Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

bau hielt nicht mehr Stich, seit dem Könige durch das
Veto wenn auch nur ein aufschiebender Antheil am Be-
schlusse eingeräumt war. Als Mirabeau diesen Misgriff
Barnave's bemerkte, sagte er zu seinem Nachbar und
Freunde Frochot, demselben der in späteren Tagen auf
Anlaß der Malletschen Verschwörung in Napoleons Un-
gnade fiel: "Da hab' ich ihn fest!" lieh ihm seinen Blei-
stift ab, schrieb ein Paar Worte auf, sprach: "Genug
des Hörens, ich habe meine Entgegnung, gehen wir!"
Beide spazierten nun in dem Garten der Tuillerien, und
Mirabeau unterhielt sich dort auf das lebhafteste mit
Neckers Tochter, der Frau von Stael.

Mirabeau's Rede, welche damals für eine Weltbege-
benheit galt, von allen Gesandten, welche zahlreich der
ganzen Verhandlung beiwohnten, an ihre Höfe verschickt
ward, nahm diesen Gang:

"Ganz gewiß, es ist von großem Werthe für die An-
näherung streitender Parteien, wenn man sich mit Auf-
richtigkeit darüber aufklärt, worin man einig ist und wor-
in man von einander abweicht. Zur Verständigung tragen
freundliche Verhandlungen mehr bei als verläumderische
Einflüsterungen, tolle Beschuldigungen, gehässige Eifer-
süchteleien und die Umtriebe ränkesüchtiger Bosheit. Seit
acht Tagen verbreitet man daß der Theil dieser Versamm-
lung, welcher dem königlichen Willen einen Antheil an
der Entscheidung über Krieg und Frieden sichern will, die
öffentliche Freiheit meuchelmorde, verbreitet Gerüchte von

bau hielt nicht mehr Stich, ſeit dem Könige durch das
Veto wenn auch nur ein aufſchiebender Antheil am Be-
ſchluſſe eingeräumt war. Als Mirabeau dieſen Misgriff
Barnave’s bemerkte, ſagte er zu ſeinem Nachbar und
Freunde Frochot, demſelben der in ſpäteren Tagen auf
Anlaß der Malletſchen Verſchwörung in Napoleons Un-
gnade fiel: „Da hab’ ich ihn feſt!“ lieh ihm ſeinen Blei-
ſtift ab, ſchrieb ein Paar Worte auf, ſprach: „Genug
des Hörens, ich habe meine Entgegnung, gehen wir!“
Beide ſpazierten nun in dem Garten der Tuillerien, und
Mirabeau unterhielt ſich dort auf das lebhafteſte mit
Neckers Tochter, der Frau von Staël.

Mirabeau’s Rede, welche damals für eine Weltbege-
benheit galt, von allen Geſandten, welche zahlreich der
ganzen Verhandlung beiwohnten, an ihre Höfe verſchickt
ward, nahm dieſen Gang:

„Ganz gewiß, es iſt von großem Werthe für die An-
näherung ſtreitender Parteien, wenn man ſich mit Auf-
richtigkeit darüber aufklärt, worin man einig iſt und wor-
in man von einander abweicht. Zur Verſtändigung tragen
freundliche Verhandlungen mehr bei als verläumderiſche
Einflüſterungen, tolle Beſchuldigungen, gehäſſige Eifer-
ſüchteleien und die Umtriebe ränkeſüchtiger Bosheit. Seit
acht Tagen verbreitet man daß der Theil dieſer Verſamm-
lung, welcher dem königlichen Willen einen Antheil an
der Entſcheidung über Krieg und Frieden ſichern will, die
öffentliche Freiheit meuchelmorde, verbreitet Gerüchte von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0323" n="313"/>
bau hielt nicht mehr Stich, &#x017F;eit dem Könige durch das<lb/>
Veto wenn auch nur ein auf&#x017F;chiebender Antheil am Be-<lb/>
&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e eingeräumt war. Als Mirabeau die&#x017F;en Misgriff<lb/>
Barnave&#x2019;s bemerkte, &#x017F;agte er zu &#x017F;einem Nachbar und<lb/>
Freunde Frochot, dem&#x017F;elben der in &#x017F;päteren Tagen auf<lb/>
Anlaß der Mallet&#x017F;chen Ver&#x017F;chwörung in Napoleons Un-<lb/>
gnade fiel: &#x201E;Da hab&#x2019; ich ihn fe&#x017F;t!&#x201C; lieh ihm &#x017F;einen Blei-<lb/>
&#x017F;tift ab, &#x017F;chrieb ein Paar Worte auf, &#x017F;prach: &#x201E;Genug<lb/>
des Hörens, ich habe meine Entgegnung, gehen wir!&#x201C;<lb/>
Beide &#x017F;pazierten nun in dem Garten der Tuillerien, und<lb/>
Mirabeau unterhielt &#x017F;ich dort auf das lebhafte&#x017F;te mit<lb/>
Neckers Tochter, der Frau von Staël.</p><lb/>
          <p>Mirabeau&#x2019;s Rede, welche damals für eine Weltbege-<lb/>
benheit galt, von allen Ge&#x017F;andten, welche zahlreich der<lb/>
ganzen Verhandlung beiwohnten, an ihre Höfe ver&#x017F;chickt<lb/>
ward, nahm die&#x017F;en Gang:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ganz gewiß, es i&#x017F;t von großem Werthe für die An-<lb/>
näherung &#x017F;treitender Parteien, wenn man &#x017F;ich mit Auf-<lb/>
richtigkeit darüber aufklärt, worin man einig i&#x017F;t und wor-<lb/>
in man von einander abweicht. Zur Ver&#x017F;tändigung tragen<lb/>
freundliche Verhandlungen mehr bei als verläumderi&#x017F;che<lb/>
Einflü&#x017F;terungen, tolle Be&#x017F;chuldigungen, gehä&#x017F;&#x017F;ige Eifer-<lb/>
&#x017F;üchteleien und die Umtriebe ränke&#x017F;üchtiger Bosheit. Seit<lb/>
acht Tagen verbreitet man daß der Theil die&#x017F;er Ver&#x017F;amm-<lb/>
lung, welcher dem königlichen Willen einen Antheil an<lb/>
der Ent&#x017F;cheidung über Krieg und Frieden &#x017F;ichern will, die<lb/>
öffentliche Freiheit meuchelmorde, verbreitet Gerüchte von<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[313/0323] bau hielt nicht mehr Stich, ſeit dem Könige durch das Veto wenn auch nur ein aufſchiebender Antheil am Be- ſchluſſe eingeräumt war. Als Mirabeau dieſen Misgriff Barnave’s bemerkte, ſagte er zu ſeinem Nachbar und Freunde Frochot, demſelben der in ſpäteren Tagen auf Anlaß der Malletſchen Verſchwörung in Napoleons Un- gnade fiel: „Da hab’ ich ihn feſt!“ lieh ihm ſeinen Blei- ſtift ab, ſchrieb ein Paar Worte auf, ſprach: „Genug des Hörens, ich habe meine Entgegnung, gehen wir!“ Beide ſpazierten nun in dem Garten der Tuillerien, und Mirabeau unterhielt ſich dort auf das lebhafteſte mit Neckers Tochter, der Frau von Staël. Mirabeau’s Rede, welche damals für eine Weltbege- benheit galt, von allen Geſandten, welche zahlreich der ganzen Verhandlung beiwohnten, an ihre Höfe verſchickt ward, nahm dieſen Gang: „Ganz gewiß, es iſt von großem Werthe für die An- näherung ſtreitender Parteien, wenn man ſich mit Auf- richtigkeit darüber aufklärt, worin man einig iſt und wor- in man von einander abweicht. Zur Verſtändigung tragen freundliche Verhandlungen mehr bei als verläumderiſche Einflüſterungen, tolle Beſchuldigungen, gehäſſige Eifer- ſüchteleien und die Umtriebe ränkeſüchtiger Bosheit. Seit acht Tagen verbreitet man daß der Theil dieſer Verſamm- lung, welcher dem königlichen Willen einen Antheil an der Entſcheidung über Krieg und Frieden ſichern will, die öffentliche Freiheit meuchelmorde, verbreitet Gerüchte von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/323
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/323>, abgerufen am 12.05.2024.