Aber die kleinen Republiken hatten Italien nicht zu hellenisiren vermocht, und eben so wenig war dies den gewaltsamen Ver¬ suchen hellenistischer Fürsten gelungen; Rom sollte selbst nach Griechenland kommen, um hier die Macht griechischer Cultur zu empfinden.
Es kann nicht meine Absicht sein, die Epoche zu schildern, da die beiden Zweige des großen Völkergeschlechts sich von Neuem begegneten. In getrennten Wohnsitzen, auf verschiede¬ nen Culturwegen waren sie weit auseinander gegangen, ohne daß das Gefühl der ursprünglichen Zusammengehörigkeit und das gegenseitige Verständniß sich ganz verloren hätte. Mit praktischem Sinne hatte der Römer sein Haus und seinen Staat geordnet, auf bäuerliches Leben seine Sitte gegründet und in strenger Zucht zu erhalten gesucht, nüchtern und verständig, spröde und mißtrauisch gegen Alles, was den nächsten Zwecken des bürgerlichen Lebens ferne lag. In dieser Beschränkung lag die Stärke des Römerthums. Aber wie arm und kahl erschien es nun, als sich die reiche Fülle des griechischen Le¬ bens zur Vergleichung darbot! Da schlossen sich den Römern ungeahnte Quellen geistiger Freude und Belehrung auf, wäh¬ rend die Griechen ihrerseits dem kernhaften und mächtigen Bürgerstaate ihre Bewunderung nicht versagen konnten. Die urtheilsfähigen Männer beider Nationen mußten erkennen, wie der einen mangele, was die andere besitze, und wie deutlich sie zu gegenseitiger Ergänzung berufen seien. Das waren die Ideen des Kreises, welchem Polybios angehörte. Er lebte sich in Rom ein, ohne seinen achäischen Patriotismus aufzu¬ geben, und sein Schüler, der jüngere Scipio, blieb ein voller Römer, aber geadelt und gehoben durch seine warme Liebe für Griechenland.
Auf dieser zarten Linie konnte sich aber das römische Philhellenenthum nicht erhalten. Schon in der nächsten Gene¬ ration drang es in alle Schichten der Bevölkerung ein und zersetzte das römische Wesen. Es begann ein hartnäckiger Kampf gegen die moderne Mischbildung, aber er konnte keinen dauernden Erfolg haben. Rom bedurfte einmal, seit es Welt¬
Der Weltgang der griechiſchen Cultur.
Aber die kleinen Republiken hatten Italien nicht zu helleniſiren vermocht, und eben ſo wenig war dies den gewaltſamen Ver¬ ſuchen helleniſtiſcher Fürſten gelungen; Rom ſollte ſelbſt nach Griechenland kommen, um hier die Macht griechiſcher Cultur zu empfinden.
Es kann nicht meine Abſicht ſein, die Epoche zu ſchildern, da die beiden Zweige des großen Völkergeſchlechts ſich von Neuem begegneten. In getrennten Wohnſitzen, auf verſchiede¬ nen Culturwegen waren ſie weit auseinander gegangen, ohne daß das Gefühl der urſprünglichen Zuſammengehörigkeit und das gegenſeitige Verſtändniß ſich ganz verloren hätte. Mit praktiſchem Sinne hatte der Römer ſein Haus und ſeinen Staat geordnet, auf bäuerliches Leben ſeine Sitte gegründet und in ſtrenger Zucht zu erhalten geſucht, nüchtern und verſtändig, ſpröde und mißtrauiſch gegen Alles, was den nächſten Zwecken des bürgerlichen Lebens ferne lag. In dieſer Beſchränkung lag die Stärke des Römerthums. Aber wie arm und kahl erſchien es nun, als ſich die reiche Fülle des griechiſchen Le¬ bens zur Vergleichung darbot! Da ſchloſſen ſich den Römern ungeahnte Quellen geiſtiger Freude und Belehrung auf, wäh¬ rend die Griechen ihrerſeits dem kernhaften und mächtigen Bürgerſtaate ihre Bewunderung nicht verſagen konnten. Die urtheilsfähigen Männer beider Nationen mußten erkennen, wie der einen mangele, was die andere beſitze, und wie deutlich ſie zu gegenſeitiger Ergänzung berufen ſeien. Das waren die Ideen des Kreiſes, welchem Polybios angehörte. Er lebte ſich in Rom ein, ohne ſeinen achäiſchen Patriotismus aufzu¬ geben, und ſein Schüler, der jüngere Scipio, blieb ein voller Römer, aber geadelt und gehoben durch ſeine warme Liebe für Griechenland.
Auf dieſer zarten Linie konnte ſich aber das römiſche Philhellenenthum nicht erhalten. Schon in der nächſten Gene¬ ration drang es in alle Schichten der Bevölkerung ein und zerſetzte das römiſche Weſen. Es begann ein hartnäckiger Kampf gegen die moderne Miſchbildung, aber er konnte keinen dauernden Erfolg haben. Rom bedurfte einmal, ſeit es Welt¬
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Der Weltgang der griechiſchen Cultur.
Aber die kleinen Republiken hatten Italien nicht zu helleniſiren
vermocht, und eben ſo wenig war dies den gewaltſamen Ver¬
ſuchen helleniſtiſcher Fürſten gelungen; Rom ſollte ſelbſt nach
Griechenland kommen, um hier die Macht griechiſcher Cultur
zu empfinden.
Es kann nicht meine Abſicht ſein, die Epoche zu ſchildern,
da die beiden Zweige des großen Völkergeſchlechts ſich von
Neuem begegneten. In getrennten Wohnſitzen, auf verſchiede¬
nen Culturwegen waren ſie weit auseinander gegangen, ohne
daß das Gefühl der urſprünglichen Zuſammengehörigkeit und
das gegenſeitige Verſtändniß ſich ganz verloren hätte. Mit
praktiſchem Sinne hatte der Römer ſein Haus und ſeinen Staat
geordnet, auf bäuerliches Leben ſeine Sitte gegründet und in
ſtrenger Zucht zu erhalten geſucht, nüchtern und verſtändig,
ſpröde und mißtrauiſch gegen Alles, was den nächſten Zwecken
des bürgerlichen Lebens ferne lag. In dieſer Beſchränkung
lag die Stärke des Römerthums. Aber wie arm und kahl
erſchien es nun, als ſich die reiche Fülle des griechiſchen Le¬
bens zur Vergleichung darbot! Da ſchloſſen ſich den Römern
ungeahnte Quellen geiſtiger Freude und Belehrung auf, wäh¬
rend die Griechen ihrerſeits dem kernhaften und mächtigen
Bürgerſtaate ihre Bewunderung nicht verſagen konnten. Die
urtheilsfähigen Männer beider Nationen mußten erkennen, wie
der einen mangele, was die andere beſitze, und wie deutlich
ſie zu gegenſeitiger Ergänzung berufen ſeien. Das waren die
Ideen des Kreiſes, welchem Polybios angehörte. Er lebte
ſich in Rom ein, ohne ſeinen achäiſchen Patriotismus aufzu¬
geben, und ſein Schüler, der jüngere Scipio, blieb ein voller
Römer, aber geadelt und gehoben durch ſeine warme Liebe
für Griechenland.
Auf dieſer zarten Linie konnte ſich aber das römiſche
Philhellenenthum nicht erhalten. Schon in der nächſten Gene¬
ration drang es in alle Schichten der Bevölkerung ein und
zerſetzte das römiſche Weſen. Es begann ein hartnäckiger
Kampf gegen die moderne Miſchbildung, aber er konnte keinen
dauernden Erfolg haben. Rom bedurfte einmal, ſeit es Welt¬
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/84>, abgerufen am 22.07.2024.
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