Eine Maßregel dieser Art ging besonders die Geistlichkeit an; und da war es nun wiederum keine kleine Aufgabe sich zwischen den Stufen des Altars und den Büchern der Philosophen durchzuwinden, welche durchaus von keinen solchen Privilegien mehr und am wenigsten zu Gunsten des Klerus wissen wollten, und deren Lehren in jedermanns Munde waren. Lag es aber nicht ohnehin in der Natur der Sache daß man im Volk sich nach der Wurzel der Misbräuche erkundigte, an welche die Art gelegt werden sollte? In ei- ner noch hoffnungslosen Zeit, als man neuerlich die Par- lamente aufhob, erschienen hunderte von Flugschriften; in vielen derselben wurden Reichsstände verlangt und die Verfasser behaupteten, das Volk habe ein Recht darauf. Eine dieser Schriften forderte die Franzosen auf die Steuern zu verweigern, bis die Nation wieder im Besitze ihrer Rechte sey.
Wenn von dieser grausamen Verkettung der Verhält- nisse auch nur einige wenige Kettenglieder dem Auge des jungen Königspaares vorschwebten, so begreift sich leicht, wie ihm in jener ernsten Stunde zu Muthe seyn mußte, als ein plötzliches Gewoge im Schlosse, das Gedonner vieler nahenden Schritte beiden die Verkündigung gab, nun sey der alte König todt. Sie warfen sich nieder auf die Kniee und beteten laut: "Mein Gott, leite und behüte uns! wir sind noch zu jung zu herrschen!"
Eine Maßregel dieſer Art ging beſonders die Geiſtlichkeit an; und da war es nun wiederum keine kleine Aufgabe ſich zwiſchen den Stufen des Altars und den Büchern der Philoſophen durchzuwinden, welche durchaus von keinen ſolchen Privilegien mehr und am wenigſten zu Gunſten des Klerus wiſſen wollten, und deren Lehren in jedermanns Munde waren. Lag es aber nicht ohnehin in der Natur der Sache daß man im Volk ſich nach der Wurzel der Misbräuche erkundigte, an welche die Art gelegt werden ſollte? In ei- ner noch hoffnungsloſen Zeit, als man neuerlich die Par- lamente aufhob, erſchienen hunderte von Flugſchriften; in vielen derſelben wurden Reichsſtände verlangt und die Verfaſſer behaupteten, das Volk habe ein Recht darauf. Eine dieſer Schriften forderte die Franzoſen auf die Steuern zu verweigern, bis die Nation wieder im Beſitze ihrer Rechte ſey.
Wenn von dieſer grauſamen Verkettung der Verhält- niſſe auch nur einige wenige Kettenglieder dem Auge des jungen Königspaares vorſchwebten, ſo begreift ſich leicht, wie ihm in jener ernſten Stunde zu Muthe ſeyn mußte, als ein plötzliches Gewoge im Schloſſe, das Gedonner vieler nahenden Schritte beiden die Verkündigung gab, nun ſey der alte König todt. Sie warfen ſich nieder auf die Kniee und beteten laut: „Mein Gott, leite und behüte uns! wir ſind noch zu jung zu herrſchen!“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0034"n="24"/>
Eine Maßregel dieſer Art ging beſonders die Geiſtlichkeit<lb/>
an; und da war es nun wiederum keine kleine Aufgabe<lb/>ſich zwiſchen den Stufen des Altars und den Büchern der<lb/>
Philoſophen durchzuwinden, welche durchaus von keinen<lb/>ſolchen Privilegien mehr und am wenigſten zu Gunſten<lb/>
des Klerus wiſſen wollten, und deren Lehren in jedermanns<lb/>
Munde waren. Lag es aber nicht ohnehin in der Natur der<lb/>
Sache daß man im Volk ſich nach der Wurzel der Misbräuche<lb/>
erkundigte, an welche die Art gelegt werden ſollte? In ei-<lb/>
ner noch hoffnungsloſen Zeit, als man neuerlich die Par-<lb/>
lamente aufhob, erſchienen hunderte von Flugſchriften; in<lb/>
vielen derſelben wurden Reichsſtände verlangt und die<lb/>
Verfaſſer behaupteten, das Volk habe ein Recht darauf.<lb/>
Eine dieſer Schriften forderte die Franzoſen auf die Steuern<lb/>
zu verweigern, bis die Nation wieder im Beſitze ihrer<lb/>
Rechte ſey.</p><lb/><p>Wenn von dieſer grauſamen Verkettung der Verhält-<lb/>
niſſe auch nur einige wenige Kettenglieder dem Auge des<lb/>
jungen Königspaares vorſchwebten, ſo begreift ſich leicht,<lb/>
wie ihm in jener ernſten Stunde zu Muthe ſeyn mußte,<lb/>
als ein plötzliches Gewoge im Schloſſe, das Gedonner<lb/>
vieler nahenden Schritte beiden die Verkündigung gab,<lb/>
nun ſey der alte König todt. Sie warfen ſich nieder auf die<lb/>
Kniee und beteten laut: „Mein Gott, leite und behüte<lb/>
uns! wir ſind noch zu jung zu herrſchen!“</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body></text></TEI>
[24/0034]
Eine Maßregel dieſer Art ging beſonders die Geiſtlichkeit
an; und da war es nun wiederum keine kleine Aufgabe
ſich zwiſchen den Stufen des Altars und den Büchern der
Philoſophen durchzuwinden, welche durchaus von keinen
ſolchen Privilegien mehr und am wenigſten zu Gunſten
des Klerus wiſſen wollten, und deren Lehren in jedermanns
Munde waren. Lag es aber nicht ohnehin in der Natur der
Sache daß man im Volk ſich nach der Wurzel der Misbräuche
erkundigte, an welche die Art gelegt werden ſollte? In ei-
ner noch hoffnungsloſen Zeit, als man neuerlich die Par-
lamente aufhob, erſchienen hunderte von Flugſchriften; in
vielen derſelben wurden Reichsſtände verlangt und die
Verfaſſer behaupteten, das Volk habe ein Recht darauf.
Eine dieſer Schriften forderte die Franzoſen auf die Steuern
zu verweigern, bis die Nation wieder im Beſitze ihrer
Rechte ſey.
Wenn von dieſer grauſamen Verkettung der Verhält-
niſſe auch nur einige wenige Kettenglieder dem Auge des
jungen Königspaares vorſchwebten, ſo begreift ſich leicht,
wie ihm in jener ernſten Stunde zu Muthe ſeyn mußte,
als ein plötzliches Gewoge im Schloſſe, das Gedonner
vieler nahenden Schritte beiden die Verkündigung gab,
nun ſey der alte König todt. Sie warfen ſich nieder auf die
Kniee und beteten laut: „Mein Gott, leite und behüte
uns! wir ſind noch zu jung zu herrſchen!“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/34>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.