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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Rechte der Stände-Versammlung.
deß noch, ob hierin mehr Sicherheit als Versuchung liege.
Ruht das Recht in der ganzen Einfachheit seiner Bedeu-
tung in den Händen der Ständeversammlung, und ist da-
bei festgesetzt, daß die Bewilligung für die ganze Finanz-
periode geschieht und an keine den Steuern fremdartige
Bedingung geknüpft werden darf, so wird eben damit eine
Last der Verantwortlichkeit auf die verweigernden Stände
gewälzt, welche ihre Klugheit scheuen wird, wenn auch der
Wille sich verstocken sollte. Wer will überdies alle Fälle
vorhersehen können? Werden denn die Grafen Anshelm
und Friedrich im Vaterlande getadelt, weil sie ihrem Her-
zog Ernst von Schwaben die Steuer ihres Lehndienstes
versagten, als er sie wider das Vaterland verwenden wollte,
dem sie sich höher verpflichtet fühlten 1)? Das sind nun
achthundert Jahre und das Reich ist dahin, aber daß das
gemeinsame Vaterland dahin wäre, steht im Deutschen
Bundesrechte nicht.

1) Nolumus inficiari, quin vobis fidem firmiter promitteremus
contra omnes, praeter eum, qui nos vobis dedit. Si servi
essemus Regis et Imperatoris nostri et ab eo juri vestro
emancipati, non nobis liceret, a vobis separari. Nunc vero
quum liberi simus et libertatis nostrae summum defensorem
Regem et Imperatorem nostrum habeamus ubi illum deseri-
mus, libertatem amittimus --. Quod quum ita sit, quicquid
honesti ac justi a nobis exquiritis, in hoc parere volumus vo-
bis, si autem contra hoc vultis, illuc revertemur liberaliter,
unde ad vos venimus conditionaliter. Wippo p. 474.

173. Um den Misbrauch der Steuern gänzlich abzu-
schneiden, möchten die Stände Mitverwalter derselben seyn,
einen Ausschuß abordnen, daß der wie im Mittelalter den
einen Schlüssel zum Landkasten habe, die Regierung den
andern. Sie dürfen es nicht. Eben weil sie beurtheilen

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Rechte der Staͤnde-Verſammlung.
deß noch, ob hierin mehr Sicherheit als Verſuchung liege.
Ruht das Recht in der ganzen Einfachheit ſeiner Bedeu-
tung in den Haͤnden der Staͤndeverſammlung, und iſt da-
bei feſtgeſetzt, daß die Bewilligung fuͤr die ganze Finanz-
periode geſchieht und an keine den Steuern fremdartige
Bedingung geknuͤpft werden darf, ſo wird eben damit eine
Laſt der Verantwortlichkeit auf die verweigernden Staͤnde
gewaͤlzt, welche ihre Klugheit ſcheuen wird, wenn auch der
Wille ſich verſtocken ſollte. Wer will uͤberdies alle Faͤlle
vorherſehen koͤnnen? Werden denn die Grafen Anshelm
und Friedrich im Vaterlande getadelt, weil ſie ihrem Her-
zog Ernſt von Schwaben die Steuer ihres Lehndienſtes
verſagten, als er ſie wider das Vaterland verwenden wollte,
dem ſie ſich hoͤher verpflichtet fuͤhlten 1)? Das ſind nun
achthundert Jahre und das Reich iſt dahin, aber daß das
gemeinſame Vaterland dahin waͤre, ſteht im Deutſchen
Bundesrechte nicht.

1) Nolumus inficiari, quin vobis fidem firmiter promitteremus
contra omnes, praeter eum, qui nos vobis dedit. Si servi
essemus Regis et Imperatoris nostri et ab eo juri vestro
emancipati, non nobis liceret, a vobis separari. Nunc vero
quum liberi simus et libertatis nostrae summum defensorem
Regem et Imperatorem nostrum habeamus ubi illum deseri-
mus, libertatem amittimus —. Quod quum ita sit, quicquid
honesti ac justi a nobis exquiritis, in hoc parere volumus vo-
bis, si autem contra hoc vultis, illuc revertemur liberaliter,
unde ad vos venimus conditionaliter. Wippo p. 474.

173. Um den Misbrauch der Steuern gaͤnzlich abzu-
ſchneiden, moͤchten die Staͤnde Mitverwalter derſelben ſeyn,
einen Ausſchuß abordnen, daß der wie im Mittelalter den
einen Schluͤſſel zum Landkaſten habe, die Regierung den
andern. Sie duͤrfen es nicht. Eben weil ſie beurtheilen

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[147/0159] Rechte der Staͤnde-Verſammlung. deß noch, ob hierin mehr Sicherheit als Verſuchung liege. Ruht das Recht in der ganzen Einfachheit ſeiner Bedeu- tung in den Haͤnden der Staͤndeverſammlung, und iſt da- bei feſtgeſetzt, daß die Bewilligung fuͤr die ganze Finanz- periode geſchieht und an keine den Steuern fremdartige Bedingung geknuͤpft werden darf, ſo wird eben damit eine Laſt der Verantwortlichkeit auf die verweigernden Staͤnde gewaͤlzt, welche ihre Klugheit ſcheuen wird, wenn auch der Wille ſich verſtocken ſollte. Wer will uͤberdies alle Faͤlle vorherſehen koͤnnen? Werden denn die Grafen Anshelm und Friedrich im Vaterlande getadelt, weil ſie ihrem Her- zog Ernſt von Schwaben die Steuer ihres Lehndienſtes verſagten, als er ſie wider das Vaterland verwenden wollte, dem ſie ſich hoͤher verpflichtet fuͤhlten 1)? Das ſind nun achthundert Jahre und das Reich iſt dahin, aber daß das gemeinſame Vaterland dahin waͤre, ſteht im Deutſchen Bundesrechte nicht. ¹⁾ Nolumus inficiari, quin vobis fidem firmiter promitteremus contra omnes, praeter eum, qui nos vobis dedit. Si servi essemus Regis et Imperatoris nostri et ab eo juri vestro emancipati, non nobis liceret, a vobis separari. Nunc vero quum liberi simus et libertatis nostrae summum defensorem Regem et Imperatorem nostrum habeamus ubi illum deseri- mus, libertatem amittimus —. Quod quum ita sit, quicquid honesti ac justi a nobis exquiritis, in hoc parere volumus vo- bis, si autem contra hoc vultis, illuc revertemur liberaliter, unde ad vos venimus conditionaliter. Wippo p. 474. 173. Um den Misbrauch der Steuern gaͤnzlich abzu- ſchneiden, moͤchten die Staͤnde Mitverwalter derſelben ſeyn, einen Ausſchuß abordnen, daß der wie im Mittelalter den einen Schluͤſſel zum Landkaſten habe, die Regierung den andern. Sie duͤrfen es nicht. Eben weil ſie beurtheilen 10*

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/159>, abgerufen am 24.11.2024.