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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

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der Stände. Um so angelegentlicher rieth die Minderzahl
der Geistlichkeit und die große Mehrzahl des Adels dem
Könige zur Auflösung der Reichsstände. Aber diese Maß-
regel hatte ihr großes Bedenken. Durfte man die auf ei-
nen verbesserten Zustand der Dinge gespannten Hoffnun-
gen täuschen? und wie, wenn die ohnehin Noth leidenden
Provinzen, den Beschluß der Gemeinen ehrend, mit einer
allgemeinen Steuerverweigerung antworteten?

Als am Sonnabend, den 20sten Junius Morgens
acht Uhr die Gemeinen in die Sitzung gingen und das
Publicum doppelt stark zuströmte, begierig die Geistlichen
zum ersten Male im Schoße der Nationalversammlung zu
erblicken, begegnete man Waffenherolden auf den Straßen,
welche diese Kundmachung verlasen. "Da der König be-
schlossen hat eine königliche Sitzung bei den Generalstaa-
ten Montag den 22sten Junius zu halten, machen die
in den drei Versammlungssälen der Stände zu treffenden
Vorbereitungen eine Aussetzung der Versammlungen bis
zur Haltung der gedachten Sitzung nöthig. Seine Maje-
stät wird durch eine neue Kundmachung die Stunde zur
Kenntniß bringen, in welcher sie sich Montag in die Ver-
sammlung der Stände begeben wird." Was sie eben ge-
hört, das lasen sie als Anschlag am Ständehause zum
zweiten Male. Die Abgeordneten sahen sich an der Thüre
des Saales von Bewaffneten zurückgewiesen; bloß den
Präsidenten Bailly ließ man nebst den Secretären ein, um
die Papiere in Sicherheit zu bringen. Wie man nun in

der Stände. Um ſo angelegentlicher rieth die Minderzahl
der Geiſtlichkeit und die große Mehrzahl des Adels dem
Könige zur Auflöſung der Reichsſtände. Aber dieſe Maß-
regel hatte ihr großes Bedenken. Durfte man die auf ei-
nen verbeſſerten Zuſtand der Dinge geſpannten Hoffnun-
gen täuſchen? und wie, wenn die ohnehin Noth leidenden
Provinzen, den Beſchluß der Gemeinen ehrend, mit einer
allgemeinen Steuerverweigerung antworteten?

Als am Sonnabend, den 20ſten Junius Morgens
acht Uhr die Gemeinen in die Sitzung gingen und das
Publicum doppelt ſtark zuſtrömte, begierig die Geiſtlichen
zum erſten Male im Schoße der Nationalverſammlung zu
erblicken, begegnete man Waffenherolden auf den Straßen,
welche dieſe Kundmachung verlaſen. „Da der König be-
ſchloſſen hat eine königliche Sitzung bei den Generalſtaa-
ten Montag den 22ſten Junius zu halten, machen die
in den drei Verſammlungsſälen der Stände zu treffenden
Vorbereitungen eine Ausſetzung der Verſammlungen bis
zur Haltung der gedachten Sitzung nöthig. Seine Maje-
ſtät wird durch eine neue Kundmachung die Stunde zur
Kenntniß bringen, in welcher ſie ſich Montag in die Ver-
ſammlung der Stände begeben wird.“ Was ſie eben ge-
hört, das laſen ſie als Anſchlag am Ständehauſe zum
zweiten Male. Die Abgeordneten ſahen ſich an der Thüre
des Saales von Bewaffneten zurückgewieſen; bloß den
Präſidenten Bailly ließ man nebſt den Secretären ein, um
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[206/0216] der Stände. Um ſo angelegentlicher rieth die Minderzahl der Geiſtlichkeit und die große Mehrzahl des Adels dem Könige zur Auflöſung der Reichsſtände. Aber dieſe Maß- regel hatte ihr großes Bedenken. Durfte man die auf ei- nen verbeſſerten Zuſtand der Dinge geſpannten Hoffnun- gen täuſchen? und wie, wenn die ohnehin Noth leidenden Provinzen, den Beſchluß der Gemeinen ehrend, mit einer allgemeinen Steuerverweigerung antworteten? Als am Sonnabend, den 20ſten Junius Morgens acht Uhr die Gemeinen in die Sitzung gingen und das Publicum doppelt ſtark zuſtrömte, begierig die Geiſtlichen zum erſten Male im Schoße der Nationalverſammlung zu erblicken, begegnete man Waffenherolden auf den Straßen, welche dieſe Kundmachung verlaſen. „Da der König be- ſchloſſen hat eine königliche Sitzung bei den Generalſtaa- ten Montag den 22ſten Junius zu halten, machen die in den drei Verſammlungsſälen der Stände zu treffenden Vorbereitungen eine Ausſetzung der Verſammlungen bis zur Haltung der gedachten Sitzung nöthig. Seine Maje- ſtät wird durch eine neue Kundmachung die Stunde zur Kenntniß bringen, in welcher ſie ſich Montag in die Ver- ſammlung der Stände begeben wird.“ Was ſie eben ge- hört, das laſen ſie als Anſchlag am Ständehauſe zum zweiten Male. Die Abgeordneten ſahen ſich an der Thüre des Saales von Bewaffneten zurückgewieſen; bloß den Präſidenten Bailly ließ man nebſt den Secretären ein, um die Papiere in Sicherheit zu bringen. Wie man nun in

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/216>, abgerufen am 03.05.2024.