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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

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die Stürme der Zeit nicht zu vermehren, zurückhielt, so
wagte er von der anderen Seite nicht mit seiner wahren
Ansicht herauszutreten. Denn innerlich war er der Mei-
nung, die er auch vor Vertrauten kundgab, dem Staate
sey genug geschehen, wenn es bei dem gewöhnlichen Bür-
gereide bleibe, welchen die geistlichen Mitglieder der Na-
tionalversammlung bereits geleistet hatten, und er billigte
weder das öffentliche Aufsehn des Namensaufrufes, noch
überhaupt daß man zu einem Thun wider die Überzeu-
gung zwinge oder eine Unterlassung durch Entsetzung strafe.
Aber seine Einsicht blieb thatlos. Das Einzige, was er
vollbrachte, war eine Maßregel, die der drohenden Ver-
ödung so vieler Kirchenämter vorbeugen sollte; denn die
Nationalversammlung genehmigte auf seinen Vorschlag,
daß von nun an ein fünfjähriger Kirchendienst, statt eines
fünfzehnjährigen, zum Pfarramte befähigen sollte und nach
Verhältniß so weiter in den höheren Kirchenwürden.

Soll man nun Mirabeau's ganzes Treiben, seit er
den Bund mit der Krone geschlossen, als eine Handlungs-
weise betrachten, die ihr eigenes Werk zerstört? und sie
verurtheilen als das Zeugniß einer Gesinnung voll inneren
unlauteren Widerspruches? Ganz gewiß muß man das
Erste bis zu einem gewissen Puncte, aber schwerlich darf
man Letzteres. Der Schlüssel liegt nahe genug; wer ihn
aber brauchen will, darf das innerste Wollen dieses wun-
derbaren Mannes nicht mit seiner Lage vermengen, er
muß beide aus einander zu halten wissen, so oft sie auch

die Stürme der Zeit nicht zu vermehren, zurückhielt, ſo
wagte er von der anderen Seite nicht mit ſeiner wahren
Anſicht herauszutreten. Denn innerlich war er der Mei-
nung, die er auch vor Vertrauten kundgab, dem Staate
ſey genug geſchehen, wenn es bei dem gewöhnlichen Bür-
gereide bleibe, welchen die geiſtlichen Mitglieder der Na-
tionalverſammlung bereits geleiſtet hatten, und er billigte
weder das öffentliche Aufſehn des Namensaufrufes, noch
überhaupt daß man zu einem Thun wider die Überzeu-
gung zwinge oder eine Unterlaſſung durch Entſetzung ſtrafe.
Aber ſeine Einſicht blieb thatlos. Das Einzige, was er
vollbrachte, war eine Maßregel, die der drohenden Ver-
ödung ſo vieler Kirchenämter vorbeugen ſollte; denn die
Nationalverſammlung genehmigte auf ſeinen Vorſchlag,
daß von nun an ein fünfjähriger Kirchendienſt, ſtatt eines
fünfzehnjährigen, zum Pfarramte befähigen ſollte und nach
Verhältniß ſo weiter in den höheren Kirchenwürden.

Soll man nun Mirabeau’s ganzes Treiben, ſeit er
den Bund mit der Krone geſchloſſen, als eine Handlungs-
weiſe betrachten, die ihr eigenes Werk zerſtört? und ſie
verurtheilen als das Zeugniß einer Geſinnung voll inneren
unlauteren Widerſpruches? Ganz gewiß muß man das
Erſte bis zu einem gewiſſen Puncte, aber ſchwerlich darf
man Letzteres. Der Schlüſſel liegt nahe genug; wer ihn
aber brauchen will, darf das innerſte Wollen dieſes wun-
derbaren Mannes nicht mit ſeiner Lage vermengen, er
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[349/0359] die Stürme der Zeit nicht zu vermehren, zurückhielt, ſo wagte er von der anderen Seite nicht mit ſeiner wahren Anſicht herauszutreten. Denn innerlich war er der Mei- nung, die er auch vor Vertrauten kundgab, dem Staate ſey genug geſchehen, wenn es bei dem gewöhnlichen Bür- gereide bleibe, welchen die geiſtlichen Mitglieder der Na- tionalverſammlung bereits geleiſtet hatten, und er billigte weder das öffentliche Aufſehn des Namensaufrufes, noch überhaupt daß man zu einem Thun wider die Überzeu- gung zwinge oder eine Unterlaſſung durch Entſetzung ſtrafe. Aber ſeine Einſicht blieb thatlos. Das Einzige, was er vollbrachte, war eine Maßregel, die der drohenden Ver- ödung ſo vieler Kirchenämter vorbeugen ſollte; denn die Nationalverſammlung genehmigte auf ſeinen Vorſchlag, daß von nun an ein fünfjähriger Kirchendienſt, ſtatt eines fünfzehnjährigen, zum Pfarramte befähigen ſollte und nach Verhältniß ſo weiter in den höheren Kirchenwürden. Soll man nun Mirabeau’s ganzes Treiben, ſeit er den Bund mit der Krone geſchloſſen, als eine Handlungs- weiſe betrachten, die ihr eigenes Werk zerſtört? und ſie verurtheilen als das Zeugniß einer Geſinnung voll inneren unlauteren Widerſpruches? Ganz gewiß muß man das Erſte bis zu einem gewiſſen Puncte, aber ſchwerlich darf man Letzteres. Der Schlüſſel liegt nahe genug; wer ihn aber brauchen will, darf das innerſte Wollen dieſes wun- derbaren Mannes nicht mit ſeiner Lage vermengen, er muß beide aus einander zu halten wiſſen, ſo oft ſie auch

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/359>, abgerufen am 14.05.2024.