Orleans. Jetzt aber gab auch der König dem Andringen Neckers nach, forderte die beiden ersten Kammern schrift- Juni 27.lich auf, sich mit der dritten zu vereinigen. Es bedurfte ei- nes zweiten förmlichen Befehles, um den Widerwillen des Adels zu brechen.
Das war das Resultat eines fast zweimonatlichen Kampfes, welcher dem Königthum unheilbare Wunden schlug. Äußerlich war auf einmal Alles Friede und Freude; freiwillige Illumination der Stadt Versailles, dreitägige Festlichkeiten, Beifallsrufe dem Könige und selbst der Kö- nigin, wo sie sich nur zeigten; Wohlmeinende wünschten sich einander mit den Worten Glück: "Die Revolution ist beendigt." In Wahrheit lag von nun an das Schicksal Frankreichs in den Händen der Nationalversammlung; ihre Weisheit und Mäßigung allein konnte die verletzte Krone wiederherstellen. Wehe ihm und seinem Stamme, wenn der König es mit Gewalt versuchte!
Wirklich war ein Geist der Versöhnlichkeit und Beson- nenheit bei der Nationalversammlung eingekehrt; man misbilligte laut verschiedene Versuche die öffentliche Ruhe zu stören; man befand, daß die Berathung in einer so über- aus zahlreichen Versammlung keineswegs genüge, um den Gegenständen hinlänglich auf den Grund zu kommen, beschloß deßhalb die Hälfte der Woche engeren Sitzungen zu widmen, und als man nun zum Zwecke der Vorbera- thung aller wichtigeren Fragen die ganze Versammlung in 30 Büreaus theilte, fand sich, daß in jedem Büreau ent-
Orleans. Jetzt aber gab auch der König dem Andringen Neckers nach, forderte die beiden erſten Kammern ſchrift- Juni 27.lich auf, ſich mit der dritten zu vereinigen. Es bedurfte ei- nes zweiten förmlichen Befehles, um den Widerwillen des Adels zu brechen.
Das war das Reſultat eines faſt zweimonatlichen Kampfes, welcher dem Königthum unheilbare Wunden ſchlug. Äußerlich war auf einmal Alles Friede und Freude; freiwillige Illumination der Stadt Verſailles, dreitägige Feſtlichkeiten, Beifallsrufe dem Könige und ſelbſt der Kö- nigin, wo ſie ſich nur zeigten; Wohlmeinende wünſchten ſich einander mit den Worten Glück: „Die Revolution iſt beendigt.“ In Wahrheit lag von nun an das Schickſal Frankreichs in den Händen der Nationalverſammlung; ihre Weisheit und Mäßigung allein konnte die verletzte Krone wiederherſtellen. Wehe ihm und ſeinem Stamme, wenn der König es mit Gewalt verſuchte!
Wirklich war ein Geiſt der Verſöhnlichkeit und Beſon- nenheit bei der Nationalverſammlung eingekehrt; man misbilligte laut verſchiedene Verſuche die öffentliche Ruhe zu ſtören; man befand, daß die Berathung in einer ſo über- aus zahlreichen Verſammlung keineswegs genüge, um den Gegenſtänden hinlänglich auf den Grund zu kommen, beſchloß deßhalb die Hälfte der Woche engeren Sitzungen zu widmen, und als man nun zum Zwecke der Vorbera- thung aller wichtigeren Fragen die ganze Verſammlung in 30 Büreaus theilte, fand ſich, daß in jedem Büreau ent-
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Orleans. Jetzt aber gab auch der König dem Andringen
Neckers nach, forderte die beiden erſten Kammern ſchrift-
lich auf, ſich mit der dritten zu vereinigen. Es bedurfte ei-
nes zweiten förmlichen Befehles, um den Widerwillen des
Adels zu brechen.
Juni 27.
Das war das Reſultat eines faſt zweimonatlichen
Kampfes, welcher dem Königthum unheilbare Wunden
ſchlug. Äußerlich war auf einmal Alles Friede und Freude;
freiwillige Illumination der Stadt Verſailles, dreitägige
Feſtlichkeiten, Beifallsrufe dem Könige und ſelbſt der Kö-
nigin, wo ſie ſich nur zeigten; Wohlmeinende wünſchten
ſich einander mit den Worten Glück: „Die Revolution iſt
beendigt.“ In Wahrheit lag von nun an das Schickſal
Frankreichs in den Händen der Nationalverſammlung;
ihre Weisheit und Mäßigung allein konnte die verletzte
Krone wiederherſtellen. Wehe ihm und ſeinem Stamme,
wenn der König es mit Gewalt verſuchte!
Wirklich war ein Geiſt der Verſöhnlichkeit und Beſon-
nenheit bei der Nationalverſammlung eingekehrt; man
misbilligte laut verſchiedene Verſuche die öffentliche Ruhe
zu ſtören; man befand, daß die Berathung in einer ſo über-
aus zahlreichen Verſammlung keineswegs genüge, um
den Gegenſtänden hinlänglich auf den Grund zu kommen,
beſchloß deßhalb die Hälfte der Woche engeren Sitzungen
zu widmen, und als man nun zum Zwecke der Vorbera-
thung aller wichtigeren Fragen die ganze Verſammlung in
30 Büreaus theilte, fand ſich, daß in jedem Büreau ent-
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/228>, abgerufen am 24.11.2024.
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