den Kopf über die maßlose Prachtliebe eines Ministers, dessen Schulden er so eben erst bezahlt hatte: er verzieh so einleuchtenden Verdiensten diese Eigenheit und machte sie durch strenge Sparsamkeit von seiner Seite gewisser- maßen wieder gut. Calonne schloß große Anleihen mit Leichtigkeit; man legte sein Geld gern bei ihm an, weil er ungewöhnliche Vortheile bot. Ein Großer des Hofes rief mit Entzücken aus: "Ich wußte wohl daß Calonne den Staat retten würde, aber ich hätte nie im Leben geglaubt daß es so schnell geschähe."
Während nun Calonne in der Hauptstadt rettete, in- dem er eine Anleihe der andern unter verführerischen Be- dingungen folgen ließ, schrieb man aus den Provinzen daß niemals noch die Eintreibung der Steuern mit so er- drückender Strenge geübt sey. Überall aber gestand man sich, aus Frankreich sey nun doch nicht Amerika geworden, der kurze Rausch war verflogen und machte in den mittleren und unteren Lagen der Gesellschaft einer giftigen Erbitterung Platz. Gegen den König? Dieser bot nur immer eine und dieselbe Seite des übel berathenen guten schwachen Willens dar. Mit Marien Antonien war es anders bewandt. Sie hatte ihren ehrenfesten, manchmal mürrisch aufbrausenden Eheherrn allmählig in einen Liebhaber verwandelt, der ihren anmuthigen Bitten nichts verweigern konnte. Die treue Gattin hat ihm vor Kurzem sein drittes Kind, den zweiten Sohn geboren, allein die Mutterfreuden füllen1785. ihren beweglichen Sinn nicht aus. Der lafayettischen
den Kopf über die maßloſe Prachtliebe eines Miniſters, deſſen Schulden er ſo eben erſt bezahlt hatte: er verzieh ſo einleuchtenden Verdienſten dieſe Eigenheit und machte ſie durch ſtrenge Sparſamkeit von ſeiner Seite gewiſſer- maßen wieder gut. Calonne ſchloß große Anleihen mit Leichtigkeit; man legte ſein Geld gern bei ihm an, weil er ungewöhnliche Vortheile bot. Ein Großer des Hofes rief mit Entzücken aus: „Ich wußte wohl daß Calonne den Staat retten würde, aber ich hätte nie im Leben geglaubt daß es ſo ſchnell geſchähe.“
Während nun Calonne in der Hauptſtadt rettete, in- dem er eine Anleihe der andern unter verführeriſchen Be- dingungen folgen ließ, ſchrieb man aus den Provinzen daß niemals noch die Eintreibung der Steuern mit ſo er- drückender Strenge geübt ſey. Überall aber geſtand man ſich, aus Frankreich ſey nun doch nicht Amerika geworden, der kurze Rauſch war verflogen und machte in den mittleren und unteren Lagen der Geſellſchaft einer giftigen Erbitterung Platz. Gegen den König? Dieſer bot nur immer eine und dieſelbe Seite des übel berathenen guten ſchwachen Willens dar. Mit Marien Antonien war es anders bewandt. Sie hatte ihren ehrenfeſten, manchmal mürriſch aufbrauſenden Eheherrn allmählig in einen Liebhaber verwandelt, der ihren anmuthigen Bitten nichts verweigern konnte. Die treue Gattin hat ihm vor Kurzem ſein drittes Kind, den zweiten Sohn geboren, allein die Mutterfreuden füllen1785. ihren beweglichen Sinn nicht aus. Der lafayettiſchen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0105"n="95"/>
den Kopf über die maßloſe Prachtliebe eines Miniſters,<lb/>
deſſen Schulden er ſo eben erſt bezahlt hatte: er verzieh ſo<lb/>
einleuchtenden Verdienſten dieſe Eigenheit und machte<lb/>ſie durch ſtrenge Sparſamkeit von ſeiner Seite gewiſſer-<lb/>
maßen wieder gut. Calonne ſchloß große Anleihen mit<lb/>
Leichtigkeit; man legte ſein Geld gern bei ihm an, weil er<lb/>
ungewöhnliche Vortheile bot. Ein Großer des Hofes rief<lb/>
mit Entzücken aus: „Ich wußte wohl daß Calonne den<lb/>
Staat retten würde, aber ich hätte nie im Leben geglaubt<lb/>
daß es ſo ſchnell geſchähe.“</p><lb/><p>Während nun Calonne in der Hauptſtadt rettete, in-<lb/>
dem er eine Anleihe der andern unter verführeriſchen Be-<lb/>
dingungen folgen ließ, ſchrieb man aus den Provinzen<lb/>
daß niemals noch die Eintreibung der Steuern mit ſo er-<lb/>
drückender Strenge geübt ſey. Überall aber geſtand man<lb/>ſich, aus Frankreich ſey nun doch nicht Amerika geworden,<lb/>
der kurze Rauſch war verflogen und machte in den mittleren<lb/>
und unteren Lagen der Geſellſchaft einer giftigen Erbitterung<lb/>
Platz. Gegen den König? Dieſer bot nur immer eine und<lb/>
dieſelbe Seite des übel berathenen guten ſchwachen Willens<lb/>
dar. Mit Marien Antonien war es anders bewandt. Sie<lb/>
hatte ihren ehrenfeſten, manchmal mürriſch aufbrauſenden<lb/>
Eheherrn allmählig in einen Liebhaber verwandelt, der<lb/>
ihren anmuthigen Bitten nichts verweigern konnte. Die<lb/>
treue Gattin hat ihm vor Kurzem ſein drittes Kind, den<lb/>
zweiten Sohn geboren, allein die Mutterfreuden füllen<noteplace="right">1785.</note><lb/>
ihren beweglichen Sinn nicht aus. Der lafayettiſchen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[95/0105]
den Kopf über die maßloſe Prachtliebe eines Miniſters,
deſſen Schulden er ſo eben erſt bezahlt hatte: er verzieh ſo
einleuchtenden Verdienſten dieſe Eigenheit und machte
ſie durch ſtrenge Sparſamkeit von ſeiner Seite gewiſſer-
maßen wieder gut. Calonne ſchloß große Anleihen mit
Leichtigkeit; man legte ſein Geld gern bei ihm an, weil er
ungewöhnliche Vortheile bot. Ein Großer des Hofes rief
mit Entzücken aus: „Ich wußte wohl daß Calonne den
Staat retten würde, aber ich hätte nie im Leben geglaubt
daß es ſo ſchnell geſchähe.“
Während nun Calonne in der Hauptſtadt rettete, in-
dem er eine Anleihe der andern unter verführeriſchen Be-
dingungen folgen ließ, ſchrieb man aus den Provinzen
daß niemals noch die Eintreibung der Steuern mit ſo er-
drückender Strenge geübt ſey. Überall aber geſtand man
ſich, aus Frankreich ſey nun doch nicht Amerika geworden,
der kurze Rauſch war verflogen und machte in den mittleren
und unteren Lagen der Geſellſchaft einer giftigen Erbitterung
Platz. Gegen den König? Dieſer bot nur immer eine und
dieſelbe Seite des übel berathenen guten ſchwachen Willens
dar. Mit Marien Antonien war es anders bewandt. Sie
hatte ihren ehrenfeſten, manchmal mürriſch aufbrauſenden
Eheherrn allmählig in einen Liebhaber verwandelt, der
ihren anmuthigen Bitten nichts verweigern konnte. Die
treue Gattin hat ihm vor Kurzem ſein drittes Kind, den
zweiten Sohn geboren, allein die Mutterfreuden füllen
ihren beweglichen Sinn nicht aus. Der lafayettiſchen
1785.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/105>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.