persönlichen Interessen dem Glücke des Volks. Die Kö- nigin ward ebenfalls vernommen; ihre Aufgabe war leich- ter; sie hielt an der Pflicht der Gattin fest, Mann und Kinder nicht zu verlassen. Man fand ein Bild des Grames vor; ihre Haare waren in den wenigen Tagen weiß ge- worden. Nun siegte zwar in der Nationalversammlung nach heftigem Kampfe der Grundsatz ob daß der KönigJuli 15. nicht vor Gericht gestellt werden dürfe, allein wie wollte man diese Unverletzlichkeit seiner Person festhalten, wenn man den Tag darauf ihr Fundament, die Unverletzlichkeit seiner Würde, zu Trümmern schlug? Denn decretirt ward,Juli 16. die königliche Gewalt solle bis zu dem Zeitpuncte suspen- dirt seyn, da die Verfassungsurkunde dem Könige könne zur Annahme vorgelegt werden.
Unter solchen Umständen hätte der Rath, welchen der gepriesene Condorcet öfter im Gespräch mit geistreichen Freunden gab, alle Aufmerksamkeit verdient. Er läßt sich ungefähr so zusammenfassen. "Die Monarchie ist in ihre Elemente aufgelöst. Der König ist gefallen, lasset ihn lie- gen. Ihn wieder künstlich zu heben, den erklärten Feind Eurer Verfassung, um ihn dann von größerer Höhe den Todessturz thun zu lassen, wäre unmenschlich und wider- sinnig. Es wäre aber auch gefährlich; denn der Sturz des Wiedererhöhten erfordert eine neue Revolution, und sehet dann wohl zu, daß nicht auf den leeren Platz schnell- füßig die Anarchie sich setze." Befolgte man diesen Rath- schlag, that besonnen den von nun an unvermeidlichen
perſönlichen Intereſſen dem Glücke des Volks. Die Kö- nigin ward ebenfalls vernommen; ihre Aufgabe war leich- ter; ſie hielt an der Pflicht der Gattin feſt, Mann und Kinder nicht zu verlaſſen. Man fand ein Bild des Grames vor; ihre Haare waren in den wenigen Tagen weiß ge- worden. Nun ſiegte zwar in der Nationalverſammlung nach heftigem Kampfe der Grundſatz ob daß der KönigJuli 15. nicht vor Gericht geſtellt werden dürfe, allein wie wollte man dieſe Unverletzlichkeit ſeiner Perſon feſthalten, wenn man den Tag darauf ihr Fundament, die Unverletzlichkeit ſeiner Würde, zu Trümmern ſchlug? Denn decretirt ward,Juli 16. die königliche Gewalt ſolle bis zu dem Zeitpuncte ſuſpen- dirt ſeyn, da die Verfaſſungsurkunde dem Könige könne zur Annahme vorgelegt werden.
Unter ſolchen Umſtänden hätte der Rath, welchen der geprieſene Condorcet öfter im Geſpräch mit geiſtreichen Freunden gab, alle Aufmerkſamkeit verdient. Er läßt ſich ungefähr ſo zuſammenfaſſen. „Die Monarchie iſt in ihre Elemente aufgelöſt. Der König iſt gefallen, laſſet ihn lie- gen. Ihn wieder künſtlich zu heben, den erklärten Feind Eurer Verfaſſung, um ihn dann von größerer Höhe den Todesſturz thun zu laſſen, wäre unmenſchlich und wider- ſinnig. Es wäre aber auch gefährlich; denn der Sturz des Wiedererhöhten erfordert eine neue Revolution, und ſehet dann wohl zu, daß nicht auf den leeren Platz ſchnell- füßig die Anarchie ſich ſetze.“ Befolgte man dieſen Rath- ſchlag, that beſonnen den von nun an unvermeidlichen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0391"n="381"/>
perſönlichen Intereſſen dem Glücke des Volks. Die Kö-<lb/>
nigin ward ebenfalls vernommen; ihre Aufgabe war leich-<lb/>
ter; ſie hielt an der Pflicht der Gattin feſt, Mann und<lb/>
Kinder nicht zu verlaſſen. Man fand ein Bild des Grames<lb/>
vor; ihre Haare waren in den wenigen Tagen weiß ge-<lb/>
worden. Nun ſiegte zwar in der Nationalverſammlung<lb/>
nach heftigem Kampfe der Grundſatz ob daß der König<noteplace="right">Juli 15.</note><lb/>
nicht vor Gericht geſtellt werden dürfe, allein wie wollte<lb/>
man dieſe Unverletzlichkeit ſeiner Perſon feſthalten, wenn<lb/>
man den Tag darauf ihr Fundament, die Unverletzlichkeit<lb/>ſeiner Würde, zu Trümmern ſchlug? Denn decretirt ward,<noteplace="right">Juli 16.</note><lb/>
die königliche Gewalt ſolle bis zu dem Zeitpuncte ſuſpen-<lb/>
dirt ſeyn, da die Verfaſſungsurkunde dem Könige könne<lb/>
zur Annahme vorgelegt werden.</p><lb/><p>Unter ſolchen Umſtänden hätte der Rath, welchen der<lb/>
geprieſene Condorcet öfter im Geſpräch mit geiſtreichen<lb/>
Freunden gab, alle Aufmerkſamkeit verdient. Er läßt ſich<lb/>
ungefähr ſo zuſammenfaſſen. „Die Monarchie iſt in ihre<lb/>
Elemente aufgelöſt. Der König iſt gefallen, laſſet ihn lie-<lb/>
gen. Ihn wieder künſtlich zu heben, den erklärten Feind<lb/>
Eurer Verfaſſung, um ihn dann von größerer Höhe den<lb/>
Todesſturz thun zu laſſen, wäre unmenſchlich und wider-<lb/>ſinnig. Es wäre aber auch gefährlich; denn der Sturz<lb/>
des Wiedererhöhten erfordert eine neue Revolution, und<lb/>ſehet dann wohl zu, daß nicht auf den leeren Platz ſchnell-<lb/>
füßig die Anarchie ſich ſetze.“ Befolgte man dieſen Rath-<lb/>ſchlag, that beſonnen den von nun an unvermeidlichen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[381/0391]
perſönlichen Intereſſen dem Glücke des Volks. Die Kö-
nigin ward ebenfalls vernommen; ihre Aufgabe war leich-
ter; ſie hielt an der Pflicht der Gattin feſt, Mann und
Kinder nicht zu verlaſſen. Man fand ein Bild des Grames
vor; ihre Haare waren in den wenigen Tagen weiß ge-
worden. Nun ſiegte zwar in der Nationalverſammlung
nach heftigem Kampfe der Grundſatz ob daß der König
nicht vor Gericht geſtellt werden dürfe, allein wie wollte
man dieſe Unverletzlichkeit ſeiner Perſon feſthalten, wenn
man den Tag darauf ihr Fundament, die Unverletzlichkeit
ſeiner Würde, zu Trümmern ſchlug? Denn decretirt ward,
die königliche Gewalt ſolle bis zu dem Zeitpuncte ſuſpen-
dirt ſeyn, da die Verfaſſungsurkunde dem Könige könne
zur Annahme vorgelegt werden.
Juli 15.
Juli 16.
Unter ſolchen Umſtänden hätte der Rath, welchen der
geprieſene Condorcet öfter im Geſpräch mit geiſtreichen
Freunden gab, alle Aufmerkſamkeit verdient. Er läßt ſich
ungefähr ſo zuſammenfaſſen. „Die Monarchie iſt in ihre
Elemente aufgelöſt. Der König iſt gefallen, laſſet ihn lie-
gen. Ihn wieder künſtlich zu heben, den erklärten Feind
Eurer Verfaſſung, um ihn dann von größerer Höhe den
Todesſturz thun zu laſſen, wäre unmenſchlich und wider-
ſinnig. Es wäre aber auch gefährlich; denn der Sturz
des Wiedererhöhten erfordert eine neue Revolution, und
ſehet dann wohl zu, daß nicht auf den leeren Platz ſchnell-
füßig die Anarchie ſich ſetze.“ Befolgte man dieſen Rath-
ſchlag, that beſonnen den von nun an unvermeidlichen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/391>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.