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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die Idee des Königthums.
dem Hauswesen die Weihe giebt, die Gegenseitigkeit der Liebe
und persönlichen Anhänglichkeit, konnte bei dieser Uebertragung
nicht erhalten werden. Es bleibt nur das negative Element,
das Unbedingte eines Willens, welcher nach innen und außen
keine Schranke anerkennt. Denn das gehört wesentlich zum
Charakter orientalischer Despotie, daß nur ein Herr und ein
Reich da sein soll, neben welchem nichts Gleichberechtigtes be¬
steht. Jede Gränze erscheint wie ein Abbruch, jedes Inne¬
halten als Schwäche und feiges Zurückweichen. Alle Völker
sollen wie in ein Haus gesammelt werden und das Haupt
desselben der König der Könige sein, der Eine, welchem die
Völker aller Zungen unterthänig sind, der vom höchsten Gott
berufene Herr der Welt. So bekämpften die Achämeniden in
Auramazda's Auftrage Griechenland, das von persischen Waffen
nie berührte, wie eine abtrünnige Provinz und der Perserfürst,
welcher nach Xerxes zuerst wieder den Boden Europa's betre¬
ten hat, glaubte sich, wie berichtet wird, unserm Kaiser gefällig
zu erweisen, indem er zu seinen Gunsten auf Deutschland ver¬
zichtete.

Die göttliche Autorisation aber, welche bei allen Dynastien
des Morgenlandes wiederkehrt, ist in Aegypten am vollstän¬
digsten durchgeführt, indem hier der lebende Pharao selbst zum
Hausgenossen der Götter wird und sich selbst wie einem Gotte
Opfer darbringt. Dafür ist aber auch sein ganzes Leben Tag
für Tag vom Morgen bis Abend dem Zwange eines von den
Priestern festgesetzten Ceremoniells unterworfen, so daß ihn
Diodor ausdrücklich den anderen Fürsten gegenüberstellt, welche
thun könnten, was sie wollten. So führte die maßlose Aus¬
nahmestellung, welche einem Sterblichen über alle anderen
verliehen wurde, dahin, auch diesem Einen, welcher der allein
Freie sein sollte, alle Freiheit zu nehmen, und wenn es auch
im Orient einzelne wahre Selbstherrscher gegeben hat, so sind
es doch im Allgemeinen nicht freithätige Individuen, sondern
dunkle, unpersönliche Mächte, Priesterschaften und Hofparteien,
welche, auf die Macht der Gewohnheit und die Trägheit der

Die Idee des Königthums.
dem Hausweſen die Weihe giebt, die Gegenſeitigkeit der Liebe
und perſönlichen Anhänglichkeit, konnte bei dieſer Uebertragung
nicht erhalten werden. Es bleibt nur das negative Element,
das Unbedingte eines Willens, welcher nach innen und außen
keine Schranke anerkennt. Denn das gehört weſentlich zum
Charakter orientaliſcher Despotie, daß nur ein Herr und ein
Reich da ſein ſoll, neben welchem nichts Gleichberechtigtes be¬
ſteht. Jede Gränze erſcheint wie ein Abbruch, jedes Inne¬
halten als Schwäche und feiges Zurückweichen. Alle Völker
ſollen wie in ein Haus geſammelt werden und das Haupt
deſſelben der König der Könige ſein, der Eine, welchem die
Völker aller Zungen unterthänig ſind, der vom höchſten Gott
berufene Herr der Welt. So bekämpften die Achämeniden in
Auramazda's Auftrage Griechenland, das von perſiſchen Waffen
nie berührte, wie eine abtrünnige Provinz und der Perſerfürſt,
welcher nach Xerxes zuerſt wieder den Boden Europa's betre¬
ten hat, glaubte ſich, wie berichtet wird, unſerm Kaiſer gefällig
zu erweiſen, indem er zu ſeinen Gunſten auf Deutſchland ver¬
zichtete.

Die göttliche Autoriſation aber, welche bei allen Dynaſtien
des Morgenlandes wiederkehrt, iſt in Aegypten am vollſtän¬
digſten durchgeführt, indem hier der lebende Pharao ſelbſt zum
Hausgenoſſen der Götter wird und ſich ſelbſt wie einem Gotte
Opfer darbringt. Dafür iſt aber auch ſein ganzes Leben Tag
für Tag vom Morgen bis Abend dem Zwange eines von den
Prieſtern feſtgeſetzten Ceremoniells unterworfen, ſo daß ihn
Diodor ausdrücklich den anderen Fürſten gegenüberſtellt, welche
thun könnten, was ſie wollten. So führte die maßloſe Aus¬
nahmeſtellung, welche einem Sterblichen über alle anderen
verliehen wurde, dahin, auch dieſem Einen, welcher der allein
Freie ſein ſollte, alle Freiheit zu nehmen, und wenn es auch
im Orient einzelne wahre Selbſtherrſcher gegeben hat, ſo ſind
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[359/0375] Die Idee des Königthums. dem Hausweſen die Weihe giebt, die Gegenſeitigkeit der Liebe und perſönlichen Anhänglichkeit, konnte bei dieſer Uebertragung nicht erhalten werden. Es bleibt nur das negative Element, das Unbedingte eines Willens, welcher nach innen und außen keine Schranke anerkennt. Denn das gehört weſentlich zum Charakter orientaliſcher Despotie, daß nur ein Herr und ein Reich da ſein ſoll, neben welchem nichts Gleichberechtigtes be¬ ſteht. Jede Gränze erſcheint wie ein Abbruch, jedes Inne¬ halten als Schwäche und feiges Zurückweichen. Alle Völker ſollen wie in ein Haus geſammelt werden und das Haupt deſſelben der König der Könige ſein, der Eine, welchem die Völker aller Zungen unterthänig ſind, der vom höchſten Gott berufene Herr der Welt. So bekämpften die Achämeniden in Auramazda's Auftrage Griechenland, das von perſiſchen Waffen nie berührte, wie eine abtrünnige Provinz und der Perſerfürſt, welcher nach Xerxes zuerſt wieder den Boden Europa's betre¬ ten hat, glaubte ſich, wie berichtet wird, unſerm Kaiſer gefällig zu erweiſen, indem er zu ſeinen Gunſten auf Deutſchland ver¬ zichtete. Die göttliche Autoriſation aber, welche bei allen Dynaſtien des Morgenlandes wiederkehrt, iſt in Aegypten am vollſtän¬ digſten durchgeführt, indem hier der lebende Pharao ſelbſt zum Hausgenoſſen der Götter wird und ſich ſelbſt wie einem Gotte Opfer darbringt. Dafür iſt aber auch ſein ganzes Leben Tag für Tag vom Morgen bis Abend dem Zwange eines von den Prieſtern feſtgeſetzten Ceremoniells unterworfen, ſo daß ihn Diodor ausdrücklich den anderen Fürſten gegenüberſtellt, welche thun könnten, was ſie wollten. So führte die maßloſe Aus¬ nahmeſtellung, welche einem Sterblichen über alle anderen verliehen wurde, dahin, auch dieſem Einen, welcher der allein Freie ſein ſollte, alle Freiheit zu nehmen, und wenn es auch im Orient einzelne wahre Selbſtherrſcher gegeben hat, ſo ſind es doch im Allgemeinen nicht freithätige Individuen, ſondern dunkle, unperſönliche Mächte, Prieſterſchaften und Hofparteien, welche, auf die Macht der Gewohnheit und die Trägheit der

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/375>, abgerufen am 23.11.2024.