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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die Weihe des Siegs.
alle bildlichen Vertreterinnen des Friedensglücks, die Felicitas,
Securitas, Abundantia um den Thron der neuen Erdengötter
zu versammeln. Unter Hadrian schrieb Plutarch seine Schrift
vom Siegesglücke der Römer und blickte wie aus einem sichern
Hafen unerschütterlicher Weltruhe behaglich in die früheren
Zeiten des Glückwechsels zurück. Fortuna, sagt er, die den
Assyrern und den Persern schon früh den Rücken gekehrt, habe
dann Makedonien durcheilt; sie habe den Ptolemäern und
Seleuciden eine kurze Blüthe gegönnt, den Carthagern dann
und wann gelächelt -- endlich sei sie nach Rom gekommen und
habe da ihre Natur verändert; sie habe ihre rollende Kugel
verlassen, ihre Flügel abgelegt, die Schuhe ausgezogen, um
sich häuslich einzurichten, um ihre wahre und letzte Heimath
mit den Schätzen aller Länder und Zeiten auszustatten.

Hundert Jahre später begannen im Norden und Osten
die Umwälzungen, welche durchgreifender waren als Alles, was
die Alten erlebt hatten, und über den Trümmern der mit
Weltbeute überladenen Cäsarenpaläste bauten Bettelmöche ihre
schmutzigen Zellen, deren melancholisches Vespergeläute Gibbon
auf den Gedanken brachte, das großartigste Spiegelbild vom
Verfalle menschlicher Siegesgröße zu entwerfen.

Täuschen wir uns auch wie Plutarch, wenn wir an die
Größe unsers siegreichen Volks glauben?

Wir stehen, Gott sei Dank, auf anderem Boden. Wir
wissen, daß seit dem ersten Pfingstfeste göttliche Lebenskräfte
in den Völkern lebendig sind, so daß sie nicht mehr wie die
des Alterthums den Gesetzen der Natur unterliegen und wie
die Blätter des Waldes grünen und abfallen. Uns quält
nicht die Angst vor dem Neide der Himmlischen, wir haben
keine Schutzgötter, welche aus der umlagerten Stadt in das
Heerlager des Siegers übersiedeln; wir brauchen für unser
Reich, das neu gegründete, nicht mit ängstlichem Augurblicke
nach den Wahrzeichen des Himmels auszuschauen, um Bürg¬
schaften für seinen Bestand zu finden.

Es wird uns bleiben, so lange die Deutschen sich selbst
treu bleiben und dem Geiste, in welchem sie stark geworden

Die Weihe des Siegs.
alle bildlichen Vertreterinnen des Friedensglücks, die Felicitas,
Securitas, Abundantia um den Thron der neuen Erdengötter
zu verſammeln. Unter Hadrian ſchrieb Plutarch ſeine Schrift
vom Siegesglücke der Römer und blickte wie aus einem ſichern
Hafen unerſchütterlicher Weltruhe behaglich in die früheren
Zeiten des Glückwechſels zurück. Fortuna, ſagt er, die den
Aſſyrern und den Perſern ſchon früh den Rücken gekehrt, habe
dann Makedonien durcheilt; ſie habe den Ptolemäern und
Seleuciden eine kurze Blüthe gegönnt, den Carthagern dann
und wann gelächelt — endlich ſei ſie nach Rom gekommen und
habe da ihre Natur verändert; ſie habe ihre rollende Kugel
verlaſſen, ihre Flügel abgelegt, die Schuhe ausgezogen, um
ſich häuslich einzurichten, um ihre wahre und letzte Heimath
mit den Schätzen aller Länder und Zeiten auszuſtatten.

Hundert Jahre ſpäter begannen im Norden und Oſten
die Umwälzungen, welche durchgreifender waren als Alles, was
die Alten erlebt hatten, und über den Trümmern der mit
Weltbeute überladenen Cäſarenpaläſte bauten Bettelmöche ihre
ſchmutzigen Zellen, deren melancholiſches Vespergeläute Gibbon
auf den Gedanken brachte, das großartigſte Spiegelbild vom
Verfalle menſchlicher Siegesgröße zu entwerfen.

Täuſchen wir uns auch wie Plutarch, wenn wir an die
Größe unſers ſiegreichen Volks glauben?

Wir ſtehen, Gott ſei Dank, auf anderem Boden. Wir
wiſſen, daß ſeit dem erſten Pfingſtfeſte göttliche Lebenskräfte
in den Völkern lebendig ſind, ſo daß ſie nicht mehr wie die
des Alterthums den Geſetzen der Natur unterliegen und wie
die Blätter des Waldes grünen und abfallen. Uns quält
nicht die Angſt vor dem Neide der Himmliſchen, wir haben
keine Schutzgötter, welche aus der umlagerten Stadt in das
Heerlager des Siegers überſiedeln; wir brauchen für unſer
Reich, das neu gegründete, nicht mit ängſtlichem Augurblicke
nach den Wahrzeichen des Himmels auszuſchauen, um Bürg¬
ſchaften für ſeinen Beſtand zu finden.

Es wird uns bleiben, ſo lange die Deutſchen ſich ſelbſt
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[352/0368] Die Weihe des Siegs. alle bildlichen Vertreterinnen des Friedensglücks, die Felicitas, Securitas, Abundantia um den Thron der neuen Erdengötter zu verſammeln. Unter Hadrian ſchrieb Plutarch ſeine Schrift vom Siegesglücke der Römer und blickte wie aus einem ſichern Hafen unerſchütterlicher Weltruhe behaglich in die früheren Zeiten des Glückwechſels zurück. Fortuna, ſagt er, die den Aſſyrern und den Perſern ſchon früh den Rücken gekehrt, habe dann Makedonien durcheilt; ſie habe den Ptolemäern und Seleuciden eine kurze Blüthe gegönnt, den Carthagern dann und wann gelächelt — endlich ſei ſie nach Rom gekommen und habe da ihre Natur verändert; ſie habe ihre rollende Kugel verlaſſen, ihre Flügel abgelegt, die Schuhe ausgezogen, um ſich häuslich einzurichten, um ihre wahre und letzte Heimath mit den Schätzen aller Länder und Zeiten auszuſtatten. Hundert Jahre ſpäter begannen im Norden und Oſten die Umwälzungen, welche durchgreifender waren als Alles, was die Alten erlebt hatten, und über den Trümmern der mit Weltbeute überladenen Cäſarenpaläſte bauten Bettelmöche ihre ſchmutzigen Zellen, deren melancholiſches Vespergeläute Gibbon auf den Gedanken brachte, das großartigſte Spiegelbild vom Verfalle menſchlicher Siegesgröße zu entwerfen. Täuſchen wir uns auch wie Plutarch, wenn wir an die Größe unſers ſiegreichen Volks glauben? Wir ſtehen, Gott ſei Dank, auf anderem Boden. Wir wiſſen, daß ſeit dem erſten Pfingſtfeſte göttliche Lebenskräfte in den Völkern lebendig ſind, ſo daß ſie nicht mehr wie die des Alterthums den Geſetzen der Natur unterliegen und wie die Blätter des Waldes grünen und abfallen. Uns quält nicht die Angſt vor dem Neide der Himmliſchen, wir haben keine Schutzgötter, welche aus der umlagerten Stadt in das Heerlager des Siegers überſiedeln; wir brauchen für unſer Reich, das neu gegründete, nicht mit ängſtlichem Augurblicke nach den Wahrzeichen des Himmels auszuſchauen, um Bürg¬ ſchaften für ſeinen Beſtand zu finden. Es wird uns bleiben, ſo lange die Deutſchen ſich ſelbſt treu bleiben und dem Geiſte, in welchem ſie ſtark geworden

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/368>, abgerufen am 23.11.2024.