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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die Idee des Königthums.
Völker gestützt, von einem unsichtbaren Centrum aus die Schick¬
sale der Reiche bestimmt haben.

In Europa wird Alles anders. Wie die Landmassen sich
theilen und gliedern, wie die Sprachen sofort einen reicheren
Vocalismus entfalten, welcher dem Bedürfniß nach klarerem
Ausdruck entgegenkommt, so tritt auch auf dem Gebiete des
öffentlichen Lebens an die Stelle asiatischer Einförmigkeit die
größte Mannigfaltigkeit; Völker und Menschen individualisiren
sich und zwischen Volk und Fürst bildet sich ein wechselseitiges
Verhältniß. In Epirus beschworen die antretenden Könige
einen Vertrag mit dem Volk und bei den Makedoniern war
das Königthum von Anfang an ein durch Gesetz geregeltes
Amt. In Griechenland ist die ganze Energie des staatbilden¬
den Geistes, der Gemeindeentwickelung zugewendet und darum
hat es sich unter allen Ländern am meisten von der Urform
des Staats entfernt. Doch haben die Griechen zuerst das
Wesen des Königthums und seine nach den Nationalitäten
verschiedenen Formen philosophisch begriffen, und auch im
praktischen Staatsleben ist das Königthum ihnen niemals fremd
geworden. Sparta verdankt das Ansehen, welches es bei allen
conservativ gesinnten Hellenen genoß, dem Umstande, daß es das
heraklidische Königthum an der Spitze seines Staats erhalten
hatte, und die Athener bewahrten sich wie einen ehrwürdigen
Hausrath patriarchalischer Vorzeit durch alle Stadien einer
demokratischen Entwickelung ihren König und ihre Königin.
Wo Gewaltherren sich aufthaten, suchten sie ihre Herrschaft
dadurch populär zu machen, daß sie sich an die Traditionen
des Königthums anschlossen, und als man die schlimmen Fol¬
gen einer schrankenlos entwickelten Gemeinfreiheit gekostet hatte,
erwachte wie eine Art von Heimweh die Sehnsucht nach einem
persönlichen Regiment. Die hervorragendsten Denker der nach¬
perikleischen Zeit waren entschiedene Royalisten; man schaute
mit unverhohlener Bewunderung selbst auf die Alleinherrscher
der Barbaren. Platon hielt es für die bedeutendste Aufgabe,
einen Thronerben philosophisch erziehen zu können und als
Philippos den ersten Denker der Zeit an seinen Hof berief,

Die Idee des Königthums.
Völker geſtützt, von einem unſichtbaren Centrum aus die Schick¬
ſale der Reiche beſtimmt haben.

In Europa wird Alles anders. Wie die Landmaſſen ſich
theilen und gliedern, wie die Sprachen ſofort einen reicheren
Vocalismus entfalten, welcher dem Bedürfniß nach klarerem
Ausdruck entgegenkommt, ſo tritt auch auf dem Gebiete des
öffentlichen Lebens an die Stelle aſiatiſcher Einförmigkeit die
größte Mannigfaltigkeit; Völker und Menſchen individualiſiren
ſich und zwiſchen Volk und Fürſt bildet ſich ein wechſelſeitiges
Verhältniß. In Epirus beſchworen die antretenden Könige
einen Vertrag mit dem Volk und bei den Makedoniern war
das Königthum von Anfang an ein durch Geſetz geregeltes
Amt. In Griechenland iſt die ganze Energie des ſtaatbilden¬
den Geiſtes, der Gemeindeentwickelung zugewendet und darum
hat es ſich unter allen Ländern am meiſten von der Urform
des Staats entfernt. Doch haben die Griechen zuerſt das
Weſen des Königthums und ſeine nach den Nationalitäten
verſchiedenen Formen philoſophiſch begriffen, und auch im
praktiſchen Staatsleben iſt das Königthum ihnen niemals fremd
geworden. Sparta verdankt das Anſehen, welches es bei allen
conſervativ geſinnten Hellenen genoß, dem Umſtande, daß es das
heraklidiſche Königthum an der Spitze ſeines Staats erhalten
hatte, und die Athener bewahrten ſich wie einen ehrwürdigen
Hausrath patriarchaliſcher Vorzeit durch alle Stadien einer
demokratiſchen Entwickelung ihren König und ihre Königin.
Wo Gewaltherren ſich aufthaten, ſuchten ſie ihre Herrſchaft
dadurch populär zu machen, daß ſie ſich an die Traditionen
des Königthums anſchloſſen, und als man die ſchlimmen Fol¬
gen einer ſchrankenlos entwickelten Gemeinfreiheit gekoſtet hatte,
erwachte wie eine Art von Heimweh die Sehnſucht nach einem
perſönlichen Regiment. Die hervorragendſten Denker der nach¬
perikleiſchen Zeit waren entſchiedene Royaliſten; man ſchaute
mit unverhohlener Bewunderung ſelbſt auf die Alleinherrſcher
der Barbaren. Platon hielt es für die bedeutendſte Aufgabe,
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[360/0376] Die Idee des Königthums. Völker geſtützt, von einem unſichtbaren Centrum aus die Schick¬ ſale der Reiche beſtimmt haben. In Europa wird Alles anders. Wie die Landmaſſen ſich theilen und gliedern, wie die Sprachen ſofort einen reicheren Vocalismus entfalten, welcher dem Bedürfniß nach klarerem Ausdruck entgegenkommt, ſo tritt auch auf dem Gebiete des öffentlichen Lebens an die Stelle aſiatiſcher Einförmigkeit die größte Mannigfaltigkeit; Völker und Menſchen individualiſiren ſich und zwiſchen Volk und Fürſt bildet ſich ein wechſelſeitiges Verhältniß. In Epirus beſchworen die antretenden Könige einen Vertrag mit dem Volk und bei den Makedoniern war das Königthum von Anfang an ein durch Geſetz geregeltes Amt. In Griechenland iſt die ganze Energie des ſtaatbilden¬ den Geiſtes, der Gemeindeentwickelung zugewendet und darum hat es ſich unter allen Ländern am meiſten von der Urform des Staats entfernt. Doch haben die Griechen zuerſt das Weſen des Königthums und ſeine nach den Nationalitäten verſchiedenen Formen philoſophiſch begriffen, und auch im praktiſchen Staatsleben iſt das Königthum ihnen niemals fremd geworden. Sparta verdankt das Anſehen, welches es bei allen conſervativ geſinnten Hellenen genoß, dem Umſtande, daß es das heraklidiſche Königthum an der Spitze ſeines Staats erhalten hatte, und die Athener bewahrten ſich wie einen ehrwürdigen Hausrath patriarchaliſcher Vorzeit durch alle Stadien einer demokratiſchen Entwickelung ihren König und ihre Königin. Wo Gewaltherren ſich aufthaten, ſuchten ſie ihre Herrſchaft dadurch populär zu machen, daß ſie ſich an die Traditionen des Königthums anſchloſſen, und als man die ſchlimmen Fol¬ gen einer ſchrankenlos entwickelten Gemeinfreiheit gekoſtet hatte, erwachte wie eine Art von Heimweh die Sehnſucht nach einem perſönlichen Regiment. Die hervorragendſten Denker der nach¬ perikleiſchen Zeit waren entſchiedene Royaliſten; man ſchaute mit unverhohlener Bewunderung ſelbſt auf die Alleinherrſcher der Barbaren. Platon hielt es für die bedeutendſte Aufgabe, einen Thronerben philoſophiſch erziehen zu können und als Philippos den erſten Denker der Zeit an ſeinen Hof berief,

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/376>, abgerufen am 10.06.2024.