zu ihr, um sie mit dem Dolche durch- zustossen. Er würde sein Vorhaben vollführet haben, wenn nicht sein Vetter, den der Zustand dieses un- glücklichen Weibes rührte, ihn da- von abgehalten hätte. Laß sie leben, sagte er zu ihm, daß ist die größte Rache, welche du ausüben kannst; die Furcht des Todes ist erschröckli- cher, als der Tod selbst: Jch bin, fuhr er weiter fort, in dieser Sache fast eben so viel beleidiget, als du, laßt uns mit einander sehen, was wir für einen Weg nehmen wollen, und laßt uns vornemlich ein Unglück, das zum Glück keinem als uns bekannt ist, nicht ruchtbar machen. Siehe dieses Unwissenheit der Leute nicht als eine Kleinigkeit an; viele Leute wür- den ihre Ehre nicht achten, wenn sie versichert wären, daß niemand ihre Schande erfahren würde; glaube mir, stecke deinen Dolch bey, und hüte dich, nichts zu thun, das dir gereuen könnte; komm mit mir, wir wollen sie für die, die sie gelten kann, lassen. Wie er diese Worte geendet
hatte,
zu ihr, um ſie mit dem Dolche durch- zuſtoſſen. Er wuͤrde ſein Vorhaben vollfuͤhret haben, wenn nicht ſein Vetter, den der Zuſtand dieſes un- gluͤcklichen Weibes ruͤhrte, ihn da- von abgehalten haͤtte. Laß ſie leben, ſagte er zu ihm, daß iſt die groͤßte Rache, welche du ausuͤben kannſt; die Furcht des Todes iſt erſchroͤckli- cher, als der Tod ſelbſt: Jch bin, fuhr er weiter fort, in dieſer Sache faſt eben ſo viel beleidiget, als du, laßt uns mit einander ſehen, was wir fuͤr einen Weg nehmen wollen, und laßt uns vornemlich ein Ungluͤck, das zum Gluͤck keinem als uns bekannt iſt, nicht ruchtbar machen. Siehe dieſes Unwiſſenheit der Leute nicht als eine Kleinigkeit an; viele Leute wuͤr- den ihre Ehre nicht achten, wenn ſie verſichert waͤren, daß niemand ihre Schande erfahren wuͤrde; glaube mir, ſtecke deinen Dolch bey, und huͤte dich, nichts zu thun, das dir gereuen koͤnnte; komm mit mir, wir wollen ſie fuͤr die, die ſie gelten kann, laſſen. Wie er dieſe Worte geendet
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zu ihr, um ſie mit dem Dolche durch-
zuſtoſſen. Er wuͤrde ſein Vorhaben
vollfuͤhret haben, wenn nicht ſein
Vetter, den der Zuſtand dieſes un-
gluͤcklichen Weibes ruͤhrte, ihn da-
von abgehalten haͤtte. Laß ſie leben,
ſagte er zu ihm, daß iſt die groͤßte
Rache, welche du ausuͤben kannſt;
die Furcht des Todes iſt erſchroͤckli-
cher, als der Tod ſelbſt: Jch bin,
fuhr er weiter fort, in dieſer Sache
faſt eben ſo viel beleidiget, als du,
laßt uns mit einander ſehen, was
wir fuͤr einen Weg nehmen wollen,
und laßt uns vornemlich ein Ungluͤck,
das zum Gluͤck keinem als uns bekannt
iſt, nicht ruchtbar machen. Siehe
dieſes Unwiſſenheit der Leute nicht als
eine Kleinigkeit an; viele Leute wuͤr-
den ihre Ehre nicht achten, wenn ſie
verſichert waͤren, daß niemand ihre
Schande erfahren wuͤrde; glaube
mir, ſtecke deinen Dolch bey, und
huͤte dich, nichts zu thun, das dir
gereuen koͤnnte; komm mit mir, wir
wollen ſie fuͤr die, die ſie gelten kann,
laſſen. Wie er dieſe Worte geendet
hatte,
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Frau von D.: Die in der Liebe herumschweifende oder bestrafte Untreue. 1763, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/d_untreue_1763/86>, abgerufen am 22.07.2024.
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