendige, aber bloß dieſer Provinz angehoͤrige Beduͤrfniſſe
z. B. Deiche beſtreiten. Das allgemeine Verhaͤltniß iſt:
ihre Beſchluͤſſe duͤrfen die der allgemeinen Staͤndeverſamm-
lung nicht kreuzen, muͤſſen ſich dieſen unterordnen. Alle
provinziellen Ausnahmen von den allgemeinen Landesge-
ſetzen beſtehen daher nur durch die Billigung der Reichs-
ſtaͤnde. Darum darf auch den Provinzial-Staͤnden das
Recht landſchaftliche Anlagen zu allgemeinen Zwecken zu
bewilligen nur in ſehr beſchraͤnktem Maaße zuſtehen. Man
muß ein Maximum feſtſetzen, fuͤr jede Provinz vermuthlich
ein verſchiednes 1). Geldanlagen daruͤber hinaus beduͤrfen
vor ihrer Ausſchreibung der Pruͤfung und Genehmigung

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[156/0168] Sechstes Capitel. geben oder gar die Provinzen ſelber zu zerſtoͤren als un- noͤthige Denkmaͤler der Veraltung, wie das revolutionaͤre Frankreich that. Gerade im Gegentheil: die Geſchichte der Landſchaft iſt die Weltgeſchichte des groͤßeren Theiles ihrer Bevoͤlkerung; dieſe begreift ſich im angeſtammten Selbſt- gefuͤhle einer provinzialen Bedeutenheit, fuͤhlt ſich uͤber Familien- und Orts-Gemeinde hinaus in einem hoͤher ſtehenden Ganzen. Die Zeit wird ſchon ſorgen, daß es auch an Solchen nicht fehle, die weiter blickend den Staat uͤber die Landſchaft ſtellen, die Reichsſtaͤnde uͤber die Pro- vinzial-Staͤnde. Wie oft aber haben ſich bedraͤngte Lan- desfreiheiten in die Feſtung der Provinzialrechte gefluͤchtet? 191. Die Aufgabe iſt, das lebendige Verhaͤltniß bei- der zu einander zu finden und grundgeſetzlich feſtzuſtellen. Man ſagt nicht richtig: Provinzial-Staͤnde duͤrfen bloß rathen, die Entſcheidung kommt den Reichsſtaͤnden zu. Auch Provinzial-Staͤnde haben ihres Orts Entſcheidung z. B. uͤber die Vertheilung landſchaftlicher Steuern, uͤber die Bewilligung ſelbſt von ſolchen Steuern, welche noth- wendige, aber bloß dieſer Provinz angehoͤrige Beduͤrfniſſe z. B. Deiche beſtreiten. Das allgemeine Verhaͤltniß iſt: ihre Beſchluͤſſe duͤrfen die der allgemeinen Staͤndeverſamm- lung nicht kreuzen, muͤſſen ſich dieſen unterordnen. Alle provinziellen Ausnahmen von den allgemeinen Landesge- ſetzen beſtehen daher nur durch die Billigung der Reichs- ſtaͤnde. Darum darf auch den Provinzial-Staͤnden das Recht landſchaftliche Anlagen zu allgemeinen Zwecken zu bewilligen nur in ſehr beſchraͤnktem Maaße zuſtehen. Man muß ein Maximum feſtſetzen, fuͤr jede Provinz vermuthlich ein verſchiednes 1). Geldanlagen daruͤber hinaus beduͤrfen vor ihrer Ausſchreibung der Pruͤfung und Genehmigung

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/168>, abgerufen am 24.11.2024.