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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

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kein Angriff, denn so gefiel es dem Herzog. Es blieb bei
der Kanonade, es sollte keine Schlacht von Valmy werden.
Wohl 20,000 Kanonenkugeln waren hin und wieder geflo-
gen, Hunderte lagen an jeder Seite todt und verwundet,
Nichts war geschehen und doch das Größte. Ein Pulver-
verknallen wie zum blutigen Scherz der Mächtigen war ge-
halten auf einer Stätte, in deren Nähe, wenige Meilen
von da, die gewaltigste Schlacht der beginnenden germa-
nischen Zeit, die des Attila geschlagen ward. Und doch
lag in dem Geplänkel von Valmy mehr Entscheidung für
die Menschengeschichte als auf den catalaunischen Feldern.
Am Abend des 20sten Septembers sank der Nebel der Täu-
schungen, welcher noch dick auf den Gemüthern desselben
Morgens lastete. Die größte Bestürzung nahm den Platz
des ungemessensten Selbstvertrauens ein, "jeder ging vor
sich hin, man sah sich nicht an, oder wenn es geschah,
so war es um zu fluchen oder zu verwünschen." In einem
Kreise, der am Abend in tiefer Finsterniß unter Sturm
und Regen lagerte (denn der Regen machte schon seit Wo-
chen alle Wege grundlos und brachte Tausende von Ruhr-
kranken hervor) befand sich Deutschlands Goethe, der im
Gefolge des Herzogs von Sachsen-Weimar kam. Als man
ihn um seine Meinung fragte, sprach er: "Von hier und
heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und
Ihr könnt sagen, Ihr seyd dabei gewesen."

Seit der Kanonade von Valmy und dem Rückzuge der
Preußen, wenig Tage hernach, schlug die französische Frei-

kein Angriff, denn ſo gefiel es dem Herzog. Es blieb bei
der Kanonade, es ſollte keine Schlacht von Valmy werden.
Wohl 20,000 Kanonenkugeln waren hin und wieder geflo-
gen, Hunderte lagen an jeder Seite todt und verwundet,
Nichts war geſchehen und doch das Größte. Ein Pulver-
verknallen wie zum blutigen Scherz der Mächtigen war ge-
halten auf einer Stätte, in deren Nähe, wenige Meilen
von da, die gewaltigſte Schlacht der beginnenden germa-
niſchen Zeit, die des Attila geſchlagen ward. Und doch
lag in dem Geplänkel von Valmy mehr Entſcheidung für
die Menſchengeſchichte als auf den catalauniſchen Feldern.
Am Abend des 20ſten Septembers ſank der Nebel der Täu-
ſchungen, welcher noch dick auf den Gemüthern desſelben
Morgens laſtete. Die größte Beſtürzung nahm den Platz
des ungemeſſenſten Selbſtvertrauens ein, „jeder ging vor
ſich hin, man ſah ſich nicht an, oder wenn es geſchah,
ſo war es um zu fluchen oder zu verwünſchen.“ In einem
Kreiſe, der am Abend in tiefer Finſterniß unter Sturm
und Regen lagerte (denn der Regen machte ſchon ſeit Wo-
chen alle Wege grundlos und brachte Tauſende von Ruhr-
kranken hervor) befand ſich Deutſchlands Goethe, der im
Gefolge des Herzogs von Sachſen-Weimar kam. Als man
ihn um ſeine Meinung fragte, ſprach er: „Von hier und
heute geht eine neue Epoche der Weltgeſchichte aus, und
Ihr könnt ſagen, Ihr ſeyd dabei geweſen.“

Seit der Kanonade von Valmy und dem Rückzuge der
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[458/0468] kein Angriff, denn ſo gefiel es dem Herzog. Es blieb bei der Kanonade, es ſollte keine Schlacht von Valmy werden. Wohl 20,000 Kanonenkugeln waren hin und wieder geflo- gen, Hunderte lagen an jeder Seite todt und verwundet, Nichts war geſchehen und doch das Größte. Ein Pulver- verknallen wie zum blutigen Scherz der Mächtigen war ge- halten auf einer Stätte, in deren Nähe, wenige Meilen von da, die gewaltigſte Schlacht der beginnenden germa- niſchen Zeit, die des Attila geſchlagen ward. Und doch lag in dem Geplänkel von Valmy mehr Entſcheidung für die Menſchengeſchichte als auf den catalauniſchen Feldern. Am Abend des 20ſten Septembers ſank der Nebel der Täu- ſchungen, welcher noch dick auf den Gemüthern desſelben Morgens laſtete. Die größte Beſtürzung nahm den Platz des ungemeſſenſten Selbſtvertrauens ein, „jeder ging vor ſich hin, man ſah ſich nicht an, oder wenn es geſchah, ſo war es um zu fluchen oder zu verwünſchen.“ In einem Kreiſe, der am Abend in tiefer Finſterniß unter Sturm und Regen lagerte (denn der Regen machte ſchon ſeit Wo- chen alle Wege grundlos und brachte Tauſende von Ruhr- kranken hervor) befand ſich Deutſchlands Goethe, der im Gefolge des Herzogs von Sachſen-Weimar kam. Als man ihn um ſeine Meinung fragte, ſprach er: „Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeſchichte aus, und Ihr könnt ſagen, Ihr ſeyd dabei geweſen.“ Seit der Kanonade von Valmy und dem Rückzuge der Preußen, wenig Tage hernach, ſchlug die franzöſiſche Frei-

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/468>, abgerufen am 28.04.2024.