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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die Idee des Königthums.
von Staaten, welche als Anhängsel genußsüchtiger Höfe be¬
trachtet wurden, stellte er seine ganze Person in den Dienst
des Staats und übernahm aus eigenem Entschlusse die Last
einer ungeheuern Arbeit; denn der Staat, dem er sich weihte,
mußte erst geschaffen, ja die Idee des Staats erst wieder ge¬
weckt werden. Waren doch damals die besten Deutschen, auch
Lessing und Winckelmann, vaterlandslose Menschen! Man hatte
sich der Dienstleistung für das Gemeinwesen ganz entwöhnt
und kannte kein höheres Lebensglück als ein ungestörtes Ge¬
nießen, das Jeder nach seiner Weise auffaßte. Eine solche
Zeit war es, in der Friedrich den Staat wiederum in den
Mittelpunkt unseres Denkens und Handelns stellte und anstatt
kleinbürgerlicher Behaglichkeit die Arbeit am öffentlichen Leben
als den Zweck unsers Daseins angesehen wissen wollte.

Bei der unbedingten Ueberlegenheit seines Geistes, bei
seiner alles Große und Kleine umfassenden Regententhätigkeit
hatte er mehr Recht als irgend ein Fürst des achtzehnten Jahr¬
hunderts zu sagen: der Staat ruht auf mir, ich bin der Staat!
Aber gerade in diesem Punkt hat er von dem Einflusse roma¬
nischer Civilisation am entschiedensten sich losgemacht, nicht
in der Theorie vom Staate, in welcher er Rousseau folgte,
aber in seinem Handeln, indem er, von dem Zuge eines edlen
und reinen Wollens sicher geleitet, dieselbe Ueberzeugung be¬
währte, welche die Weisen des Alterthums gelehrt hatten, daß
der Staat das Ursprüngliche und Ganze sei, dem der Einzelne
als Theil und Glied sich ein- und unterzuordnen habe, und
in der That war er bereit, wie der alte König von Athen,
jeden Augenblick sein Leben für das Vaterland als Opfer hin¬
zugeben.

Er hat seiner Ueberzeugung ein eigenthümliches Gepräge
gegeben, indem er mit dem ritterlichen Sinne, den das Alter¬
thum nicht kannte, das "ich dien" als Wahlspruch auf seinen
Königsschild schrieb und im Sinne des Christenthums, dessen
Lehre ihm für das menschliche Zusammenleben als höchste
Richtschnur galt, der Ansicht war, daß der, welcher der Größeste
unter den Seinen sein wolle, der Dienende sein müsse.

Die Idee des Königthums.
von Staaten, welche als Anhängſel genußſüchtiger Höfe be¬
trachtet wurden, ſtellte er ſeine ganze Perſon in den Dienſt
des Staats und übernahm aus eigenem Entſchluſſe die Laſt
einer ungeheuern Arbeit; denn der Staat, dem er ſich weihte,
mußte erſt geſchaffen, ja die Idee des Staats erſt wieder ge¬
weckt werden. Waren doch damals die beſten Deutſchen, auch
Leſſing und Winckelmann, vaterlandsloſe Menſchen! Man hatte
ſich der Dienſtleiſtung für das Gemeinweſen ganz entwöhnt
und kannte kein höheres Lebensglück als ein ungeſtörtes Ge¬
nießen, das Jeder nach ſeiner Weiſe auffaßte. Eine ſolche
Zeit war es, in der Friedrich den Staat wiederum in den
Mittelpunkt unſeres Denkens und Handelns ſtellte und anſtatt
kleinbürgerlicher Behaglichkeit die Arbeit am öffentlichen Leben
als den Zweck unſers Daſeins angeſehen wiſſen wollte.

Bei der unbedingten Ueberlegenheit ſeines Geiſtes, bei
ſeiner alles Große und Kleine umfaſſenden Regententhätigkeit
hatte er mehr Recht als irgend ein Fürſt des achtzehnten Jahr¬
hunderts zu ſagen: der Staat ruht auf mir, ich bin der Staat!
Aber gerade in dieſem Punkt hat er von dem Einfluſſe roma¬
niſcher Civiliſation am entſchiedenſten ſich losgemacht, nicht
in der Theorie vom Staate, in welcher er Rouſſeau folgte,
aber in ſeinem Handeln, indem er, von dem Zuge eines edlen
und reinen Wollens ſicher geleitet, dieſelbe Ueberzeugung be¬
währte, welche die Weiſen des Alterthums gelehrt hatten, daß
der Staat das Urſprüngliche und Ganze ſei, dem der Einzelne
als Theil und Glied ſich ein- und unterzuordnen habe, und
in der That war er bereit, wie der alte König von Athen,
jeden Augenblick ſein Leben für das Vaterland als Opfer hin¬
zugeben.

Er hat ſeiner Ueberzeugung ein eigenthümliches Gepräge
gegeben, indem er mit dem ritterlichen Sinne, den das Alter¬
thum nicht kannte, das »ich dien« als Wahlſpruch auf ſeinen
Königsſchild ſchrieb und im Sinne des Chriſtenthums, deſſen
Lehre ihm für das menſchliche Zuſammenleben als höchſte
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[366/0382] Die Idee des Königthums. von Staaten, welche als Anhängſel genußſüchtiger Höfe be¬ trachtet wurden, ſtellte er ſeine ganze Perſon in den Dienſt des Staats und übernahm aus eigenem Entſchluſſe die Laſt einer ungeheuern Arbeit; denn der Staat, dem er ſich weihte, mußte erſt geſchaffen, ja die Idee des Staats erſt wieder ge¬ weckt werden. Waren doch damals die beſten Deutſchen, auch Leſſing und Winckelmann, vaterlandsloſe Menſchen! Man hatte ſich der Dienſtleiſtung für das Gemeinweſen ganz entwöhnt und kannte kein höheres Lebensglück als ein ungeſtörtes Ge¬ nießen, das Jeder nach ſeiner Weiſe auffaßte. Eine ſolche Zeit war es, in der Friedrich den Staat wiederum in den Mittelpunkt unſeres Denkens und Handelns ſtellte und anſtatt kleinbürgerlicher Behaglichkeit die Arbeit am öffentlichen Leben als den Zweck unſers Daſeins angeſehen wiſſen wollte. Bei der unbedingten Ueberlegenheit ſeines Geiſtes, bei ſeiner alles Große und Kleine umfaſſenden Regententhätigkeit hatte er mehr Recht als irgend ein Fürſt des achtzehnten Jahr¬ hunderts zu ſagen: der Staat ruht auf mir, ich bin der Staat! Aber gerade in dieſem Punkt hat er von dem Einfluſſe roma¬ niſcher Civiliſation am entſchiedenſten ſich losgemacht, nicht in der Theorie vom Staate, in welcher er Rouſſeau folgte, aber in ſeinem Handeln, indem er, von dem Zuge eines edlen und reinen Wollens ſicher geleitet, dieſelbe Ueberzeugung be¬ währte, welche die Weiſen des Alterthums gelehrt hatten, daß der Staat das Urſprüngliche und Ganze ſei, dem der Einzelne als Theil und Glied ſich ein- und unterzuordnen habe, und in der That war er bereit, wie der alte König von Athen, jeden Augenblick ſein Leben für das Vaterland als Opfer hin¬ zugeben. Er hat ſeiner Ueberzeugung ein eigenthümliches Gepräge gegeben, indem er mit dem ritterlichen Sinne, den das Alter¬ thum nicht kannte, das »ich dien« als Wahlſpruch auf ſeinen Königsſchild ſchrieb und im Sinne des Chriſtenthums, deſſen Lehre ihm für das menſchliche Zuſammenleben als höchſte Richtſchnur galt, der Anſicht war, daß der, welcher der Größeſte unter den Seinen ſein wolle, der Dienende ſein müſſe.

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/382>, abgerufen am 23.11.2024.