Kunststück erdacht, um durch die Minderzahl der Mitglie- der ihre Mehrzahl zu beherrschen. Hätte er der ungetheil- ten Versammlung die Entscheidung vertraut, so bedurfte es mindestens 73 ministerieller Stimmen, was seine Schwierigkeit haben konnte. Ganz anders wenn die Ver- sammlung, nachdem sie ihre Mittheilungen empfangen, sich nun in Sectionen zerfällte, in diesen arbeitete und abstimmte. Sieben Curien, die man Büreaus nennt, werden gebildet, in zweien derselben sitzen 22, in den übrigen 20 Mitglieder. Hat das Ministerium in vier Bü- reaus die Majorität für sich, die sich mit 44 bis 46 Stim- men gewinnen läßt, so ist der Widerstand von 98 oder 100 Stimmen gelähmt. So gerüstet trat Calonne in die Schranken. Am 29. December 1786 verkündigte der Kö- nig seinen Willen, auf den 29. Januar kommenden Jahres eine Versammlung der Notabeln zu berufen. Allein der Termin mußte viermal umgesetzt werden, weil Calonne mit seinen Vorlagen noch nicht fertig war. In der Zwi- schenzeit starb Vergennes und Graf Montmorin trat an seine Stelle.
Als nun am 22. Februar die Eröffnung der Notabeln1787. erfolgte, sprach der König einfache Worte von gewohntem unwichtigen Wohlwollen; um so künstlicher rechtfertigte der Minister den Geist seiner Verwaltung, redete von ei- nem alten Deficit in den Finanzen, seit Jahrhunderten obwaltend, welches sich nothwendiger Weise letzter Zeit habe vermehren müssen. Seine Höhe ließ er unausge-
Kunſtſtück erdacht, um durch die Minderzahl der Mitglie- der ihre Mehrzahl zu beherrſchen. Hätte er der ungetheil- ten Verſammlung die Entſcheidung vertraut, ſo bedurfte es mindeſtens 73 miniſterieller Stimmen, was ſeine Schwierigkeit haben konnte. Ganz anders wenn die Ver- ſammlung, nachdem ſie ihre Mittheilungen empfangen, ſich nun in Sectionen zerfällte, in dieſen arbeitete und abſtimmte. Sieben Curien, die man Büreaus nennt, werden gebildet, in zweien derſelben ſitzen 22, in den übrigen 20 Mitglieder. Hat das Miniſterium in vier Bü- reaus die Majorität für ſich, die ſich mit 44 bis 46 Stim- men gewinnen läßt, ſo iſt der Widerſtand von 98 oder 100 Stimmen gelähmt. So gerüſtet trat Calonne in die Schranken. Am 29. December 1786 verkündigte der Kö- nig ſeinen Willen, auf den 29. Januar kommenden Jahres eine Verſammlung der Notabeln zu berufen. Allein der Termin mußte viermal umgeſetzt werden, weil Calonne mit ſeinen Vorlagen noch nicht fertig war. In der Zwi- ſchenzeit ſtarb Vergennes und Graf Montmorin trat an ſeine Stelle.
Als nun am 22. Februar die Eröffnung der Notabeln1787. erfolgte, ſprach der König einfache Worte von gewohntem unwichtigen Wohlwollen; um ſo künſtlicher rechtfertigte der Miniſter den Geiſt ſeiner Verwaltung, redete von ei- nem alten Deficit in den Finanzen, ſeit Jahrhunderten obwaltend, welches ſich nothwendiger Weiſe letzter Zeit habe vermehren müſſen. Seine Höhe ließ er unausge-
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Kunſtſtück erdacht, um durch die Minderzahl der Mitglie-
der ihre Mehrzahl zu beherrſchen. Hätte er der ungetheil-
ten Verſammlung die Entſcheidung vertraut, ſo bedurfte
es mindeſtens 73 miniſterieller Stimmen, was ſeine
Schwierigkeit haben konnte. Ganz anders wenn die Ver-
ſammlung, nachdem ſie ihre Mittheilungen empfangen,
ſich nun in Sectionen zerfällte, in dieſen arbeitete und
abſtimmte. Sieben Curien, die man Büreaus nennt,
werden gebildet, in zweien derſelben ſitzen 22, in den
übrigen 20 Mitglieder. Hat das Miniſterium in vier Bü-
reaus die Majorität für ſich, die ſich mit 44 bis 46 Stim-
men gewinnen läßt, ſo iſt der Widerſtand von 98 oder
100 Stimmen gelähmt. So gerüſtet trat Calonne in die
Schranken. Am 29. December 1786 verkündigte der Kö-
nig ſeinen Willen, auf den 29. Januar kommenden Jahres
eine Verſammlung der Notabeln zu berufen. Allein der
Termin mußte viermal umgeſetzt werden, weil Calonne
mit ſeinen Vorlagen noch nicht fertig war. In der Zwi-
ſchenzeit ſtarb Vergennes und Graf Montmorin trat an
ſeine Stelle.
Als nun am 22. Februar die Eröffnung der Notabeln
erfolgte, ſprach der König einfache Worte von gewohntem
unwichtigen Wohlwollen; um ſo künſtlicher rechtfertigte
der Miniſter den Geiſt ſeiner Verwaltung, redete von ei-
nem alten Deficit in den Finanzen, ſeit Jahrhunderten
obwaltend, welches ſich nothwendiger Weiſe letzter Zeit
habe vermehren müſſen. Seine Höhe ließ er unausge-
1787.
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/119>, abgerufen am 23.11.2024.
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