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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

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persönlichen Interessen dem Glücke des Volks. Die Kö-
nigin ward ebenfalls vernommen; ihre Aufgabe war leich-
ter; sie hielt an der Pflicht der Gattin fest, Mann und
Kinder nicht zu verlassen. Man fand ein Bild des Grames
vor; ihre Haare waren in den wenigen Tagen weiß ge-
worden. Nun siegte zwar in der Nationalversammlung
nach heftigem Kampfe der Grundsatz ob daß der KönigJuli 15.
nicht vor Gericht gestellt werden dürfe, allein wie wollte
man diese Unverletzlichkeit seiner Person festhalten, wenn
man den Tag darauf ihr Fundament, die Unverletzlichkeit
seiner Würde, zu Trümmern schlug? Denn decretirt ward,Juli 16.
die königliche Gewalt solle bis zu dem Zeitpuncte suspen-
dirt seyn, da die Verfassungsurkunde dem Könige könne
zur Annahme vorgelegt werden.

Unter solchen Umständen hätte der Rath, welchen der
gepriesene Condorcet öfter im Gespräch mit geistreichen
Freunden gab, alle Aufmerksamkeit verdient. Er läßt sich
ungefähr so zusammenfassen. "Die Monarchie ist in ihre
Elemente aufgelöst. Der König ist gefallen, lasset ihn lie-
gen. Ihn wieder künstlich zu heben, den erklärten Feind
Eurer Verfassung, um ihn dann von größerer Höhe den
Todessturz thun zu lassen, wäre unmenschlich und wider-
sinnig. Es wäre aber auch gefährlich; denn der Sturz
des Wiedererhöhten erfordert eine neue Revolution, und
sehet dann wohl zu, daß nicht auf den leeren Platz schnell-
füßig die Anarchie sich setze." Befolgte man diesen Rath-
schlag, that besonnen den von nun an unvermeidlichen

perſönlichen Intereſſen dem Glücke des Volks. Die Kö-
nigin ward ebenfalls vernommen; ihre Aufgabe war leich-
ter; ſie hielt an der Pflicht der Gattin feſt, Mann und
Kinder nicht zu verlaſſen. Man fand ein Bild des Grames
vor; ihre Haare waren in den wenigen Tagen weiß ge-
worden. Nun ſiegte zwar in der Nationalverſammlung
nach heftigem Kampfe der Grundſatz ob daß der KönigJuli 15.
nicht vor Gericht geſtellt werden dürfe, allein wie wollte
man dieſe Unverletzlichkeit ſeiner Perſon feſthalten, wenn
man den Tag darauf ihr Fundament, die Unverletzlichkeit
ſeiner Würde, zu Trümmern ſchlug? Denn decretirt ward,Juli 16.
die königliche Gewalt ſolle bis zu dem Zeitpuncte ſuſpen-
dirt ſeyn, da die Verfaſſungsurkunde dem Könige könne
zur Annahme vorgelegt werden.

Unter ſolchen Umſtänden hätte der Rath, welchen der
geprieſene Condorcet öfter im Geſpräch mit geiſtreichen
Freunden gab, alle Aufmerkſamkeit verdient. Er läßt ſich
ungefähr ſo zuſammenfaſſen. „Die Monarchie iſt in ihre
Elemente aufgelöſt. Der König iſt gefallen, laſſet ihn lie-
gen. Ihn wieder künſtlich zu heben, den erklärten Feind
Eurer Verfaſſung, um ihn dann von größerer Höhe den
Todesſturz thun zu laſſen, wäre unmenſchlich und wider-
ſinnig. Es wäre aber auch gefährlich; denn der Sturz
des Wiedererhöhten erfordert eine neue Revolution, und
ſehet dann wohl zu, daß nicht auf den leeren Platz ſchnell-
füßig die Anarchie ſich ſetze.“ Befolgte man dieſen Rath-
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[381/0391] perſönlichen Intereſſen dem Glücke des Volks. Die Kö- nigin ward ebenfalls vernommen; ihre Aufgabe war leich- ter; ſie hielt an der Pflicht der Gattin feſt, Mann und Kinder nicht zu verlaſſen. Man fand ein Bild des Grames vor; ihre Haare waren in den wenigen Tagen weiß ge- worden. Nun ſiegte zwar in der Nationalverſammlung nach heftigem Kampfe der Grundſatz ob daß der König nicht vor Gericht geſtellt werden dürfe, allein wie wollte man dieſe Unverletzlichkeit ſeiner Perſon feſthalten, wenn man den Tag darauf ihr Fundament, die Unverletzlichkeit ſeiner Würde, zu Trümmern ſchlug? Denn decretirt ward, die königliche Gewalt ſolle bis zu dem Zeitpuncte ſuſpen- dirt ſeyn, da die Verfaſſungsurkunde dem Könige könne zur Annahme vorgelegt werden. Juli 15. Juli 16. Unter ſolchen Umſtänden hätte der Rath, welchen der geprieſene Condorcet öfter im Geſpräch mit geiſtreichen Freunden gab, alle Aufmerkſamkeit verdient. Er läßt ſich ungefähr ſo zuſammenfaſſen. „Die Monarchie iſt in ihre Elemente aufgelöſt. Der König iſt gefallen, laſſet ihn lie- gen. Ihn wieder künſtlich zu heben, den erklärten Feind Eurer Verfaſſung, um ihn dann von größerer Höhe den Todesſturz thun zu laſſen, wäre unmenſchlich und wider- ſinnig. Es wäre aber auch gefährlich; denn der Sturz des Wiedererhöhten erfordert eine neue Revolution, und ſehet dann wohl zu, daß nicht auf den leeren Platz ſchnell- füßig die Anarchie ſich ſetze.“ Befolgte man dieſen Rath- ſchlag, that beſonnen den von nun an unvermeidlichen

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/391>, abgerufen am 14.05.2024.