letzten Analysen schon früher begonnen hat. Der Gegensatz zwischen Lassen und Bopp beruhte zum Theil hierauf. Ebenso das, was ich Grundz.5 S. 35 ff. gegen Pott's Zerlegung der Wurzeln, speciell gegen die Annahme verstümmelter Präpo- sitionen in ihrem Anlaut bemerkt habe. Auch verweise ich auf das, was ich in meiner Schrift "Zur Chronologie" 2. Aufl. S. 11 hervorgehoben habe, und erkenne überhaupt in diesem Zweifel einen gesunden Kern. Man ist aber, glaube ich, darin zu weit gegangen und hat unberechtigterweise Fragen die Thür gewiesen, die wenigstens theilweise zu Antworten füh- ren, welchen wir, ohne ihre Schwierigkeiten zu verkennen, einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit nicht absprechen dürfen. Dass es jedem Forscher überlassen bleiben muss, sich für seine Thätigkeit das Feld auszusuchen, das ihm am mei- sten sympathisch ist, und Fragen abzulehnen, welche seiner Individualität weniger zusagen, ist selbstverständlich.
Wir beginnen mit einem Vorwurf, den man von verschie- denen Seiten dem bis vor kurzem allgemein geltenden Ver- fahren gemacht hat. Brugmann spricht Lit. Centralblatt 1884 S. 1027 von "dem alten Vorurtheil, als hätten die Wurzeln noch in nachursprachlicher Zeit ein selbstständiges Leben ge- habt". Aehnlich drückt sich Delbrück a. a. O. aus: "Je ein- dringender die Vergleichung der indogermanischen Sprachen zu Werke gegangen ist, um so deutlicher ist der Satz ge- worden : Die Flexion war schon in der Ursprache abgeschlos- sen ; in die Einzelsprachen sind nur fertige Wörter überliefert worden". Beide Urtheile beruhen, wie ich glaube, auf einem blossen Missverständniss. Ich wüsste nicht, wo jemand jenes Vorurtheil geltend gemacht hätte, das Brugmann mit Recht tadelt, und das, was Delbrück gegensätzlich ausspricht, ist, glaube ich, stets die Meinung aller urtheilsfähigen Forscher gewesen. Ich verweise in dieser Beziehung auf meine Schrift "Zur Chronologie der indog. Sprachforschung", welche sich gerade mit dem Versuche beschäftigt, nachzuweisen, wie in
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letzten Analysen schon früher begonnen hat. Der Gegensatz zwischen Lassen und Bopp beruhte zum Theil hierauf. Ebenso das, was ich Grundz.⁵ S. 35 ff. gegen Pott's Zerlegung der Wurzeln, speciell gegen die Annahme verstümmelter Präpo- sitionen in ihrem Anlaut bemerkt habe. Auch verweise ich auf das, was ich in meiner Schrift „Zur Chronologie“ 2. Aufl. S. 11 hervorgehoben habe, und erkenne überhaupt in diesem Zweifel einen gesunden Kern. Man ist aber, glaube ich, darin zu weit gegangen und hat unberechtigterweise Fragen die Thür gewiesen, die wenigstens theilweise zu Antworten füh- ren, welchen wir, ohne ihre Schwierigkeiten zu verkennen, einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit nicht absprechen dürfen. Dass es jedem Forscher überlassen bleiben muss, sich für seine Thätigkeit das Feld auszusuchen, das ihm am mei- sten sympathisch ist, und Fragen abzulehnen, welche seiner Individualität weniger zusagen, ist selbstverständlich.
Wir beginnen mit einem Vorwurf, den man von verschie- denen Seiten dem bis vor kurzem allgemein geltenden Ver- fahren gemacht hat. Brugmann spricht Lit. Centralblatt 1884 S. 1027 von „dem alten Vorurtheil, als hätten die Wurzeln noch in nachursprachlicher Zeit ein selbstständiges Leben ge- habt“. Aehnlich drückt sich Delbrück a. a. O. aus: „Je ein- dringender die Vergleichung der indogermanischen Sprachen zu Werke gegangen ist, um so deutlicher ist der Satz ge- worden : Die Flexion war schon in der Ursprache abgeschlos- sen ; in die Einzelsprachen sind nur fertige Wörter überliefert worden“. Beide Urtheile beruhen, wie ich glaube, auf einem blossen Missverständniss. Ich wüsste nicht, wo jemand jenes Vorurtheil geltend gemacht hätte, das Brugmann mit Recht tadelt, und das, was Delbrück gegensätzlich ausspricht, ist, glaube ich, stets die Meinung aller urtheilsfähigen Forscher gewesen. Ich verweise in dieser Beziehung auf meine Schrift „Zur Chronologie der indog. Sprachforschung“, welche sich gerade mit dem Versuche beschäftigt, nachzuweisen, wie in
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letzten Analysen schon früher begonnen hat. Der Gegensatz
zwischen Lassen und Bopp beruhte zum Theil hierauf. Ebenso
das, was ich Grundz.⁵ S. 35 ff. gegen Pott's Zerlegung der
Wurzeln, speciell gegen die Annahme verstümmelter Präpo-
sitionen in ihrem Anlaut bemerkt habe. Auch verweise ich
auf das, was ich in meiner Schrift „Zur Chronologie“ 2. Aufl.
S. 11 hervorgehoben habe, und erkenne überhaupt in diesem
Zweifel einen gesunden Kern. Man ist aber, glaube ich, darin
zu weit gegangen und hat unberechtigterweise Fragen die
Thür gewiesen, die wenigstens theilweise zu Antworten füh-
ren, welchen wir, ohne ihre Schwierigkeiten zu verkennen,
einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit nicht absprechen
dürfen. Dass es jedem Forscher überlassen bleiben muss, sich
für seine Thätigkeit das Feld auszusuchen, das ihm am mei-
sten sympathisch ist, und Fragen abzulehnen, welche seiner
Individualität weniger zusagen, ist selbstverständlich.
Wir beginnen mit einem Vorwurf, den man von verschie-
denen Seiten dem bis vor kurzem allgemein geltenden Ver-
fahren gemacht hat. Brugmann spricht Lit. Centralblatt 1884
S. 1027 von „dem alten Vorurtheil, als hätten die Wurzeln
noch in nachursprachlicher Zeit ein selbstständiges Leben ge-
habt“. Aehnlich drückt sich Delbrück a. a. O. aus: „Je ein-
dringender die Vergleichung der indogermanischen Sprachen
zu Werke gegangen ist, um so deutlicher ist der Satz ge-
worden : Die Flexion war schon in der Ursprache abgeschlos-
sen ; in die Einzelsprachen sind nur fertige Wörter überliefert
worden“. Beide Urtheile beruhen, wie ich glaube, auf einem
blossen Missverständniss. Ich wüsste nicht, wo jemand jenes
Vorurtheil geltend gemacht hätte, das Brugmann mit Recht
tadelt, und das, was Delbrück gegensätzlich ausspricht, ist,
glaube ich, stets die Meinung aller urtheilsfähigen Forscher
gewesen. Ich verweise in dieser Beziehung auf meine Schrift
„Zur Chronologie der indog. Sprachforschung“, welche sich
gerade mit dem Versuche beschäftigt, nachzuweisen, wie in
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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/139>, abgerufen am 16.02.2025.
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