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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

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der alte Pförtner steht unbeweglich die Hand auf dem Thür-
schlosse da, wartend ob er das Pförtchen öffne. Endlich
spricht der Präsident seine Meinung über den Gefangenen
aus; wer von den Geschworenen gerade noch wach ist --
denn einige schlummern unter Flaschen und Tellern hinge-
streckt auf der Bank, -- giebt seine Erklärung, und gewöhn-
lich öffnet sich dann die Todespforte. Der Gefangene wird
ins Freie gestoßen und findet dort den augenblicklichen Tod;
drinnen aber wird er ordentlich eingezeichnet, auch werden
einzelne Freisprechungsscheine ausgetheilt. Vor diesem
Tribunal mußte Montmorin, der vormalige Minister, er-
scheinen. Als er mit großer Heftigkeit gegen solche Richter
protestirte, sprach einer von ihnen zum Präsidenten: "Die
Verbrechen Montmorins sind bekannt, da er aber mit uns
nichts zu schaffen haben will, so verlange ich seine Abfüh-
rung nach La Force." "Ja nach La Force!" schrieen Alle.
Montmorin glaubte sich gerettet, allein es war das Stich-
wort für seinen Tod. In La Force rief man umgekehrt statt
des Todesurtheils: "Nach der Abtei." So sehr überlegt
war Alles. Allein man rückte über diesen Förmlichkeiten
langsam vorwärts. Die Gemeinderäthe Manuel und Bil-
laud-Varennes gingen ab und zu, die Geschworenen an-
feuernd, belobend. Letzterer sagte den blutigen Arbeitern
draußen jedem 24 Livres Tagelohn zu, ungerechnet natür-
lich, was die Erschlagenen von Geld und Gut an sich tru-
gen. Mehrere Tage und Nächte vergingen dennoch, ehe die
Abtei mit 122 Ermordeten ihr Geschäft abschloß; La Force

Französische Revolution. 30

der alte Pförtner ſteht unbeweglich die Hand auf dem Thür-
ſchloſſe da, wartend ob er das Pförtchen öffne. Endlich
ſpricht der Präſident ſeine Meinung über den Gefangenen
aus; wer von den Geſchworenen gerade noch wach iſt —
denn einige ſchlummern unter Flaſchen und Tellern hinge-
ſtreckt auf der Bank, — giebt ſeine Erklärung, und gewöhn-
lich öffnet ſich dann die Todespforte. Der Gefangene wird
ins Freie geſtoßen und findet dort den augenblicklichen Tod;
drinnen aber wird er ordentlich eingezeichnet, auch werden
einzelne Freiſprechungsſcheine ausgetheilt. Vor dieſem
Tribunal mußte Montmorin, der vormalige Miniſter, er-
ſcheinen. Als er mit großer Heftigkeit gegen ſolche Richter
proteſtirte, ſprach einer von ihnen zum Präſidenten: „Die
Verbrechen Montmorins ſind bekannt, da er aber mit uns
nichts zu ſchaffen haben will, ſo verlange ich ſeine Abfüh-
rung nach La Force.“ „Ja nach La Force!“ ſchrieen Alle.
Montmorin glaubte ſich gerettet, allein es war das Stich-
wort für ſeinen Tod. In La Force rief man umgekehrt ſtatt
des Todesurtheils: „Nach der Abtei.“ So ſehr überlegt
war Alles. Allein man rückte über dieſen Förmlichkeiten
langſam vorwärts. Die Gemeinderäthe Manuel und Bil-
laud-Varennes gingen ab und zu, die Geſchworenen an-
feuernd, belobend. Letzterer ſagte den blutigen Arbeitern
draußen jedem 24 Livres Tagelohn zu, ungerechnet natür-
lich, was die Erſchlagenen von Geld und Gut an ſich tru-
gen. Mehrere Tage und Nächte vergingen dennoch, ehe die
Abtei mit 122 Ermordeten ihr Geſchäft abſchloß; La Force

Franzöſiſche Revolution. 30
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[465/0475] der alte Pförtner ſteht unbeweglich die Hand auf dem Thür- ſchloſſe da, wartend ob er das Pförtchen öffne. Endlich ſpricht der Präſident ſeine Meinung über den Gefangenen aus; wer von den Geſchworenen gerade noch wach iſt — denn einige ſchlummern unter Flaſchen und Tellern hinge- ſtreckt auf der Bank, — giebt ſeine Erklärung, und gewöhn- lich öffnet ſich dann die Todespforte. Der Gefangene wird ins Freie geſtoßen und findet dort den augenblicklichen Tod; drinnen aber wird er ordentlich eingezeichnet, auch werden einzelne Freiſprechungsſcheine ausgetheilt. Vor dieſem Tribunal mußte Montmorin, der vormalige Miniſter, er- ſcheinen. Als er mit großer Heftigkeit gegen ſolche Richter proteſtirte, ſprach einer von ihnen zum Präſidenten: „Die Verbrechen Montmorins ſind bekannt, da er aber mit uns nichts zu ſchaffen haben will, ſo verlange ich ſeine Abfüh- rung nach La Force.“ „Ja nach La Force!“ ſchrieen Alle. Montmorin glaubte ſich gerettet, allein es war das Stich- wort für ſeinen Tod. In La Force rief man umgekehrt ſtatt des Todesurtheils: „Nach der Abtei.“ So ſehr überlegt war Alles. Allein man rückte über dieſen Förmlichkeiten langſam vorwärts. Die Gemeinderäthe Manuel und Bil- laud-Varennes gingen ab und zu, die Geſchworenen an- feuernd, belobend. Letzterer ſagte den blutigen Arbeitern draußen jedem 24 Livres Tagelohn zu, ungerechnet natür- lich, was die Erſchlagenen von Geld und Gut an ſich tru- gen. Mehrere Tage und Nächte vergingen dennoch, ehe die Abtei mit 122 Ermordeten ihr Geſchäft abſchloß; La Force Franzöſiſche Revolution. 30

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/475>, abgerufen am 27.04.2024.