Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

der Platz des Kriegsministers war gerade durch einen To-
desfall erledigt, auf den Betrieb von Malesherbes trat
St. Germain an die Stelle. Was dem alten Herrn be-
sonders misfiel war das sogenannte königliche Haus im
Heere; denn diese königlichen Haustruppen oder Garden
bedeuteten in der Armee ungefähr das was die Parlamente
in der bürgerlichen Ordnung, eine Art Staat im Staate,
bei welchem an die gewöhnliche Disciplin gar nicht zu
denken war. Das war nun zwar im geringeren Grade bei
dem Fußvolk der Fall, welches aus sechs Bataillons fran-
zösischer Garden und vier Bataillons Schweizergarden be-
stand, im höchsten Grad aber bei der Reiterei, deren Kern
acht Escadrons Gardes du Corps bildeten. Denn alle
Gemeinen der berittenen Haustruppen waren Edelleute
mit Lieutenants-Rang. An diese am meisten bevorrechte-
ten Haustruppen schlossen sich dann wieder andere Truppen-
abtheilungen an, als Grenadiere zu Pferde, Gensdarmen,
Carabiniers, deren Officiere höheren Rang hatten als die
übrigen des Heeres. Durch das ganze Heer ging aber ein
tief greifender Misbrauch: die Officierstellen waren der
großen Mehrzahl nach käuflich und wurden eben darum
ohne Maß vervielfältigt; man konnte auf drei Gemeine
einen Officier zählen, die Unterofficiere mitgerechnet.
Man hatte 60,000 Officiere im Heere. Diese üble Weise
stammte von den letzten unglücklichen Kriegsjahren Lud-
wigs XIV. her, da jede Hülfsquelle benutzt ward, die der
erschöpften Staatscasse aufhelfen konnte. Denn nun machte

der Platz des Kriegsminiſters war gerade durch einen To-
desfall erledigt, auf den Betrieb von Malesherbes trat
St. Germain an die Stelle. Was dem alten Herrn be-
ſonders misfiel war das ſogenannte königliche Haus im
Heere; denn dieſe königlichen Haustruppen oder Garden
bedeuteten in der Armee ungefähr das was die Parlamente
in der bürgerlichen Ordnung, eine Art Staat im Staate,
bei welchem an die gewöhnliche Disciplin gar nicht zu
denken war. Das war nun zwar im geringeren Grade bei
dem Fußvolk der Fall, welches aus ſechs Bataillons fran-
zöſiſcher Garden und vier Bataillons Schweizergarden be-
ſtand, im höchſten Grad aber bei der Reiterei, deren Kern
acht Escadrons Gardes du Corps bildeten. Denn alle
Gemeinen der berittenen Haustruppen waren Edelleute
mit Lieutenants-Rang. An dieſe am meiſten bevorrechte-
ten Haustruppen ſchloſſen ſich dann wieder andere Truppen-
abtheilungen an, als Grenadiere zu Pferde, Gensdarmen,
Carabiniers, deren Officiere höheren Rang hatten als die
übrigen des Heeres. Durch das ganze Heer ging aber ein
tief greifender Misbrauch: die Officierſtellen waren der
großen Mehrzahl nach käuflich und wurden eben darum
ohne Maß vervielfältigt; man konnte auf drei Gemeine
einen Officier zählen, die Unterofficiere mitgerechnet.
Man hatte 60,000 Officiere im Heere. Dieſe üble Weiſe
ſtammte von den letzten unglücklichen Kriegsjahren Lud-
wigs XIV. her, da jede Hülfsquelle benutzt ward, die der
erſchöpften Staatscaſſe aufhelfen konnte. Denn nun machte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0070" n="60"/>
der Platz des Kriegsmini&#x017F;ters war gerade durch einen To-<lb/>
desfall erledigt, auf den Betrieb von Malesherbes trat<lb/>
St. Germain an die Stelle. Was dem alten Herrn be-<lb/>
&#x017F;onders misfiel war das &#x017F;ogenannte königliche Haus im<lb/>
Heere; denn die&#x017F;e königlichen Haustruppen oder Garden<lb/>
bedeuteten in der Armee ungefähr das was die Parlamente<lb/>
in der bürgerlichen Ordnung, eine Art Staat im Staate,<lb/>
bei welchem an die gewöhnliche Disciplin gar nicht zu<lb/>
denken war. Das war nun zwar im geringeren Grade bei<lb/>
dem Fußvolk der Fall, welches aus &#x017F;echs Bataillons fran-<lb/>&#x017F;i&#x017F;cher Garden und vier Bataillons Schweizergarden be-<lb/>
&#x017F;tand, im höch&#x017F;ten Grad aber bei der Reiterei, deren Kern<lb/>
acht Escadrons Gardes du Corps bildeten. Denn alle<lb/>
Gemeinen der berittenen Haustruppen waren Edelleute<lb/>
mit Lieutenants-Rang. An die&#x017F;e am mei&#x017F;ten bevorrechte-<lb/>
ten Haustruppen &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich dann wieder andere Truppen-<lb/>
abtheilungen an, als Grenadiere zu Pferde, Gensdarmen,<lb/>
Carabiniers, deren Officiere höheren Rang hatten als die<lb/>
übrigen des Heeres. Durch das ganze Heer ging aber ein<lb/>
tief greifender Misbrauch: die Officier&#x017F;tellen waren der<lb/>
großen Mehrzahl nach käuflich und wurden eben darum<lb/>
ohne Maß vervielfältigt; man konnte auf drei Gemeine<lb/>
einen Officier zählen, die Unterofficiere mitgerechnet.<lb/>
Man hatte 60,000 Officiere im Heere. Die&#x017F;e üble Wei&#x017F;e<lb/>
&#x017F;tammte von den letzten unglücklichen Kriegsjahren Lud-<lb/>
wigs <hi rendition="#aq">XIV.</hi> her, da jede Hülfsquelle benutzt ward, die der<lb/>
er&#x017F;chöpften Staatsca&#x017F;&#x017F;e aufhelfen konnte. Denn nun machte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0070] der Platz des Kriegsminiſters war gerade durch einen To- desfall erledigt, auf den Betrieb von Malesherbes trat St. Germain an die Stelle. Was dem alten Herrn be- ſonders misfiel war das ſogenannte königliche Haus im Heere; denn dieſe königlichen Haustruppen oder Garden bedeuteten in der Armee ungefähr das was die Parlamente in der bürgerlichen Ordnung, eine Art Staat im Staate, bei welchem an die gewöhnliche Disciplin gar nicht zu denken war. Das war nun zwar im geringeren Grade bei dem Fußvolk der Fall, welches aus ſechs Bataillons fran- zöſiſcher Garden und vier Bataillons Schweizergarden be- ſtand, im höchſten Grad aber bei der Reiterei, deren Kern acht Escadrons Gardes du Corps bildeten. Denn alle Gemeinen der berittenen Haustruppen waren Edelleute mit Lieutenants-Rang. An dieſe am meiſten bevorrechte- ten Haustruppen ſchloſſen ſich dann wieder andere Truppen- abtheilungen an, als Grenadiere zu Pferde, Gensdarmen, Carabiniers, deren Officiere höheren Rang hatten als die übrigen des Heeres. Durch das ganze Heer ging aber ein tief greifender Misbrauch: die Officierſtellen waren der großen Mehrzahl nach käuflich und wurden eben darum ohne Maß vervielfältigt; man konnte auf drei Gemeine einen Officier zählen, die Unterofficiere mitgerechnet. Man hatte 60,000 Officiere im Heere. Dieſe üble Weiſe ſtammte von den letzten unglücklichen Kriegsjahren Lud- wigs XIV. her, da jede Hülfsquelle benutzt ward, die der erſchöpften Staatscaſſe aufhelfen konnte. Denn nun machte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/70
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/70>, abgerufen am 01.05.2024.