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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

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Mitgliedern. Ein Alter von 35 Jahren, ein gewisser
Grundbesitz ist erforderlich, übrigens steht jedem Verdienste
der Eintritt in den Senat offen. Jede Kammer hat ein
Veto gegen die andere, eben so gebührt dem Könige ein
unbedingtes, nicht bloß aufschiebendes Veto. Mit die-
sen nach Lage der Dinge lobenswerthen Grundlagen steht
freilich im schneidenden Widerspruche der zugleich empfoh-
lene Grundsatz: die zu gründende Verfassung bedürfe der
königlichen Sanction nicht, weil sie erst diese Sanction
feststelle. Aber wenn man die Nothwendigkeit erkannte,
dem Königthum der Zukunft das unbedingte Veto einzu-
räumen, so mußte man vor allen Dingen anerkennen, daß
dieses Veto und weit mehr als das dem Könige der Ge-
genwart schon zustehe. Oder hatte denn König Ludwig XVI.
abdicirt, und es handelte sich um die Bedingungen seiner
Wiedereinsetzung?

Man machte in der Nationalversammlung den Versuch
die Fragen getrennt zu behandeln, allein es ergab sich
bald, das sey unmöglich. Alle drei sind Lebensfragen für
die Krone, am tiefsten aber dringt die Vetofrage ein,
sie, die grade für den gewöhnlichen Betrachter kinderleicht
zu beantworten ist. Die Politiker des Palais-royal und
des bretagnischen Clubs waren längst darüber einig, es
sey ein Unsinn und ein Frevel gegen die Menschheit, den
Willen von 25 Millionen Menschen von der Willkür ei-
nes Einzigen abhängig zu machen; hier eine National-
versammlung, dort ein König mit dem Veto, das heiße

Französische Revolution. 17

Mitgliedern. Ein Alter von 35 Jahren, ein gewiſſer
Grundbeſitz iſt erforderlich, übrigens ſteht jedem Verdienſte
der Eintritt in den Senat offen. Jede Kammer hat ein
Veto gegen die andere, eben ſo gebührt dem Könige ein
unbedingtes, nicht bloß aufſchiebendes Veto. Mit die-
ſen nach Lage der Dinge lobenswerthen Grundlagen ſteht
freilich im ſchneidenden Widerſpruche der zugleich empfoh-
lene Grundſatz: die zu gründende Verfaſſung bedürfe der
königlichen Sanction nicht, weil ſie erſt dieſe Sanction
feſtſtelle. Aber wenn man die Nothwendigkeit erkannte,
dem Königthum der Zukunft das unbedingte Veto einzu-
räumen, ſo mußte man vor allen Dingen anerkennen, daß
dieſes Veto und weit mehr als das dem Könige der Ge-
genwart ſchon zuſtehe. Oder hatte denn König Ludwig XVI.
abdicirt, und es handelte ſich um die Bedingungen ſeiner
Wiedereinſetzung?

Man machte in der Nationalverſammlung den Verſuch
die Fragen getrennt zu behandeln, allein es ergab ſich
bald, das ſey unmöglich. Alle drei ſind Lebensfragen für
die Krone, am tiefſten aber dringt die Vetofrage ein,
ſie, die grade für den gewöhnlichen Betrachter kinderleicht
zu beantworten iſt. Die Politiker des Palais-royal und
des bretagniſchen Clubs waren längſt darüber einig, es
ſey ein Unſinn und ein Frevel gegen die Menſchheit, den
Willen von 25 Millionen Menſchen von der Willkür ei-
nes Einzigen abhängig zu machen; hier eine National-
verſammlung, dort ein König mit dem Veto, das heiße

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[257/0267] Mitgliedern. Ein Alter von 35 Jahren, ein gewiſſer Grundbeſitz iſt erforderlich, übrigens ſteht jedem Verdienſte der Eintritt in den Senat offen. Jede Kammer hat ein Veto gegen die andere, eben ſo gebührt dem Könige ein unbedingtes, nicht bloß aufſchiebendes Veto. Mit die- ſen nach Lage der Dinge lobenswerthen Grundlagen ſteht freilich im ſchneidenden Widerſpruche der zugleich empfoh- lene Grundſatz: die zu gründende Verfaſſung bedürfe der königlichen Sanction nicht, weil ſie erſt dieſe Sanction feſtſtelle. Aber wenn man die Nothwendigkeit erkannte, dem Königthum der Zukunft das unbedingte Veto einzu- räumen, ſo mußte man vor allen Dingen anerkennen, daß dieſes Veto und weit mehr als das dem Könige der Ge- genwart ſchon zuſtehe. Oder hatte denn König Ludwig XVI. abdicirt, und es handelte ſich um die Bedingungen ſeiner Wiedereinſetzung? Man machte in der Nationalverſammlung den Verſuch die Fragen getrennt zu behandeln, allein es ergab ſich bald, das ſey unmöglich. Alle drei ſind Lebensfragen für die Krone, am tiefſten aber dringt die Vetofrage ein, ſie, die grade für den gewöhnlichen Betrachter kinderleicht zu beantworten iſt. Die Politiker des Palais-royal und des bretagniſchen Clubs waren längſt darüber einig, es ſey ein Unſinn und ein Frevel gegen die Menſchheit, den Willen von 25 Millionen Menſchen von der Willkür ei- nes Einzigen abhängig zu machen; hier eine National- verſammlung, dort ein König mit dem Veto, das heiße Franzöſiſche Revolution. 17

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/267>, abgerufen am 24.11.2024.