Zeit bestehende Familiengenossenschaft bei Weitem nicht von der Bedeutung, welche sie in neuerer Zeit hat. Sie war kein Kreis, der den Einzelnen vom Ganzen trennte, keine selbständige Mittelstufe zwischen Bürger und Staat, kein Gegengewicht gegen die Oeffentlichkeit. Daher die unbe¬ gränzte Bewegung, welche von der politischen Parteiung ausging; nirgends war ein Ruhepunkt, nirgends ein neutraler Boden.
Dies mußte anders werden, als die Ehe aufhörte nur als ein Mittel für die Staatszwecke zu gelten. Die Familie erhielt eine größere Selbständigkeit, wie dies von Anfang an in dem Charakter der germanischen Völker lag; das Haus wurde eine Welt für sich, eine Freistätte des individuellen Lebens, ein Rückzugsort aus der Unruhe der Außenwelt. Da¬ mit trat auch die Frau aus der untergeordneten Stellung heraus; sie wurde die Pflegerin eines stillen Glücks, welches die Stürme des Parteitreibens nicht erschüttern sollten, sie half die Bewegung der Leidenschaften dämmen, daß sie nicht schrankenlos Alles überfluthe.
Aber bei diesem Berufe haben sich die Frauen nicht immer genügen lassen; sie haben sich selbst an dem Parteileben be¬ theiligt und dadurch einen Einfluß gewonnen, welcher ohne Zweifel mit zu den Punkten gehört, in denen sich die Par¬ teien alter und neuer Geschichte von einander unterscheiden. Bei diesem Einflusse ist eine doppelte Gefahr. Denn die Frauen sind, wenn sie einmal aus den Gränzen ihres nächsten Berufs herausgetreten sind, ihrer Natur nach der fanatisiren¬ den Gewalt einer Parteistimmung in besonderm Grade unter¬ worfen und tragen dann am meisten dazu bei, die Erregung der Gemüther auszubreiten und die allgemeine Leidenschaftlich¬ keit zu steigern. Die andere Gefahr liegt in ihrem Einflusse innerhalb des Hauses. Denn je mehr das Haus an Bedeu¬ tung gewonnen hat, um so mehr auch das Gut des Haus¬ friedens, und deshalb ist es nur zu natürlich, daß die Männer, um sich dies Gut zu erhalten, nicht selten ihrer besseren Ueber¬ zeugung untreu werden; ein solcher Einfluß aber, wie leicht
Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.
Zeit beſtehende Familiengenoſſenſchaft bei Weitem nicht von der Bedeutung, welche ſie in neuerer Zeit hat. Sie war kein Kreis, der den Einzelnen vom Ganzen trennte, keine ſelbſtändige Mittelſtufe zwiſchen Bürger und Staat, kein Gegengewicht gegen die Oeffentlichkeit. Daher die unbe¬ gränzte Bewegung, welche von der politiſchen Parteiung ausging; nirgends war ein Ruhepunkt, nirgends ein neutraler Boden.
Dies mußte anders werden, als die Ehe aufhörte nur als ein Mittel für die Staatszwecke zu gelten. Die Familie erhielt eine größere Selbſtändigkeit, wie dies von Anfang an in dem Charakter der germaniſchen Völker lag; das Haus wurde eine Welt für ſich, eine Freiſtätte des individuellen Lebens, ein Rückzugsort aus der Unruhe der Außenwelt. Da¬ mit trat auch die Frau aus der untergeordneten Stellung heraus; ſie wurde die Pflegerin eines ſtillen Glücks, welches die Stürme des Parteitreibens nicht erſchüttern ſollten, ſie half die Bewegung der Leidenſchaften dämmen, daß ſie nicht ſchrankenlos Alles überfluthe.
Aber bei dieſem Berufe haben ſich die Frauen nicht immer genügen laſſen; ſie haben ſich ſelbſt an dem Parteileben be¬ theiligt und dadurch einen Einfluß gewonnen, welcher ohne Zweifel mit zu den Punkten gehört, in denen ſich die Par¬ teien alter und neuer Geſchichte von einander unterſcheiden. Bei dieſem Einfluſſe iſt eine doppelte Gefahr. Denn die Frauen ſind, wenn ſie einmal aus den Gränzen ihres nächſten Berufs herausgetreten ſind, ihrer Natur nach der fanatiſiren¬ den Gewalt einer Parteiſtimmung in beſonderm Grade unter¬ worfen und tragen dann am meiſten dazu bei, die Erregung der Gemüther auszubreiten und die allgemeine Leidenſchaftlich¬ keit zu ſteigern. Die andere Gefahr liegt in ihrem Einfluſſe innerhalb des Hauſes. Denn je mehr das Haus an Bedeu¬ tung gewonnen hat, um ſo mehr auch das Gut des Haus¬ friedens, und deshalb iſt es nur zu natürlich, daß die Männer, um ſich dies Gut zu erhalten, nicht ſelten ihrer beſſeren Ueber¬ zeugung untreu werden; ein ſolcher Einfluß aber, wie leicht
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Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.
Zeit beſtehende Familiengenoſſenſchaft bei Weitem nicht von
der Bedeutung, welche ſie in neuerer Zeit hat. Sie war
kein Kreis, der den Einzelnen vom Ganzen trennte, keine
ſelbſtändige Mittelſtufe zwiſchen Bürger und Staat, kein
Gegengewicht gegen die Oeffentlichkeit. Daher die unbe¬
gränzte Bewegung, welche von der politiſchen Parteiung
ausging; nirgends war ein Ruhepunkt, nirgends ein neutraler
Boden.
Dies mußte anders werden, als die Ehe aufhörte nur
als ein Mittel für die Staatszwecke zu gelten. Die Familie
erhielt eine größere Selbſtändigkeit, wie dies von Anfang an
in dem Charakter der germaniſchen Völker lag; das Haus
wurde eine Welt für ſich, eine Freiſtätte des individuellen
Lebens, ein Rückzugsort aus der Unruhe der Außenwelt. Da¬
mit trat auch die Frau aus der untergeordneten Stellung
heraus; ſie wurde die Pflegerin eines ſtillen Glücks, welches
die Stürme des Parteitreibens nicht erſchüttern ſollten, ſie
half die Bewegung der Leidenſchaften dämmen, daß ſie nicht
ſchrankenlos Alles überfluthe.
Aber bei dieſem Berufe haben ſich die Frauen nicht immer
genügen laſſen; ſie haben ſich ſelbſt an dem Parteileben be¬
theiligt und dadurch einen Einfluß gewonnen, welcher ohne
Zweifel mit zu den Punkten gehört, in denen ſich die Par¬
teien alter und neuer Geſchichte von einander unterſcheiden.
Bei dieſem Einfluſſe iſt eine doppelte Gefahr. Denn die
Frauen ſind, wenn ſie einmal aus den Gränzen ihres nächſten
Berufs herausgetreten ſind, ihrer Natur nach der fanatiſiren¬
den Gewalt einer Parteiſtimmung in beſonderm Grade unter¬
worfen und tragen dann am meiſten dazu bei, die Erregung
der Gemüther auszubreiten und die allgemeine Leidenſchaftlich¬
keit zu ſteigern. Die andere Gefahr liegt in ihrem Einfluſſe
innerhalb des Hauſes. Denn je mehr das Haus an Bedeu¬
tung gewonnen hat, um ſo mehr auch das Gut des Haus¬
friedens, und deshalb iſt es nur zu natürlich, daß die Männer,
um ſich dies Gut zu erhalten, nicht ſelten ihrer beſſeren Ueber¬
zeugung untreu werden; ein ſolcher Einfluß aber, wie leicht
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/350>, abgerufen am 22.07.2024.
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