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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

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königthum, von keiner erblichen Aristokratie umkleidet,
wie ein nackter, viel umstürmter Thurm auf weiter Ebene
da, dessen Baustyl niemand so leicht begreift. In Be-
zug auf die Geistlichkeit hätte Mirabeau gewünscht, daß
man sie in Ruhe lasse. Niemand sah klarer als er vor-
aus, welche Folgen es haben werde, wenn der Gedanke,
die Geistlichen ganz in die bürgerlichen Beamten einzu-
reihen, sie mithin von den Wählern der Districte wäh-
len zu lassen, zur Ausführung käme. Man drängte da-
durch den König auf einen Punct hin, auf welchem
auch die Schwachen stark zu seyn pflegen; denn er konnte
von nun an nicht mehr mit unbeschwertem Gewissen die
Constitution annehmen. Man ließ ihm die Wahl zwi-
schen der Krone und seinem Glauben; gab er leicht ge-
sinnt der Krone den Vorzug, treu konnte er einer Ver-
fassung nicht seyn, die ihn untreu gegen sich selbst ge-
macht hatte. Allein das war doch nur die kleinere
Hälfte der Gefahr. Wenn Decrete der Nationalversamm-
lung die römischkatholische Kirchenverfassung in die Luft
sprengten, so hieß das nicht bloß das neue Frankreich
vollends isoliren in der Staatengesellschaft, es hieß zu
der politischen Entzweiung einen unabsehlichen Streit
religiöser Überzeugungen fügen, hieß nach manchen An-
zeichen das Signal zum bürgerlichen Kriege geben. Hier
den Kampf für die Kirchenverfassung aufzunehmen, zu
warnen vor dem Abgrunde, welchem man entgegenging,
wäre auch eines von kirchlichen Überzeugungen unberühr-

königthum, von keiner erblichen Ariſtokratie umkleidet,
wie ein nackter, viel umſtürmter Thurm auf weiter Ebene
da, deſſen Bauſtyl niemand ſo leicht begreift. In Be-
zug auf die Geiſtlichkeit hätte Mirabeau gewünſcht, daß
man ſie in Ruhe laſſe. Niemand ſah klarer als er vor-
aus, welche Folgen es haben werde, wenn der Gedanke,
die Geiſtlichen ganz in die bürgerlichen Beamten einzu-
reihen, ſie mithin von den Wählern der Diſtricte wäh-
len zu laſſen, zur Ausführung käme. Man drängte da-
durch den König auf einen Punct hin, auf welchem
auch die Schwachen ſtark zu ſeyn pflegen; denn er konnte
von nun an nicht mehr mit unbeſchwertem Gewiſſen die
Conſtitution annehmen. Man ließ ihm die Wahl zwi-
ſchen der Krone und ſeinem Glauben; gab er leicht ge-
ſinnt der Krone den Vorzug, treu konnte er einer Ver-
faſſung nicht ſeyn, die ihn untreu gegen ſich ſelbſt ge-
macht hatte. Allein das war doch nur die kleinere
Hälfte der Gefahr. Wenn Decrete der Nationalverſamm-
lung die römiſchkatholiſche Kirchenverfaſſung in die Luft
ſprengten, ſo hieß das nicht bloß das neue Frankreich
vollends iſoliren in der Staatengeſellſchaft, es hieß zu
der politiſchen Entzweiung einen unabſehlichen Streit
religiöſer Überzeugungen fügen, hieß nach manchen An-
zeichen das Signal zum bürgerlichen Kriege geben. Hier
den Kampf für die Kirchenverfaſſung aufzunehmen, zu
warnen vor dem Abgrunde, welchem man entgegenging,
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[329/0339] königthum, von keiner erblichen Ariſtokratie umkleidet, wie ein nackter, viel umſtürmter Thurm auf weiter Ebene da, deſſen Bauſtyl niemand ſo leicht begreift. In Be- zug auf die Geiſtlichkeit hätte Mirabeau gewünſcht, daß man ſie in Ruhe laſſe. Niemand ſah klarer als er vor- aus, welche Folgen es haben werde, wenn der Gedanke, die Geiſtlichen ganz in die bürgerlichen Beamten einzu- reihen, ſie mithin von den Wählern der Diſtricte wäh- len zu laſſen, zur Ausführung käme. Man drängte da- durch den König auf einen Punct hin, auf welchem auch die Schwachen ſtark zu ſeyn pflegen; denn er konnte von nun an nicht mehr mit unbeſchwertem Gewiſſen die Conſtitution annehmen. Man ließ ihm die Wahl zwi- ſchen der Krone und ſeinem Glauben; gab er leicht ge- ſinnt der Krone den Vorzug, treu konnte er einer Ver- faſſung nicht ſeyn, die ihn untreu gegen ſich ſelbſt ge- macht hatte. Allein das war doch nur die kleinere Hälfte der Gefahr. Wenn Decrete der Nationalverſamm- lung die römiſchkatholiſche Kirchenverfaſſung in die Luft ſprengten, ſo hieß das nicht bloß das neue Frankreich vollends iſoliren in der Staatengeſellſchaft, es hieß zu der politiſchen Entzweiung einen unabſehlichen Streit religiöſer Überzeugungen fügen, hieß nach manchen An- zeichen das Signal zum bürgerlichen Kriege geben. Hier den Kampf für die Kirchenverfaſſung aufzunehmen, zu warnen vor dem Abgrunde, welchem man entgegenging, wäre auch eines von kirchlichen Überzeugungen unberühr-

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/339>, abgerufen am 12.05.2024.