Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

Aber wir gehen weiter. Selbst wenn wir einräumen wollen,
dass die Entstehung der Palatalen ursprünglich auf der Ein-
wirkung eines nachfolgenden i-artigen Lautes beruhte, so fragt
es sich, in welche Zeit diese Entstehung zu setzen ist. Die
Palatalen gehören nur den indisch - iranischen Sprachen an.
Also selbst für den als möglich zugegebenen Fall, dass sie
auf die angegebene Weise entstanden seien, würde das i oder e,
das ihre Entstehung bewirkte, nur für das arische, nicht für
das gesammte indogermanische Sprachgebiet erwiesen sein.
Und was läge auffallendes darin, wenn wir annähmen, im Ur-
indogermanischen sei nur ein einziger kurzer A-Laut vorhan-
den gewesen, aus diesem habe sich in grösserer Fülle bei den
Westindogermanen der Dreiklang entfaltet, aber auch bei den
Ariern oder Ostindogermanen sei nach ihrer Trennung von den
übrigen Völkern in bescheidenen Ansätzen aus einem Theil der
A-Laute das hellere e entwickelt, freilich ohne historischen
Zusammenhang mit dem gleichlautenden der Westler. Es wird
das ja z. B. für das Zend nicht selten zugegeben, wo sich
bisweilen ein e zeigt, das dem sanskr. a gegenübersteht, ohne
mit dem westlichen e irgend etwas zu thun zu haben. Es
würde dann mit diesem e jene Art des en im Sanskrit zu ver-
gleichen sein, das nicht als ursprünglicher Diphthong gefasst
werden kann. Joh. Schmidt S. 61 u. 62 der erwähnten Ab-
handlung führt sieben Fälle der Art an, z. B. endhi aus *asdhi
(sei) = griech. isthi, denhi aus *dadhi (gib). Diese Formen
mit jenen vorhin behandelten Spuren eines nur aus seinen
Wirkungen erkennbaren k im Sanskrit bleiben vielleicht ein
interessantes Zeichen davon, dass auch den Ostindogermanen
eine Zeit lang der kurze e-Laut nicht gänzlich fremd war,
aber für ein indogermanisches e beweisen sie nichts *) Joh.

*) Bartholomae in seiner Abhandlung "die altvedischen en-Formen
im Perfect" Kuhn's Zeitschr. XXVII, 338 ff. erörtert sorgfältig vieles hier-
her gehörige. Da er gewichtige Gründe gegen die ursprüngliche Zusammen-
gehörigkeit von Pluralformen wie sanskr. sendima mit lat. sendimus und got.

Aber wir gehen weiter. Selbst wenn wir einräumen wollen,
dass die Entstehung der Palatalen ursprünglich auf der Ein-
wirkung eines nachfolgenden i-artigen Lautes beruhte, so fragt
es sich, in welche Zeit diese Entstehung zu setzen ist. Die
Palatalen gehören nur den indisch - iranischen Sprachen an.
Also selbst für den als möglich zugegebenen Fall, dass sie
auf die angegebene Weise entstanden seien, würde das i oder e,
das ihre Entstehung bewirkte, nur für das arische, nicht für
das gesammte indogermanische Sprachgebiet erwiesen sein.
Und was läge auffallendes darin, wenn wir annähmen, im Ur-
indogermanischen sei nur ein einziger kurzer A-Laut vorhan-
den gewesen, aus diesem habe sich in grösserer Fülle bei den
Westindogermanen der Dreiklang entfaltet, aber auch bei den
Ariern oder Ostindogermanen sei nach ihrer Trennung von den
übrigen Völkern in bescheidenen Ansätzen aus einem Theil der
A-Laute das hellere e entwickelt, freilich ohne historischen
Zusammenhang mit dem gleichlautenden der Westler. Es wird
das ja z. B. für das Zend nicht selten zugegeben, wo sich
bisweilen ein zeigt, das dem sanskr. a gegenübersteht, ohne
mit dem westlichen irgend etwas zu thun zu haben. Es
würde dann mit diesem jene Art des im Sanskrit zu ver-
gleichen sein, das nicht als ursprünglicher Diphthong gefasst
werden kann. Joh. Schmidt S. 61 u. 62 der erwähnten Ab-
handlung führt sieben Fälle der Art an, z. B. ēdhi aus *asdhi
(sei) = griech. ἴσθι, dēhi aus *dadhi (gib). Diese Formen
mit jenen vorhin behandelten Spuren eines nur aus seinen
Wirkungen erkennbaren im Sanskrit bleiben vielleicht ein
interessantes Zeichen davon, dass auch den Ostindogermanen
eine Zeit lang der kurze e-Laut nicht gänzlich fremd war,
aber für ein indogermanisches e beweisen sie nichts *) Joh.

*) Bartholomae in seiner Abhandlung „die altvedischen -Formen
im Perfect" Kuhn's Zeitschr. XXVII, 338 ff. erörtert sorgfältig vieles hier-
her gehörige. Da er gewichtige Gründe gegen die ursprüngliche Zusammen-
gehörigkeit von Pluralformen wie sanskr. sēdima mit lat. sēdimus und got.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0110" n="102"/>
        <p>Aber wir gehen weiter. Selbst wenn wir einräumen wollen,<lb/>
dass die Entstehung der Palatalen ursprünglich auf der Ein-<lb/>
wirkung eines nachfolgenden <hi rendition="#i">i</hi>-artigen Lautes beruhte, so fragt<lb/>
es sich, in welche Zeit diese Entstehung zu setzen ist. Die<lb/>
Palatalen gehören nur den indisch - iranischen Sprachen an.<lb/>
Also selbst für den als möglich zugegebenen Fall, dass sie<lb/>
auf die angegebene Weise entstanden seien, würde das <hi rendition="#i">i</hi> oder <hi rendition="#i">e</hi>,<lb/>
das ihre Entstehung bewirkte, nur für das arische, nicht für<lb/>
das gesammte indogermanische Sprachgebiet erwiesen sein.<lb/>
Und was läge auffallendes darin, wenn wir annähmen, im Ur-<lb/>
indogermanischen sei nur ein einziger kurzer A-Laut vorhan-<lb/>
den gewesen, aus diesem habe sich in grösserer Fülle bei den<lb/>
Westindogermanen der Dreiklang entfaltet, aber auch bei den<lb/>
Ariern oder Ostindogermanen sei nach ihrer Trennung von den<lb/>
übrigen Völkern in bescheidenen Ansätzen aus einem Theil der<lb/>
A-Laute das hellere <hi rendition="#i">e</hi> entwickelt, freilich ohne historischen<lb/>
Zusammenhang mit dem gleichlautenden der Westler. Es wird<lb/>
das ja z. B. für das Zend nicht selten zugegeben, wo sich<lb/>
bisweilen ein <hi rendition="#i">e&#x0306;</hi> zeigt, das dem sanskr. <hi rendition="#i">a</hi> gegenübersteht, ohne<lb/>
mit dem westlichen <hi rendition="#i">e&#x0306;</hi> irgend etwas zu thun zu haben. Es<lb/>
würde dann mit diesem <hi rendition="#i">e&#x0306;</hi> jene Art des <hi rendition="#i">e&#x0304;</hi> im Sanskrit zu ver-<lb/>
gleichen sein, das nicht als ursprünglicher Diphthong gefasst<lb/>
werden kann. Joh. Schmidt S. 61 u. 62 der erwähnten Ab-<lb/>
handlung führt sieben Fälle der Art an, z. B. <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="san">e&#x0304;dhi</foreign></hi> aus *<hi rendition="#i">asdhi</hi><lb/>
(sei) = griech. <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">&#x1F34;&#x03C3;&#x03B8;&#x03B9;</foreign></hi>, <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="san">de&#x0304;hi</foreign></hi> aus *<hi rendition="#i">dadhi</hi> (gib). Diese Formen<lb/>
mit jenen vorhin behandelten Spuren eines nur aus seinen<lb/>
Wirkungen erkennbaren <hi rendition="#i">k&#x030D;</hi> im Sanskrit bleiben vielleicht ein<lb/>
interessantes Zeichen davon, dass auch den Ostindogermanen<lb/>
eine Zeit lang der kurze <hi rendition="#i">e</hi>-Laut nicht gänzlich fremd war,<lb/>
aber für ein indogermanisches <hi rendition="#i">e</hi> beweisen sie nichts                 <note xml:id="ftn3a" next="#ftn3b" place="foot" n="*)">Bartholomae in seiner Abhandlung &#x201E;die altvedischen <hi rendition="#i">e&#x0304;</hi>-Formen<lb/>
im Perfect" Kuhn's Zeitschr. XXVII, 338 ff. erörtert sorgfältig vieles hier-<lb/>
her gehörige. Da er gewichtige Gründe gegen die ursprüngliche Zusammen-<lb/>
gehörigkeit von Pluralformen wie sanskr. <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="san">se&#x0304;dima</foreign></hi> mit lat. <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="lat">se&#x0304;dimus</foreign></hi> und got.<lb/></note>  Joh.<lb/><lb/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0110] Aber wir gehen weiter. Selbst wenn wir einräumen wollen, dass die Entstehung der Palatalen ursprünglich auf der Ein- wirkung eines nachfolgenden i-artigen Lautes beruhte, so fragt es sich, in welche Zeit diese Entstehung zu setzen ist. Die Palatalen gehören nur den indisch - iranischen Sprachen an. Also selbst für den als möglich zugegebenen Fall, dass sie auf die angegebene Weise entstanden seien, würde das i oder e, das ihre Entstehung bewirkte, nur für das arische, nicht für das gesammte indogermanische Sprachgebiet erwiesen sein. Und was läge auffallendes darin, wenn wir annähmen, im Ur- indogermanischen sei nur ein einziger kurzer A-Laut vorhan- den gewesen, aus diesem habe sich in grösserer Fülle bei den Westindogermanen der Dreiklang entfaltet, aber auch bei den Ariern oder Ostindogermanen sei nach ihrer Trennung von den übrigen Völkern in bescheidenen Ansätzen aus einem Theil der A-Laute das hellere e entwickelt, freilich ohne historischen Zusammenhang mit dem gleichlautenden der Westler. Es wird das ja z. B. für das Zend nicht selten zugegeben, wo sich bisweilen ein ĕ zeigt, das dem sanskr. a gegenübersteht, ohne mit dem westlichen ĕ irgend etwas zu thun zu haben. Es würde dann mit diesem ĕ jene Art des ē im Sanskrit zu ver- gleichen sein, das nicht als ursprünglicher Diphthong gefasst werden kann. Joh. Schmidt S. 61 u. 62 der erwähnten Ab- handlung führt sieben Fälle der Art an, z. B. ēdhi aus *asdhi (sei) = griech. ἴσθι, dēhi aus *dadhi (gib). Diese Formen mit jenen vorhin behandelten Spuren eines nur aus seinen Wirkungen erkennbaren k̍ im Sanskrit bleiben vielleicht ein interessantes Zeichen davon, dass auch den Ostindogermanen eine Zeit lang der kurze e-Laut nicht gänzlich fremd war, aber für ein indogermanisches e beweisen sie nichts *) Joh. *) Bartholomae in seiner Abhandlung „die altvedischen ē-Formen im Perfect" Kuhn's Zeitschr. XXVII, 338 ff. erörtert sorgfältig vieles hier- her gehörige. Da er gewichtige Gründe gegen die ursprüngliche Zusammen- gehörigkeit von Pluralformen wie sanskr. sēdima mit lat. sēdimus und got.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/110
Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/110>, abgerufen am 24.11.2024.