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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Sechstes Capitel.

176. Jede Kammer bedarf einiger anerkannter Or-
gane der Regierung in ihrer Mitte und es ist dieses bei
weitem mehr ein Recht der Kammer sie zu besitzen als der
Regierung sie senden zu dürfen. Für die Minister aber
selber ist zu wünschen, daß sie, wie in England, auf dem
Wege der Wahl ins Unterhaus treten, durch das öffent-
liche Vertrauen, welches dem sonst Würdigen darum nicht
versagt werden darf, weil ihn auf dem Verfassungsgebiete sein
Beruf zunächst an die Wahrung der Kronrechte knüpft. Nur
eine völlige Unkunde konnte die Minister und mit ihnen
eine Fülle von Auskunft und augenblicklicher Vermit-
telung aus den ständischen Versammlungen ausschließen,
oder sie nur als Commissarien, ohne Sitz und Stimme,
dulden wollen.

177. Keine Vollmachten dürfen den Deputirten an
den Willen seiner Wähler binden; denn die Kammern sol-
len Gesetze geben und nicht das Volk, nicht die Wähler.
Der Deputirte ist der natürliche Fürsprecher seiner Wahl-
gemeinde, allein sein Eid verpflichtet ihn dem Staate. Als
am achten Juli 1789 die Nationalversammlung auf Tal-
leyrands Antrag beschloß, auf die Mandate (cahiers)
weiter keine Rücksicht zu nehmen, beschloß sie zwar
wozu sie rechtlich nicht befugt war, aber handelte po-
litisch richtig. Denn eine Versammlung, die nicht über
einzelne Proponenda berathschlagen, sondern eine Verfas-
sung gründen soll, konnte nicht an die Vorbeschlüsse derer
gebunden seyn, die von ihren Gründen nichts vernahmen.

178. Jede Kammer hat das Recht Bittschriften,
welche von einem Mitgliede der Kammer ihr über-
reicht werden, anzunehmen und die darauf gefaßten Be-

Sechstes Capitel.

176. Jede Kammer bedarf einiger anerkannter Or-
gane der Regierung in ihrer Mitte und es iſt dieſes bei
weitem mehr ein Recht der Kammer ſie zu beſitzen als der
Regierung ſie ſenden zu duͤrfen. Fuͤr die Miniſter aber
ſelber iſt zu wuͤnſchen, daß ſie, wie in England, auf dem
Wege der Wahl ins Unterhaus treten, durch das oͤffent-
liche Vertrauen, welches dem ſonſt Wuͤrdigen darum nicht
verſagt werden darf, weil ihn auf dem Verfaſſungsgebiete ſein
Beruf zunaͤchſt an die Wahrung der Kronrechte knuͤpft. Nur
eine voͤllige Unkunde konnte die Miniſter und mit ihnen
eine Fuͤlle von Auskunft und augenblicklicher Vermit-
telung aus den ſtaͤndiſchen Verſammlungen ausſchließen,
oder ſie nur als Commiſſarien, ohne Sitz und Stimme,
dulden wollen.

177. Keine Vollmachten duͤrfen den Deputirten an
den Willen ſeiner Waͤhler binden; denn die Kammern ſol-
len Geſetze geben und nicht das Volk, nicht die Waͤhler.
Der Deputirte iſt der natuͤrliche Fuͤrſprecher ſeiner Wahl-
gemeinde, allein ſein Eid verpflichtet ihn dem Staate. Als
am achten Juli 1789 die Nationalverſammlung auf Tal-
leyrands Antrag beſchloß, auf die Mandate (cahiers)
weiter keine Ruͤckſicht zu nehmen, beſchloß ſie zwar
wozu ſie rechtlich nicht befugt war, aber handelte po-
litiſch richtig. Denn eine Verſammlung, die nicht uͤber
einzelne Proponenda berathſchlagen, ſondern eine Verfaſ-
ſung gruͤnden ſoll, konnte nicht an die Vorbeſchluͤſſe derer
gebunden ſeyn, die von ihren Gruͤnden nichts vernahmen.

178. Jede Kammer hat das Recht Bittſchriften,
welche von einem Mitgliede der Kammer ihr uͤber-
reicht werden, anzunehmen und die darauf gefaßten Be-

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[150/0162] Sechstes Capitel. 176. Jede Kammer bedarf einiger anerkannter Or- gane der Regierung in ihrer Mitte und es iſt dieſes bei weitem mehr ein Recht der Kammer ſie zu beſitzen als der Regierung ſie ſenden zu duͤrfen. Fuͤr die Miniſter aber ſelber iſt zu wuͤnſchen, daß ſie, wie in England, auf dem Wege der Wahl ins Unterhaus treten, durch das oͤffent- liche Vertrauen, welches dem ſonſt Wuͤrdigen darum nicht verſagt werden darf, weil ihn auf dem Verfaſſungsgebiete ſein Beruf zunaͤchſt an die Wahrung der Kronrechte knuͤpft. Nur eine voͤllige Unkunde konnte die Miniſter und mit ihnen eine Fuͤlle von Auskunft und augenblicklicher Vermit- telung aus den ſtaͤndiſchen Verſammlungen ausſchließen, oder ſie nur als Commiſſarien, ohne Sitz und Stimme, dulden wollen. 177. Keine Vollmachten duͤrfen den Deputirten an den Willen ſeiner Waͤhler binden; denn die Kammern ſol- len Geſetze geben und nicht das Volk, nicht die Waͤhler. Der Deputirte iſt der natuͤrliche Fuͤrſprecher ſeiner Wahl- gemeinde, allein ſein Eid verpflichtet ihn dem Staate. Als am achten Juli 1789 die Nationalverſammlung auf Tal- leyrands Antrag beſchloß, auf die Mandate (cahiers) weiter keine Ruͤckſicht zu nehmen, beſchloß ſie zwar wozu ſie rechtlich nicht befugt war, aber handelte po- litiſch richtig. Denn eine Verſammlung, die nicht uͤber einzelne Proponenda berathſchlagen, ſondern eine Verfaſ- ſung gruͤnden ſoll, konnte nicht an die Vorbeſchluͤſſe derer gebunden ſeyn, die von ihren Gruͤnden nichts vernahmen. 178. Jede Kammer hat das Recht Bittſchriften, welche von einem Mitgliede der Kammer ihr uͤber- reicht werden, anzunehmen und die darauf gefaßten Be-

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/162>, abgerufen am 24.11.2024.