das Weltliche denken, und das die besten Staatsmenschen, welche nicht über den Staat hinausdenken; es soll den Beweis liefern, daß das Volk das stärkste ist, in welchem das Gewissen am lebendigsten ist und welchem die ewigen Gesetze des sitt¬ lichen Lebens bei jedem Schritte vor Augen stehn.
Mit der Reformation haben sich die Wege getrennt, welche die Völker gegangen sind; heute zeigt es sich, mit welchem Erfolg.
In unserm Nachbarstaate hat man mit rücksichtsloser Energie dahin gearbeitet, daß mit dem Namen Frankreich das Höchste bezeichnet werde, was ein Franzose denken könne. Man hielt es für einen die Volkskraft lähmenden Idealismus, für unpatriotischen Schwärmergeist, wenn der Einzelne dem Staatswillen gegenüber sein Gewissen geltend machen, wenn Jemand Gott mehr als den Menschen gehorchen wolle. Man glaubte dem Vaterlande einen Dienst zu erweisen, wenn man diejenigen, welche den Muth hatten für ihren Glauben zu sterben, als Rebellen ausrottete; man hielt die Unterdrückung der Gewissensfreiheit, die Verengung und Verödung des geistigen Lebens für einen Gewinn, wenn nur die Allgewalt des Staatsgedankens gefördert werde. Diesem Zwecke zu Liebe hat man das Blut, von dem wir sagen dürfen, daß es das reinste und edelste des Landes war, in Strömen vergossen.
Der augenblickliche Erfolg war ein großer und vielbewun¬ derter, und wie häufig hat man der allgewaltigen Concentration Frankreichs gegenüber die idealistische Zerfahrenheit der Deut¬ schen beklagt oder verächtlich angesehen!
Aber das Ende?
Wir sind gewiß fern davon, dem so tief gedemüthigten Volke jetzt mit pharisäischem Selbstgefühle richtend gegenüber treten zu wollen. Aber je weniger die gegenwärtige Generation für des Uebels Ursprung verantwortlich ist, um so offener dürfen wir unsere Ueberzeugung aussprechen, daß die schwersten Schäden des unglücklichen Landes, die Despotie eines haupt¬ städtischen Pöbels, die Unfreiheit der öffentlichen Meinung, das trostlose Schwanken zwischen Unglauben und Aberglauben
Die Weihe des Siegs.
das Weltliche denken, und das die beſten Staatsmenſchen, welche nicht über den Staat hinausdenken; es ſoll den Beweis liefern, daß das Volk das ſtärkſte iſt, in welchem das Gewiſſen am lebendigſten iſt und welchem die ewigen Geſetze des ſitt¬ lichen Lebens bei jedem Schritte vor Augen ſtehn.
Mit der Reformation haben ſich die Wege getrennt, welche die Völker gegangen ſind; heute zeigt es ſich, mit welchem Erfolg.
In unſerm Nachbarſtaate hat man mit rückſichtsloſer Energie dahin gearbeitet, daß mit dem Namen Frankreich das Höchſte bezeichnet werde, was ein Franzoſe denken könne. Man hielt es für einen die Volkskraft lähmenden Idealismus, für unpatriotiſchen Schwärmergeiſt, wenn der Einzelne dem Staatswillen gegenüber ſein Gewiſſen geltend machen, wenn Jemand Gott mehr als den Menſchen gehorchen wolle. Man glaubte dem Vaterlande einen Dienſt zu erweiſen, wenn man diejenigen, welche den Muth hatten für ihren Glauben zu ſterben, als Rebellen ausrottete; man hielt die Unterdrückung der Gewiſſensfreiheit, die Verengung und Verödung des geiſtigen Lebens für einen Gewinn, wenn nur die Allgewalt des Staatsgedankens gefördert werde. Dieſem Zwecke zu Liebe hat man das Blut, von dem wir ſagen dürfen, daß es das reinſte und edelſte des Landes war, in Strömen vergoſſen.
Der augenblickliche Erfolg war ein großer und vielbewun¬ derter, und wie häufig hat man der allgewaltigen Concentration Frankreichs gegenüber die idealiſtiſche Zerfahrenheit der Deut¬ ſchen beklagt oder verächtlich angeſehen!
Aber das Ende?
Wir ſind gewiß fern davon, dem ſo tief gedemüthigten Volke jetzt mit phariſäiſchem Selbſtgefühle richtend gegenüber treten zu wollen. Aber je weniger die gegenwärtige Generation für des Uebels Urſprung verantwortlich iſt, um ſo offener dürfen wir unſere Ueberzeugung ausſprechen, daß die ſchwerſten Schäden des unglücklichen Landes, die Despotie eines haupt¬ ſtädtiſchen Pöbels, die Unfreiheit der öffentlichen Meinung, das troſtloſe Schwanken zwiſchen Unglauben und Aberglauben
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Die Weihe des Siegs.
das Weltliche denken, und das die beſten Staatsmenſchen,
welche nicht über den Staat hinausdenken; es ſoll den Beweis
liefern, daß das Volk das ſtärkſte iſt, in welchem das Gewiſſen
am lebendigſten iſt und welchem die ewigen Geſetze des ſitt¬
lichen Lebens bei jedem Schritte vor Augen ſtehn.
Mit der Reformation haben ſich die Wege getrennt, welche
die Völker gegangen ſind; heute zeigt es ſich, mit welchem
Erfolg.
In unſerm Nachbarſtaate hat man mit rückſichtsloſer
Energie dahin gearbeitet, daß mit dem Namen Frankreich das
Höchſte bezeichnet werde, was ein Franzoſe denken könne.
Man hielt es für einen die Volkskraft lähmenden Idealismus,
für unpatriotiſchen Schwärmergeiſt, wenn der Einzelne dem
Staatswillen gegenüber ſein Gewiſſen geltend machen, wenn
Jemand Gott mehr als den Menſchen gehorchen wolle. Man
glaubte dem Vaterlande einen Dienſt zu erweiſen, wenn man
diejenigen, welche den Muth hatten für ihren Glauben zu
ſterben, als Rebellen ausrottete; man hielt die Unterdrückung
der Gewiſſensfreiheit, die Verengung und Verödung des
geiſtigen Lebens für einen Gewinn, wenn nur die Allgewalt
des Staatsgedankens gefördert werde. Dieſem Zwecke zu
Liebe hat man das Blut, von dem wir ſagen dürfen, daß es
das reinſte und edelſte des Landes war, in Strömen vergoſſen.
Der augenblickliche Erfolg war ein großer und vielbewun¬
derter, und wie häufig hat man der allgewaltigen Concentration
Frankreichs gegenüber die idealiſtiſche Zerfahrenheit der Deut¬
ſchen beklagt oder verächtlich angeſehen!
Aber das Ende?
Wir ſind gewiß fern davon, dem ſo tief gedemüthigten
Volke jetzt mit phariſäiſchem Selbſtgefühle richtend gegenüber
treten zu wollen. Aber je weniger die gegenwärtige Generation
für des Uebels Urſprung verantwortlich iſt, um ſo offener
dürfen wir unſere Ueberzeugung ausſprechen, daß die ſchwerſten
Schäden des unglücklichen Landes, die Despotie eines haupt¬
ſtädtiſchen Pöbels, die Unfreiheit der öffentlichen Meinung,
das troſtloſe Schwanken zwiſchen Unglauben und Aberglauben
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/366>, abgerufen am 03.07.2024.
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