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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

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stolzer Geist raffte sich immer wieder auf. Eine Unsterb-
lichkeit sollen ihm seine Widersacher nicht rauben, den
Ruhm, der Freiheit einen Boden gegeben zu haben, in
Frankreich und durch Frankreich in Europa, -- denn er
blickte gern hinaus auf die ganze bürgerliche Gesellschaft
im Welttheile. Der träge Ballast des Mittelalters ist fort-
geschafft, das Lehnswesen unwiederbringlich vernichtet,
frei der Boden des Landmanns und sein Geschäft; auch
an die Veraltungen des Kirchenthums ist die Art gelegt,
keine Staatsreligion mehr, keine Herrschaft Roms über
den Staat. So trieb er vor aller Welt Augen das Werk
der Neugestaltung weiter, sinniger freilich als die Andern
der linken Seite, aber doch wirklich während er im Ver-
borgenen sich zur Wiederherstellung der Ordnung an Men-
schen verpfändet hat, die in seiner Ordnung stets nur Un-
ordnung erblicken werden. Hätte er also wirklich den Kö-
nig getäuscht? oder beide Theile? Vor dem König, der
Königin und Montmorin wollte er Ruhe haben, wenn er
gelegentlich sagte, er stelle diese Dinge an, damit sich die
Nationalversammlung ihr eigenes Grab grabe. Denn das
war nicht der Fall; er achtete aufrichtig die rasche Besei-
tigung morscher Zustände für ein hohes Verdienst um die
Zukunft, obgleich er, wäre ihm freie Hand gegeben, die
Masse der Streitfragen, welche Frankreich isoliren muß-
ten, nicht so gehäuft haben würde. Aber so viele Vor-
würfe auch gegen ihn ausgesprochen sind, dessen hat ihn
niemand noch zu beschuldigen gewagt, die Rathschläge,

ſtolzer Geiſt raffte ſich immer wieder auf. Eine Unſterb-
lichkeit ſollen ihm ſeine Widerſacher nicht rauben, den
Ruhm, der Freiheit einen Boden gegeben zu haben, in
Frankreich und durch Frankreich in Europa, — denn er
blickte gern hinaus auf die ganze bürgerliche Geſellſchaft
im Welttheile. Der träge Ballaſt des Mittelalters iſt fort-
geſchafft, das Lehnsweſen unwiederbringlich vernichtet,
frei der Boden des Landmanns und ſein Geſchäft; auch
an die Veraltungen des Kirchenthums iſt die Art gelegt,
keine Staatsreligion mehr, keine Herrſchaft Roms über
den Staat. So trieb er vor aller Welt Augen das Werk
der Neugeſtaltung weiter, ſinniger freilich als die Andern
der linken Seite, aber doch wirklich während er im Ver-
borgenen ſich zur Wiederherſtellung der Ordnung an Men-
ſchen verpfändet hat, die in ſeiner Ordnung ſtets nur Un-
ordnung erblicken werden. Hätte er alſo wirklich den Kö-
nig getäuſcht? oder beide Theile? Vor dem König, der
Königin und Montmorin wollte er Ruhe haben, wenn er
gelegentlich ſagte, er ſtelle dieſe Dinge an, damit ſich die
Nationalverſammlung ihr eigenes Grab grabe. Denn das
war nicht der Fall; er achtete aufrichtig die raſche Beſei-
tigung morſcher Zuſtände für ein hohes Verdienſt um die
Zukunft, obgleich er, wäre ihm freie Hand gegeben, die
Maſſe der Streitfragen, welche Frankreich iſoliren muß-
ten, nicht ſo gehäuft haben würde. Aber ſo viele Vor-
würfe auch gegen ihn ausgeſprochen ſind, deſſen hat ihn
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[351/0361] ſtolzer Geiſt raffte ſich immer wieder auf. Eine Unſterb- lichkeit ſollen ihm ſeine Widerſacher nicht rauben, den Ruhm, der Freiheit einen Boden gegeben zu haben, in Frankreich und durch Frankreich in Europa, — denn er blickte gern hinaus auf die ganze bürgerliche Geſellſchaft im Welttheile. Der träge Ballaſt des Mittelalters iſt fort- geſchafft, das Lehnsweſen unwiederbringlich vernichtet, frei der Boden des Landmanns und ſein Geſchäft; auch an die Veraltungen des Kirchenthums iſt die Art gelegt, keine Staatsreligion mehr, keine Herrſchaft Roms über den Staat. So trieb er vor aller Welt Augen das Werk der Neugeſtaltung weiter, ſinniger freilich als die Andern der linken Seite, aber doch wirklich während er im Ver- borgenen ſich zur Wiederherſtellung der Ordnung an Men- ſchen verpfändet hat, die in ſeiner Ordnung ſtets nur Un- ordnung erblicken werden. Hätte er alſo wirklich den Kö- nig getäuſcht? oder beide Theile? Vor dem König, der Königin und Montmorin wollte er Ruhe haben, wenn er gelegentlich ſagte, er ſtelle dieſe Dinge an, damit ſich die Nationalverſammlung ihr eigenes Grab grabe. Denn das war nicht der Fall; er achtete aufrichtig die raſche Beſei- tigung morſcher Zuſtände für ein hohes Verdienſt um die Zukunft, obgleich er, wäre ihm freie Hand gegeben, die Maſſe der Streitfragen, welche Frankreich iſoliren muß- ten, nicht ſo gehäuft haben würde. Aber ſo viele Vor- würfe auch gegen ihn ausgeſprochen ſind, deſſen hat ihn niemand noch zu beſchuldigen gewagt, die Rathſchläge,

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/361>, abgerufen am 14.05.2024.