heit so schwer gemacht worden ist, wie den Hellenen, schwerer als irgend einem Volke der neueren Geschichte.
Bei der Vergleichung zwischen den Parteien alter und neuer Zeit tritt uns endlich ein dritter Unterschied entgegen. In der antiken Welt war der Mensch wesentlich Bürger; er ging ganz in dem Staat auf; die Staatsgemeinschaft war die einzige Erziehung zur Sittlichkeit, die einzige Schranke seiner Selbstsucht. Er war mit dem Staate in Kriegs- und Friedens¬ zeiten auf das Unmittelbarste verflochten; er verbrachte die Tage außerhalb des Hauses, auf dem Markte und in den Versammlungen, durch den Dienst der Sklaven eines großen Theils von Arbeit und Lebenssorge überhoben. In der neuern Welt sind alle Lebensverhältnisse ungleich mannigfaltiger und verwickelter; da giebt es mehr Pflichten, mehr einsame Arbeit des Berufs, mehr Kampf um die Existenz. Der Einzelne hat eine Menge von Beziehungen, welche über die heimathlichen Interessen weit hinausgehen; andererseits sind es wieder die allerengsten Beziehungen, welche ihn vorzugsweise in Anspruch nehmen, die der Familie, und der moderne Mensch ist nur zu geneigt, sich in dieser engsten Lebenssphäre behaglich einzu¬ spinnen, indem er sich alle Anforderungen des Staats fern zu halten sucht, als wenn es eine fremde und feindliche Macht wäre, welche seine Kreise störte. Die Folge ist, daß ihn auch die politischen Fragen in der Regel viel kühler lassen und daß er nur dann mit erregterer Seele in den Parteikampf eintritt, wenn er glaubt, daß die Bewegung seine ganze Existenz be¬ trifft, wenn es sociale Fragen sind, in welchen es sich um die persönlichen Verhältnisse handelt, um Mein und Dein, um Ruhe und Wohlstand des Hauses.
Auch die Alten ehrten das Haus; sie betrachteten es als eine religiöse Gemeinde mit festgeordneten Gottesdiensten und der Staat sorgte dafür, daß diese Stiftungen nicht untergingen. Mit dem Ahnencultus pflanzten sich auch wohl gewisse poli¬ tische Traditionen und Parteirichtungen von Geschlecht zu Ge¬ schlecht fort; aber während man den Zusammenhang der auf einander folgenden Geschlechter sehr fest hielt, war die zur
Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.
heit ſo ſchwer gemacht worden iſt, wie den Hellenen, ſchwerer als irgend einem Volke der neueren Geſchichte.
Bei der Vergleichung zwiſchen den Parteien alter und neuer Zeit tritt uns endlich ein dritter Unterſchied entgegen. In der antiken Welt war der Menſch weſentlich Bürger; er ging ganz in dem Staat auf; die Staatsgemeinſchaft war die einzige Erziehung zur Sittlichkeit, die einzige Schranke ſeiner Selbſtſucht. Er war mit dem Staate in Kriegs- und Friedens¬ zeiten auf das Unmittelbarſte verflochten; er verbrachte die Tage außerhalb des Hauſes, auf dem Markte und in den Verſammlungen, durch den Dienſt der Sklaven eines großen Theils von Arbeit und Lebensſorge überhoben. In der neuern Welt ſind alle Lebensverhältniſſe ungleich mannigfaltiger und verwickelter; da giebt es mehr Pflichten, mehr einſame Arbeit des Berufs, mehr Kampf um die Exiſtenz. Der Einzelne hat eine Menge von Beziehungen, welche über die heimathlichen Intereſſen weit hinausgehen; andererſeits ſind es wieder die allerengſten Beziehungen, welche ihn vorzugsweiſe in Anſpruch nehmen, die der Familie, und der moderne Menſch iſt nur zu geneigt, ſich in dieſer engſten Lebensſphäre behaglich einzu¬ ſpinnen, indem er ſich alle Anforderungen des Staats fern zu halten ſucht, als wenn es eine fremde und feindliche Macht wäre, welche ſeine Kreiſe ſtörte. Die Folge iſt, daß ihn auch die politiſchen Fragen in der Regel viel kühler laſſen und daß er nur dann mit erregterer Seele in den Parteikampf eintritt, wenn er glaubt, daß die Bewegung ſeine ganze Exiſtenz be¬ trifft, wenn es ſociale Fragen ſind, in welchen es ſich um die perſönlichen Verhältniſſe handelt, um Mein und Dein, um Ruhe und Wohlſtand des Hauſes.
Auch die Alten ehrten das Haus; ſie betrachteten es als eine religiöſe Gemeinde mit feſtgeordneten Gottesdienſten und der Staat ſorgte dafür, daß dieſe Stiftungen nicht untergingen. Mit dem Ahnencultus pflanzten ſich auch wohl gewiſſe poli¬ tiſche Traditionen und Parteirichtungen von Geſchlecht zu Ge¬ ſchlecht fort; aber während man den Zuſammenhang der auf einander folgenden Geſchlechter ſehr feſt hielt, war die zur
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Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.
heit ſo ſchwer gemacht worden iſt, wie den Hellenen, ſchwerer
als irgend einem Volke der neueren Geſchichte.
Bei der Vergleichung zwiſchen den Parteien alter und
neuer Zeit tritt uns endlich ein dritter Unterſchied entgegen.
In der antiken Welt war der Menſch weſentlich Bürger; er
ging ganz in dem Staat auf; die Staatsgemeinſchaft war die
einzige Erziehung zur Sittlichkeit, die einzige Schranke ſeiner
Selbſtſucht. Er war mit dem Staate in Kriegs- und Friedens¬
zeiten auf das Unmittelbarſte verflochten; er verbrachte die
Tage außerhalb des Hauſes, auf dem Markte und in den
Verſammlungen, durch den Dienſt der Sklaven eines großen
Theils von Arbeit und Lebensſorge überhoben. In der neuern
Welt ſind alle Lebensverhältniſſe ungleich mannigfaltiger und
verwickelter; da giebt es mehr Pflichten, mehr einſame Arbeit
des Berufs, mehr Kampf um die Exiſtenz. Der Einzelne hat
eine Menge von Beziehungen, welche über die heimathlichen
Intereſſen weit hinausgehen; andererſeits ſind es wieder die
allerengſten Beziehungen, welche ihn vorzugsweiſe in Anſpruch
nehmen, die der Familie, und der moderne Menſch iſt nur zu
geneigt, ſich in dieſer engſten Lebensſphäre behaglich einzu¬
ſpinnen, indem er ſich alle Anforderungen des Staats fern zu
halten ſucht, als wenn es eine fremde und feindliche Macht
wäre, welche ſeine Kreiſe ſtörte. Die Folge iſt, daß ihn auch
die politiſchen Fragen in der Regel viel kühler laſſen und daß
er nur dann mit erregterer Seele in den Parteikampf eintritt,
wenn er glaubt, daß die Bewegung ſeine ganze Exiſtenz be¬
trifft, wenn es ſociale Fragen ſind, in welchen es ſich um die
perſönlichen Verhältniſſe handelt, um Mein und Dein, um
Ruhe und Wohlſtand des Hauſes.
Auch die Alten ehrten das Haus; ſie betrachteten es als
eine religiöſe Gemeinde mit feſtgeordneten Gottesdienſten und
der Staat ſorgte dafür, daß dieſe Stiftungen nicht untergingen.
Mit dem Ahnencultus pflanzten ſich auch wohl gewiſſe poli¬
tiſche Traditionen und Parteirichtungen von Geſchlecht zu Ge¬
ſchlecht fort; aber während man den Zuſammenhang der auf
einander folgenden Geſchlechter ſehr feſt hielt, war die zur
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/349>, abgerufen am 23.11.2024.
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