Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Das alte und neue Griechenland. Schriftsteller zwischen Altem und Neuem seinen eignen Weg,und so viel Talent sich darin auch offenbart, so ist die künst¬ liche Haltung des Neugriechischen doch für diese Entwickelung einer nationalen Litteratur in hohem Grade hemmend; es fehlt ihr die frische Unmittelbarkeit einer im Volke erwachsenen Sprache, wie sie doch allein im Stande ist, das Organ na¬ tionaler Dichtung und Rede zu sein. So hat die Wiedergeburt des griechischen Volks mit Wer als Freund des Alterthums nach Hellas kommt, wie Das alte und neue Griechenland. Schriftſteller zwiſchen Altem und Neuem ſeinen eignen Weg,und ſo viel Talent ſich darin auch offenbart, ſo iſt die künſt¬ liche Haltung des Neugriechiſchen doch für dieſe Entwickelung einer nationalen Litteratur in hohem Grade hemmend; es fehlt ihr die friſche Unmittelbarkeit einer im Volke erwachſenen Sprache, wie ſie doch allein im Stande iſt, das Organ na¬ tionaler Dichtung und Rede zu ſein. So hat die Wiedergeburt des griechiſchen Volks mit Wer als Freund des Alterthums nach Hellas kommt, wie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0055" n="39"/><fw place="top" type="header">Das alte und neue Griechenland.<lb/></fw>Schriftſteller zwiſchen Altem und Neuem ſeinen eignen Weg,<lb/> und ſo viel Talent ſich darin auch offenbart, ſo iſt die künſt¬<lb/> liche Haltung des Neugriechiſchen doch für dieſe Entwickelung<lb/> einer nationalen Litteratur in hohem Grade hemmend; es fehlt<lb/> ihr die friſche Unmittelbarkeit einer im Volke erwachſenen<lb/> Sprache, wie ſie doch allein im Stande iſt, das Organ na¬<lb/> tionaler Dichtung und Rede zu ſein.</p><lb/> <p>So hat die Wiedergeburt des griechiſchen Volks mit<lb/> vielen und eigenthümlichen Schwierigkeiten innerer und äußerer<lb/> Art zu kämpfen. Eine glückliche Ueberwindung iſt nur dann<lb/> zu hoffen, wenn das Volk inne wird, daß es nicht vorwärts<lb/> kommen kann, wenn es ſeine beſte Kraft in Parteireibungen<lb/> zuſetzt und ſein höchſtes Intereſſe den Fragen einer unſtäten<lb/> Tagespolitik zuwendet. Es kann von den großen Zielen, die<lb/> dem Volke vorſchweben, nichts gelingen, wenn es ſich nicht<lb/> mit vollem Ernſte von Grund auf ſittlich und religiös erneuert,<lb/> durch ſtrenge Zucht in Schule und Haus eine arbeitſame und<lb/> pflichttreue Jugend erzieht und ſo allmählich den geſunden Kern<lb/> einer griechiſchen Nationalität bildet. Denn man kann es<lb/> den heutigen Bewohnern der klaſſiſchen Länder nicht ernſthaft<lb/> genug vorſtellen, daß es eine arge Täuſchung ſei, wenn Völker,<lb/> welche durch Elend und Schmach aller Art Jahrhunderte lang<lb/> geſunken ſind, auf einmal durch ein haſtiges Greifen nach<lb/> äußeren Formen und modernen Staatseinrichtungen ohne<lb/> innere Erneuerung und ſittliche Wiedergeburt hohe nationale<lb/> Ziele erreichen zu können glauben.</p><lb/> <p>Wer als Freund des Alterthums nach Hellas kommt, wie<lb/> ängſtlich verſchließt er ſein Ohr dem unheimlichen Parteige¬<lb/> zänke der Gegenwart! Ernſt und ſchweigſam wandelt er über<lb/> die Stätten der alten Geſchichte; es iſt, als fürchte er durch<lb/> loſe Rede die Geiſter derer zu verletzen, die hier einſt ſo<lb/> Großes gedacht und geſchaffen haben. Ein tiefer Ernſt liegt<lb/> über Land und Meer ausgegoſſen, und, wenn das Sonnenlicht<lb/> erloſchen iſt, ſo blicken uns die grauen Felsberge von Attica<lb/> wie entſeelte Geſtalten an, deren Wiedererweckung zu neuem<lb/> Leben nur durch ein Wunder gelingen könne. Der Gang der<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [39/0055]
Das alte und neue Griechenland.
Schriftſteller zwiſchen Altem und Neuem ſeinen eignen Weg,
und ſo viel Talent ſich darin auch offenbart, ſo iſt die künſt¬
liche Haltung des Neugriechiſchen doch für dieſe Entwickelung
einer nationalen Litteratur in hohem Grade hemmend; es fehlt
ihr die friſche Unmittelbarkeit einer im Volke erwachſenen
Sprache, wie ſie doch allein im Stande iſt, das Organ na¬
tionaler Dichtung und Rede zu ſein.
So hat die Wiedergeburt des griechiſchen Volks mit
vielen und eigenthümlichen Schwierigkeiten innerer und äußerer
Art zu kämpfen. Eine glückliche Ueberwindung iſt nur dann
zu hoffen, wenn das Volk inne wird, daß es nicht vorwärts
kommen kann, wenn es ſeine beſte Kraft in Parteireibungen
zuſetzt und ſein höchſtes Intereſſe den Fragen einer unſtäten
Tagespolitik zuwendet. Es kann von den großen Zielen, die
dem Volke vorſchweben, nichts gelingen, wenn es ſich nicht
mit vollem Ernſte von Grund auf ſittlich und religiös erneuert,
durch ſtrenge Zucht in Schule und Haus eine arbeitſame und
pflichttreue Jugend erzieht und ſo allmählich den geſunden Kern
einer griechiſchen Nationalität bildet. Denn man kann es
den heutigen Bewohnern der klaſſiſchen Länder nicht ernſthaft
genug vorſtellen, daß es eine arge Täuſchung ſei, wenn Völker,
welche durch Elend und Schmach aller Art Jahrhunderte lang
geſunken ſind, auf einmal durch ein haſtiges Greifen nach
äußeren Formen und modernen Staatseinrichtungen ohne
innere Erneuerung und ſittliche Wiedergeburt hohe nationale
Ziele erreichen zu können glauben.
Wer als Freund des Alterthums nach Hellas kommt, wie
ängſtlich verſchließt er ſein Ohr dem unheimlichen Parteige¬
zänke der Gegenwart! Ernſt und ſchweigſam wandelt er über
die Stätten der alten Geſchichte; es iſt, als fürchte er durch
loſe Rede die Geiſter derer zu verletzen, die hier einſt ſo
Großes gedacht und geſchaffen haben. Ein tiefer Ernſt liegt
über Land und Meer ausgegoſſen, und, wenn das Sonnenlicht
erloſchen iſt, ſo blicken uns die grauen Felsberge von Attica
wie entſeelte Geſtalten an, deren Wiedererweckung zu neuem
Leben nur durch ein Wunder gelingen könne. Der Gang der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |