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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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ksl. Nbogu (Gott),abersanskr. N.agas=agos
Voc.boze,"" Voc.aga=age,

Diese Erscheinung wird von Collitz und Joh. Schmidt so er-
klärt, dass -- gleichsam nach der Analogie unsrer politischen
Abstimmungen -- die Majorität der Formen auf jedem der
beiden Gebiete die Minorität nach sich gezogen hätte. Aber,
wenn wir auch zugeben wollen, dass im Sanskrit das e aller
übrigen Verbalformen auf die 1. Sing, und 3. Pl. eingewirkt
hätte und dass in derselben Sprache der seltner gebrauchte
Vocativ sich allen übrigen weit häufigeren Casusformen assi-
milirt hätte, so bleibt es doch höchst auffallend, dass der
palatale Laut, welcher nach dieser Theorie beim Nomen eigent-
lich nur im Vocativ etwas zu thun hat, dennoch von da aus,
in Wörtern wie agas, alle übrigen Casus ergriffen haben soll.
Man kann eine Lautbewegung von solcher Inconsequenz doch
eigentlich kaum ein Lautgesetz nennen, höchstens eine be-
ginnende, vielleicht auch eine schon halb erstorbene Laut-
bewegung. Collitz weist darauf hin, dass in einem Zweige
der slawischen Sprachen, im Kleinrussischen, ähnliche Uni-
formirungen wirklich vorkommen. Dergleichen Fälle Hessen
sich auch aus andern Sprachen derselben Familie, z. B. aus
dem Cechischen, anführen. Und auch bei den Deutschen Böh-
mens hört man solche Formen wie ich gib, ich sieh und andres
der Art. Es handelt sich aber dabei um neuere Sprachen,
und immer würden die Veränderungen innerhalb der alten
Sanskritsprache stärker und willkürlicher sein als jene.

Wie sehr sticht diese für das Sanskrit behauptete Un-
regelmässigkeit gegen andere, längst feststehende Lautgesetze
dieser Sprache ab, z. B. gegen das Gesetz, wonach im Sanskrit
s unter bestimmen Bedingungen in sh oder n in n verwandelt
wird. Wie man aus Whitney's Grammatik § 180--185 und
§ 189 ff. ersehen kann, sind die Ausnahmen von den für diese
Fälle geltenden Regeln gering an Zahl und meist leicht er-
klärbar.


ebenso

ksl. Nbogŭ (Gott),abersanskr. N.ag̍ás=ἀγός
Voc.bože,„ Voc.ag̍a=ἀγέ,

Diese Erscheinung wird von Collitz und Joh. Schmidt so er-
klärt, dass — gleichsam nach der Analogie unsrer politischen
Abstimmungen — die Majorität der Formen auf jedem der
beiden Gebiete die Minorität nach sich gezogen hätte. Aber,
wenn wir auch zugeben wollen, dass im Sanskrit das e aller
übrigen Verbalformen auf die 1. Sing, und 3. Pl. eingewirkt
hätte und dass in derselben Sprache der seltner gebrauchte
Vocativ sich allen übrigen weit häufigeren Casusformen assi-
milirt hätte, so bleibt es doch höchst auffallend, dass der
palatale Laut, welcher nach dieser Theorie beim Nomen eigent-
lich nur im Vocativ etwas zu thun hat, dennoch von da aus,
in Wörtern wie ag̍ás, alle übrigen Casus ergriffen haben soll.
Man kann eine Lautbewegung von solcher Inconsequenz doch
eigentlich kaum ein Lautgesetz nennen, höchstens eine be-
ginnende, vielleicht auch eine schon halb erstorbene Laut-
bewegung. Collitz weist darauf hin, dass in einem Zweige
der slawischen Sprachen, im Kleinrussischen, ähnliche Uni-
formirungen wirklich vorkommen. Dergleichen Fälle Hessen
sich auch aus andern Sprachen derselben Familie, z. B. aus
dem Čechischen, anführen. Und auch bei den Deutschen Böh-
mens hört man solche Formen wie ich gib, ich sieh und andres
der Art. Es handelt sich aber dabei um neuere Sprachen,
und immer würden die Veränderungen innerhalb der alten
Sanskritsprache stärker und willkürlicher sein als jene.

Wie sehr sticht diese für das Sanskrit behauptete Un-
regelmässigkeit gegen andere, längst feststehende Lautgesetze
dieser Sprache ab, z. B. gegen das Gesetz, wonach im Sanskrit
s unter bestimmen Bedingungen in sh oder n in verwandelt
wird. Wie man aus Whitney's Grammatik § 180—185 und
§ 189 ff. ersehen kann, sind die Ausnahmen von den für diese
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[101/0109] ebenso ksl. N bogŭ (Gott), aber sanskr. N. ag̍ás=ἀγός Voc. bože, „ „ Voc. ag̍a=ἀγέ, Diese Erscheinung wird von Collitz und Joh. Schmidt so er- klärt, dass — gleichsam nach der Analogie unsrer politischen Abstimmungen — die Majorität der Formen auf jedem der beiden Gebiete die Minorität nach sich gezogen hätte. Aber, wenn wir auch zugeben wollen, dass im Sanskrit das e aller übrigen Verbalformen auf die 1. Sing, und 3. Pl. eingewirkt hätte und dass in derselben Sprache der seltner gebrauchte Vocativ sich allen übrigen weit häufigeren Casusformen assi- milirt hätte, so bleibt es doch höchst auffallend, dass der palatale Laut, welcher nach dieser Theorie beim Nomen eigent- lich nur im Vocativ etwas zu thun hat, dennoch von da aus, in Wörtern wie ag̍ás, alle übrigen Casus ergriffen haben soll. Man kann eine Lautbewegung von solcher Inconsequenz doch eigentlich kaum ein Lautgesetz nennen, höchstens eine be- ginnende, vielleicht auch eine schon halb erstorbene Laut- bewegung. Collitz weist darauf hin, dass in einem Zweige der slawischen Sprachen, im Kleinrussischen, ähnliche Uni- formirungen wirklich vorkommen. Dergleichen Fälle Hessen sich auch aus andern Sprachen derselben Familie, z. B. aus dem Čechischen, anführen. Und auch bei den Deutschen Böh- mens hört man solche Formen wie ich gib, ich sieh und andres der Art. Es handelt sich aber dabei um neuere Sprachen, und immer würden die Veränderungen innerhalb der alten Sanskritsprache stärker und willkürlicher sein als jene. Wie sehr sticht diese für das Sanskrit behauptete Un- regelmässigkeit gegen andere, längst feststehende Lautgesetze dieser Sprache ab, z. B. gegen das Gesetz, wonach im Sanskrit s unter bestimmen Bedingungen in sh oder n in ṇ verwandelt wird. Wie man aus Whitney's Grammatik § 180—185 und § 189 ff. ersehen kann, sind die Ausnahmen von den für diese Fälle geltenden Regeln gering an Zahl und meist leicht er- klärbar.

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/109>, abgerufen am 24.11.2024.