Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Vertrages für unächt erklärt; allein ohne Zweifel traute
sich Mirabeau in dem Vollgefühle seiner Überlegenheit
die Kraft zu, in jedem Falle Monsieur zu seiner Meinung
fortzureißen, und Favras lebte damals noch, ein Schreck-
bild für den Prinzen! Wirkliche Folgen hat der Vertrag
übrigens weder von der einen noch von der anderen Seite
gehabt. Dem Prinzen, der mit der Königin nicht gut
stand, ward die Leitung der Regierung keineswegs ver-
traut, und dem Könige sich aufzudringen lag nicht in sei-
ner Absicht.

Der König liebte Neckern nicht, aber in einem Zuge
stimmten ihre Sinnesarten zusammen, beide überließen
sich gern einem Ergusse ihrer Gefühle, und aufrichtig wie
ihr Inneres war, glaubten sie die Gemüther durch solche
Ausströmungen von Wohlwollen zu beherrschen. Am 4ten
Februar kündigte der König der Nationalversammlung seine
Gegenwart an, verbat alle Empfangsfeierlichkeiten. Er
hielt eine Rede, welche Necker entworfen hatte. Sie be-
klagt die Gewaltthaten, Angriffe auf Personen und Gü-
ter, welche aus dem Süden von Frankreich gemeldet wer-
den, die Hemmung der Rechtspflege, beschwört die Ver-
sammlung, das Volk über sein wahres Interesse, welches
an die Handhabung der ausübenden Macht geknüpft ist,
zu belehren. "Es wird irre geführt, dieses gute Volk,
welches mir so lieb ist, und von welchem ich geliebt werde,
wie man mir versichert, wenn man mich in meinem Kum-
mer trösten will. -- Wohl hätte ich einen sanfteren Weg

20*

Vertrages für unächt erklärt; allein ohne Zweifel traute
ſich Mirabeau in dem Vollgefühle ſeiner Überlegenheit
die Kraft zu, in jedem Falle Monſieur zu ſeiner Meinung
fortzureißen, und Favras lebte damals noch, ein Schreck-
bild für den Prinzen! Wirkliche Folgen hat der Vertrag
übrigens weder von der einen noch von der anderen Seite
gehabt. Dem Prinzen, der mit der Königin nicht gut
ſtand, ward die Leitung der Regierung keineswegs ver-
traut, und dem Könige ſich aufzudringen lag nicht in ſei-
ner Abſicht.

Der König liebte Neckern nicht, aber in einem Zuge
ſtimmten ihre Sinnesarten zuſammen, beide überließen
ſich gern einem Erguſſe ihrer Gefühle, und aufrichtig wie
ihr Inneres war, glaubten ſie die Gemüther durch ſolche
Ausſtrömungen von Wohlwollen zu beherrſchen. Am 4ten
Februar kündigte der König der Nationalverſammlung ſeine
Gegenwart an, verbat alle Empfangsfeierlichkeiten. Er
hielt eine Rede, welche Necker entworfen hatte. Sie be-
klagt die Gewaltthaten, Angriffe auf Perſonen und Gü-
ter, welche aus dem Süden von Frankreich gemeldet wer-
den, die Hemmung der Rechtspflege, beſchwört die Ver-
ſammlung, das Volk über ſein wahres Intereſſe, welches
an die Handhabung der ausübenden Macht geknüpft iſt,
zu belehren. „Es wird irre geführt, dieſes gute Volk,
welches mir ſo lieb iſt, und von welchem ich geliebt werde,
wie man mir verſichert, wenn man mich in meinem Kum-
mer tröſten will. — Wohl hätte ich einen ſanfteren Weg

20*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0317" n="307"/>
Vertrages für unächt erklärt; allein ohne Zweifel traute<lb/>
&#x017F;ich Mirabeau in dem Vollgefühle &#x017F;einer Überlegenheit<lb/>
die Kraft zu, in jedem Falle Mon&#x017F;ieur zu &#x017F;einer Meinung<lb/>
fortzureißen, und Favras lebte damals noch, ein Schreck-<lb/>
bild für den Prinzen! Wirkliche Folgen hat der Vertrag<lb/>
übrigens weder von der einen noch von der anderen Seite<lb/>
gehabt. Dem Prinzen, der mit der Königin nicht gut<lb/>
&#x017F;tand, ward die Leitung der Regierung keineswegs ver-<lb/>
traut, und dem Könige &#x017F;ich aufzudringen lag nicht in &#x017F;ei-<lb/>
ner Ab&#x017F;icht.</p><lb/>
          <p>Der König liebte Neckern nicht, aber in einem Zuge<lb/>
&#x017F;timmten ihre Sinnesarten zu&#x017F;ammen, beide überließen<lb/>
&#x017F;ich gern einem Ergu&#x017F;&#x017F;e ihrer Gefühle, und aufrichtig wie<lb/>
ihr Inneres war, glaubten &#x017F;ie die Gemüther durch &#x017F;olche<lb/>
Aus&#x017F;trömungen von Wohlwollen zu beherr&#x017F;chen. Am 4ten<lb/>
Februar kündigte der König der Nationalver&#x017F;ammlung &#x017F;eine<lb/>
Gegenwart an, verbat alle Empfangsfeierlichkeiten. Er<lb/>
hielt eine Rede, welche Necker entworfen hatte. Sie be-<lb/>
klagt die Gewaltthaten, Angriffe auf Per&#x017F;onen und Gü-<lb/>
ter, welche aus dem Süden von Frankreich gemeldet wer-<lb/>
den, die Hemmung der Rechtspflege, be&#x017F;chwört die Ver-<lb/>
&#x017F;ammlung, das Volk über &#x017F;ein wahres Intere&#x017F;&#x017F;e, welches<lb/>
an die Handhabung der ausübenden Macht geknüpft i&#x017F;t,<lb/>
zu belehren. &#x201E;Es wird irre geführt, die&#x017F;es gute Volk,<lb/>
welches mir &#x017F;o lieb i&#x017F;t, und von welchem ich geliebt werde,<lb/>
wie man mir ver&#x017F;ichert, wenn man mich in meinem Kum-<lb/>
mer trö&#x017F;ten will. &#x2014; Wohl hätte ich einen &#x017F;anfteren Weg<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">20*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[307/0317] Vertrages für unächt erklärt; allein ohne Zweifel traute ſich Mirabeau in dem Vollgefühle ſeiner Überlegenheit die Kraft zu, in jedem Falle Monſieur zu ſeiner Meinung fortzureißen, und Favras lebte damals noch, ein Schreck- bild für den Prinzen! Wirkliche Folgen hat der Vertrag übrigens weder von der einen noch von der anderen Seite gehabt. Dem Prinzen, der mit der Königin nicht gut ſtand, ward die Leitung der Regierung keineswegs ver- traut, und dem Könige ſich aufzudringen lag nicht in ſei- ner Abſicht. Der König liebte Neckern nicht, aber in einem Zuge ſtimmten ihre Sinnesarten zuſammen, beide überließen ſich gern einem Erguſſe ihrer Gefühle, und aufrichtig wie ihr Inneres war, glaubten ſie die Gemüther durch ſolche Ausſtrömungen von Wohlwollen zu beherrſchen. Am 4ten Februar kündigte der König der Nationalverſammlung ſeine Gegenwart an, verbat alle Empfangsfeierlichkeiten. Er hielt eine Rede, welche Necker entworfen hatte. Sie be- klagt die Gewaltthaten, Angriffe auf Perſonen und Gü- ter, welche aus dem Süden von Frankreich gemeldet wer- den, die Hemmung der Rechtspflege, beſchwört die Ver- ſammlung, das Volk über ſein wahres Intereſſe, welches an die Handhabung der ausübenden Macht geknüpft iſt, zu belehren. „Es wird irre geführt, dieſes gute Volk, welches mir ſo lieb iſt, und von welchem ich geliebt werde, wie man mir verſichert, wenn man mich in meinem Kum- mer tröſten will. — Wohl hätte ich einen ſanfteren Weg 20*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/317
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/317>, abgerufen am 13.05.2024.