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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Rechte der Stände-Versammlung.
höchste berathende Behörde im Staate, ihre Gesetzentwürfe
bearbeiten läßt. Die Regierung wird solche Gesetzentwürfe
durch einen Minister vorlegen, sich vorbehaltend sie zu-
rückzuziehen, wenn die Verbesserungsvorschläge der Kam-
mern allzutief eindringen. Eben darum wird sie einfache
Gesetz-Anträge lieber durch Mitglieder der Kammer ge-
schehen lassen, damit das Ansehen der Krone bei dem Kampfe
der Meinungen ungetrübt durch Partheinahme bleibe 2).

1) Cur-Hess. Vers. §. 97. und ganz unzweideutig die Hannov. §. 88. --
2) Der eben nicht glücklich gewählte Ausdruck, Initiative mag
von De Lolme's Erfindung seyn (S. 218 der Übers.);
er bedeutet im politischen Sprachgebrauche aber nicht bloß das
Recht auf ein Gesetz anzutragen, sondern zugleich das Recht
auch den Gesetz-Entwurf vorzulegen. Napoleon nahm den Aus:
druck in seine zweite Verfassung vom 4. Aug. 1802 auf, wo
im titre V. du Senat art. 56. steht, daß die Senatusconsulte
sur l'initiative du gouvernement berathen werden. In den frü-
heren Constitutionen heißt es immer la proposition de la loi. Der
ungeschmälerten Initiative rühmt sich das Englische Parlament
seit Heinrich VI.; das Schottische und Englische durfte bloß
the heads of the bill vorschlagen. Die Charte Ludwigs XVIII.
lautet A. 16. le roi propose la loi und gestattet den Kammern
bloß auf einem sehr langsamen Wege (a. 19.) die Petition um
ein Gesetz. Die Charte der Julius-Revolution giebt die Pro-
position den drei Gewalten. Am auffallendsten stehen auf Deut-
schem Boden die altherkömmlichen Herzoglich-Lauenburgischen
Stände, die mindestens vor kurzem sich selbst die Publication
der Gesetze nicht nehmen ließen, den neuen Fürstlich-Lichtensteini-
schen gegenüber (Verfass. Urk. vom 9ten Nov. 1818.), welche
Anträge machen dürfen, nur nicht im bürgerlichen, nicht im po-
litischen (bedeutet im Österreichischen Gesetzbuche s. v. a. polizey-
lichen) und nicht im peinlichen Fache. Da nun §. 14. die Lan-
des-Regalien zum Privat-Eigenthum des Fürsten erhoben
werden, so dürfte auch für Finanz-Anträge das Feld nicht
gar groß seyn.

Rechte der Staͤnde-Verſammlung.
hoͤchſte berathende Behoͤrde im Staate, ihre Geſetzentwuͤrfe
bearbeiten laͤßt. Die Regierung wird ſolche Geſetzentwuͤrfe
durch einen Miniſter vorlegen, ſich vorbehaltend ſie zu-
ruͤckzuziehen, wenn die Verbeſſerungsvorſchlaͤge der Kam-
mern allzutief eindringen. Eben darum wird ſie einfache
Geſetz-Antraͤge lieber durch Mitglieder der Kammer ge-
ſchehen laſſen, damit das Anſehen der Krone bei dem Kampfe
der Meinungen ungetruͤbt durch Partheinahme bleibe 2).

1) Cur-Heſſ. Verſ. §. 97. und ganz unzweideutig die Hannov. §. 88. —
2) Der eben nicht gluͤcklich gewaͤhlte Ausdruck, Initiative mag
von De Lolme’s Erfindung ſeyn (S. 218 der Überſ.);
er bedeutet im politiſchen Sprachgebrauche aber nicht bloß das
Recht auf ein Geſetz anzutragen, ſondern zugleich das Recht
auch den Geſetz-Entwurf vorzulegen. Napoleon nahm den Aus:
druck in ſeine zweite Verfaſſung vom 4. Aug. 1802 auf, wo
im titre V. du Sénat art. 56. ſteht, daß die Senatusconſulte
sur l’initiative du gouvernement berathen werden. In den fruͤ-
heren Conſtitutionen heißt es immer la proposition de la loi. Der
ungeſchmaͤlerten Initiative ruͤhmt ſich das Engliſche Parlament
ſeit Heinrich VI.; das Schottiſche und Engliſche durfte bloß
the heads of the bill vorſchlagen. Die Charte Ludwigs XVIII.
lautet A. 16. le roi propose la loi und geſtattet den Kammern
bloß auf einem ſehr langſamen Wege (a. 19.) die Petition um
ein Geſetz. Die Charte der Julius-Revolution giebt die Pro-
poſition den drei Gewalten. Am auffallendſten ſtehen auf Deut-
ſchem Boden die altherkoͤmmlichen Herzoglich-Lauenburgiſchen
Staͤnde, die mindeſtens vor kurzem ſich ſelbſt die Publication
der Geſetze nicht nehmen ließen, den neuen Fuͤrſtlich-Lichtenſteini-
ſchen gegenuͤber (Verfaſſ. Urk. vom 9ten Nov. 1818.), welche
Antraͤge machen duͤrfen, nur nicht im buͤrgerlichen, nicht im po-
litiſchen (bedeutet im Öſterreichiſchen Geſetzbuche ſ. v. a. polizey-
lichen) und nicht im peinlichen Fache. Da nun §. 14. die Lan-
des-Regalien zum Privat-Eigenthum des Fuͤrſten erhoben
werden, ſo duͤrfte auch fuͤr Finanz-Antraͤge das Feld nicht
gar groß ſeyn.
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[149/0161] Rechte der Staͤnde-Verſammlung. hoͤchſte berathende Behoͤrde im Staate, ihre Geſetzentwuͤrfe bearbeiten laͤßt. Die Regierung wird ſolche Geſetzentwuͤrfe durch einen Miniſter vorlegen, ſich vorbehaltend ſie zu- ruͤckzuziehen, wenn die Verbeſſerungsvorſchlaͤge der Kam- mern allzutief eindringen. Eben darum wird ſie einfache Geſetz-Antraͤge lieber durch Mitglieder der Kammer ge- ſchehen laſſen, damit das Anſehen der Krone bei dem Kampfe der Meinungen ungetruͤbt durch Partheinahme bleibe 2). ¹⁾ Cur-Heſſ. Verſ. §. 97. und ganz unzweideutig die Hannov. §. 88. — ²⁾ Der eben nicht gluͤcklich gewaͤhlte Ausdruck, Initiative mag von De Lolme’s Erfindung ſeyn (S. 218 der Überſ.); er bedeutet im politiſchen Sprachgebrauche aber nicht bloß das Recht auf ein Geſetz anzutragen, ſondern zugleich das Recht auch den Geſetz-Entwurf vorzulegen. Napoleon nahm den Aus: druck in ſeine zweite Verfaſſung vom 4. Aug. 1802 auf, wo im titre V. du Sénat art. 56. ſteht, daß die Senatusconſulte sur l’initiative du gouvernement berathen werden. In den fruͤ- heren Conſtitutionen heißt es immer la proposition de la loi. Der ungeſchmaͤlerten Initiative ruͤhmt ſich das Engliſche Parlament ſeit Heinrich VI.; das Schottiſche und Engliſche durfte bloß the heads of the bill vorſchlagen. Die Charte Ludwigs XVIII. lautet A. 16. le roi propose la loi und geſtattet den Kammern bloß auf einem ſehr langſamen Wege (a. 19.) die Petition um ein Geſetz. Die Charte der Julius-Revolution giebt die Pro- poſition den drei Gewalten. Am auffallendſten ſtehen auf Deut- ſchem Boden die altherkoͤmmlichen Herzoglich-Lauenburgiſchen Staͤnde, die mindeſtens vor kurzem ſich ſelbſt die Publication der Geſetze nicht nehmen ließen, den neuen Fuͤrſtlich-Lichtenſteini- ſchen gegenuͤber (Verfaſſ. Urk. vom 9ten Nov. 1818.), welche Antraͤge machen duͤrfen, nur nicht im buͤrgerlichen, nicht im po- litiſchen (bedeutet im Öſterreichiſchen Geſetzbuche ſ. v. a. polizey- lichen) und nicht im peinlichen Fache. Da nun §. 14. die Lan- des-Regalien zum Privat-Eigenthum des Fuͤrſten erhoben werden, ſo duͤrfte auch fuͤr Finanz-Antraͤge das Feld nicht gar groß ſeyn.

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/161>, abgerufen am 24.11.2024.