gedrückt, zuletzt sogar für seine persönliche Sicherheit in Sorgen, nahm und empfing er seinen Abschied. Ein freund-Sept. 4. liches Wort, er gesteht es selbst, hätte ihn zum Bleiben bewogen, allein die Nationalversammlung schien seinen Abgang kaum zu beachten. Zweimal auf seiner Reise an- gehalten, gleich als ob er der Gerechtigkeit entrinnen wolle, er der zwei Millionen von seinem Vermögen dem Schatze geliehen hatte, bedurfte er der Dazwischenkunft der Nationalversammlung, um unter vielfachen Kränkun- gen in die Schweiz zu gelangen. Neckers politische Lauf- bahn ist hiemit zu Ende. Seine Zurückgezogenheit stützte ein reines Gewissen und eine nie getrübte, in seiner Schriftstellerei durchweg ausgeprägte wunderbare Selbst- zufriedenheit mit allen seinen staatsmännischen Leistungen. "Malebranche," sprach Mirabeau, "sieht Alles in Gott, Necker Alles in Necker."
Was Neckern zunächst forttrieb, war die obschwebende finanzielle Frage. Man hatte bereits 330 Millionen As- signaten ausgegeben und beschlossen sie auf 400 Millionen zu bringen. Wollte man auf diesem Wege fortfahren, so mußte man denjenigen Recht geben, welche zwei Milliar- den Assignaten forderten. Necker war keineswegs dieser Meinung; er bewies daß man mit 200 Millionen neuer Assignaten die Bedürfnisse des öffentlichen Dienstes decken könne, rieth hier anzuhalten, alle rückständige Verbind- lichkeiten mit Schuldscheinen zu 5 Procent verzinslich zu bestreiten. Schon verloren in den Departements die As-
22*
gedrückt, zuletzt ſogar für ſeine perſönliche Sicherheit in Sorgen, nahm und empfing er ſeinen Abſchied. Ein freund-Sept. 4. liches Wort, er geſteht es ſelbſt, hätte ihn zum Bleiben bewogen, allein die Nationalverſammlung ſchien ſeinen Abgang kaum zu beachten. Zweimal auf ſeiner Reiſe an- gehalten, gleich als ob er der Gerechtigkeit entrinnen wolle, er der zwei Millionen von ſeinem Vermögen dem Schatze geliehen hatte, bedurfte er der Dazwiſchenkunft der Nationalverſammlung, um unter vielfachen Kränkun- gen in die Schweiz zu gelangen. Neckers politiſche Lauf- bahn iſt hiemit zu Ende. Seine Zurückgezogenheit ſtützte ein reines Gewiſſen und eine nie getrübte, in ſeiner Schriftſtellerei durchweg ausgeprägte wunderbare Selbſt- zufriedenheit mit allen ſeinen ſtaatsmänniſchen Leiſtungen. „Malebranche,“ ſprach Mirabeau, „ſieht Alles in Gott, Necker Alles in Necker.“
Was Neckern zunächſt forttrieb, war die obſchwebende finanzielle Frage. Man hatte bereits 330 Millionen Aſ- ſignaten ausgegeben und beſchloſſen ſie auf 400 Millionen zu bringen. Wollte man auf dieſem Wege fortfahren, ſo mußte man denjenigen Recht geben, welche zwei Milliar- den Aſſignaten forderten. Necker war keineswegs dieſer Meinung; er bewies daß man mit 200 Millionen neuer Aſſignaten die Bedürfniſſe des öffentlichen Dienſtes decken könne, rieth hier anzuhalten, alle rückſtändige Verbind- lichkeiten mit Schuldſcheinen zu 5 Procent verzinslich zu beſtreiten. Schon verloren in den Departements die Aſ-
22*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0349"n="339"/>
gedrückt, zuletzt ſogar für ſeine perſönliche Sicherheit in<lb/>
Sorgen, nahm und empfing er ſeinen Abſchied. Ein freund-<noteplace="right">Sept. 4.</note><lb/>
liches Wort, er geſteht es ſelbſt, hätte ihn zum Bleiben<lb/>
bewogen, allein die Nationalverſammlung ſchien ſeinen<lb/>
Abgang kaum zu beachten. Zweimal auf ſeiner Reiſe an-<lb/>
gehalten, gleich als ob er der Gerechtigkeit entrinnen<lb/>
wolle, er der zwei Millionen von ſeinem Vermögen dem<lb/>
Schatze geliehen hatte, bedurfte er der Dazwiſchenkunft<lb/>
der Nationalverſammlung, um unter vielfachen Kränkun-<lb/>
gen in die Schweiz zu gelangen. Neckers politiſche Lauf-<lb/>
bahn iſt hiemit zu Ende. Seine Zurückgezogenheit ſtützte<lb/>
ein reines Gewiſſen und eine nie getrübte, in ſeiner<lb/>
Schriftſtellerei durchweg ausgeprägte wunderbare Selbſt-<lb/>
zufriedenheit mit allen ſeinen ſtaatsmänniſchen Leiſtungen.<lb/>„Malebranche,“ſprach Mirabeau, „ſieht Alles in Gott,<lb/>
Necker Alles in Necker.“</p><lb/><p>Was Neckern zunächſt forttrieb, war die obſchwebende<lb/>
finanzielle Frage. Man hatte bereits 330 Millionen Aſ-<lb/>ſignaten ausgegeben und beſchloſſen ſie auf 400 Millionen<lb/>
zu bringen. Wollte man auf dieſem Wege fortfahren, ſo<lb/>
mußte man denjenigen Recht geben, welche zwei Milliar-<lb/>
den Aſſignaten forderten. Necker war keineswegs dieſer<lb/>
Meinung; er bewies daß man mit 200 Millionen neuer<lb/>
Aſſignaten die Bedürfniſſe des öffentlichen Dienſtes decken<lb/>
könne, rieth hier anzuhalten, alle rückſtändige Verbind-<lb/>
lichkeiten mit Schuldſcheinen zu 5 Procent verzinslich zu<lb/>
beſtreiten. Schon verloren in den Departements die Aſ-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">22*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[339/0349]
gedrückt, zuletzt ſogar für ſeine perſönliche Sicherheit in
Sorgen, nahm und empfing er ſeinen Abſchied. Ein freund-
liches Wort, er geſteht es ſelbſt, hätte ihn zum Bleiben
bewogen, allein die Nationalverſammlung ſchien ſeinen
Abgang kaum zu beachten. Zweimal auf ſeiner Reiſe an-
gehalten, gleich als ob er der Gerechtigkeit entrinnen
wolle, er der zwei Millionen von ſeinem Vermögen dem
Schatze geliehen hatte, bedurfte er der Dazwiſchenkunft
der Nationalverſammlung, um unter vielfachen Kränkun-
gen in die Schweiz zu gelangen. Neckers politiſche Lauf-
bahn iſt hiemit zu Ende. Seine Zurückgezogenheit ſtützte
ein reines Gewiſſen und eine nie getrübte, in ſeiner
Schriftſtellerei durchweg ausgeprägte wunderbare Selbſt-
zufriedenheit mit allen ſeinen ſtaatsmänniſchen Leiſtungen.
„Malebranche,“ ſprach Mirabeau, „ſieht Alles in Gott,
Necker Alles in Necker.“
Sept. 4.
Was Neckern zunächſt forttrieb, war die obſchwebende
finanzielle Frage. Man hatte bereits 330 Millionen Aſ-
ſignaten ausgegeben und beſchloſſen ſie auf 400 Millionen
zu bringen. Wollte man auf dieſem Wege fortfahren, ſo
mußte man denjenigen Recht geben, welche zwei Milliar-
den Aſſignaten forderten. Necker war keineswegs dieſer
Meinung; er bewies daß man mit 200 Millionen neuer
Aſſignaten die Bedürfniſſe des öffentlichen Dienſtes decken
könne, rieth hier anzuhalten, alle rückſtändige Verbind-
lichkeiten mit Schuldſcheinen zu 5 Procent verzinslich zu
beſtreiten. Schon verloren in den Departements die Aſ-
22*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/349>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.