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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die patriotische Pflicht der Parteinahme.
Sie geht vielmehr mit scharfer Scheidung durch alle Menschen¬
kreise hindurch und der ersten Friedensbotschaft folgte sogleich
die inhaltschwere Weissagung: Siehe, dieser ist gesetzt zu einem
Zeichen, welchem widersprochen wird! So wird das Partei¬
wesen gewissermaßen sanctionirt, und unbeschadet unserer per¬
sönlichen Verpflichtung, nach Kräften mit allen Menschen Frieden
zu halten, wird es als eine Nothwendigkeit anerkannt, als
eine Weltordnung, welche unentbehrlich ist, damit die Herzen
der Menschen offenbar werden, damit Wahrheit und Lüge sich
scheiden.

Zugleich ist nun ein neuer Gährstoff da, und zwar der
gefährlichste von allen. Im klassischen Alterthume gab es
keine Bekenntnißstreitigkeiten; es kommen wohl einzelne Ver¬
folgungen von Irrlehrern vor, aber die religiösen Ketzereien
waren im Grunde auch nur politische Verbrechen. Die Re¬
ligion wurde nur als Staatscultus geschützt. Nun erfolgte
aber die verhängnißvolle Uebertragung des antiken Princips
auf das Christenthum, und wenn auch schon früher Parteien
in der Gemeinde bestanden, welche nothwendig waren und
heilsam zu ihrer Entwickelung, wie der Apostel sagt: "es ist
gut, daß Rotten unter euch sind": so ist doch erst seit der
Verschmelzung des Geistlichen und Weltlichen jene Reihe von
Parteiungen entstanden, welche die Erde mit Blut getränkt
haben. Sie waren schlimmer als alle, welche das Alterthum
kannte. Die Partei wurde Gewissenssache; die Parteiwuth
glaubte sich himmlischen Lohn verdienen zu können, und indem
Bekenntnißformen einer mysteriösen Dogmatik zu Bedingungen
staatsbürgerlicher Rechte wurden, drängte sich in das Heiligste
eine schmutzige Selbstsucht ein, welche, mit Heuchelei verbunden,
gewiß die widerwärtigste aller Erscheinungen ist, in denen die
Parteiung jemals unter den Menschen aufgetreten ist.

Ein zweiter Unterschied in der Parteibildung alter und
neuer Zeit beruht auf der Form der Staaten. Der Hellenen
ganze Energie war der Gestaltung des politischen Sonder¬
lebens zugewendet. Ihrem künstlerischen Sinn widerstrebte
das Massenhafte; sie liebten das Uebersichtliche und Begränzte.

Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.
Sie geht vielmehr mit ſcharfer Scheidung durch alle Menſchen¬
kreiſe hindurch und der erſten Friedensbotſchaft folgte ſogleich
die inhaltſchwere Weiſſagung: Siehe, dieſer iſt geſetzt zu einem
Zeichen, welchem widerſprochen wird! So wird das Partei¬
weſen gewiſſermaßen ſanctionirt, und unbeſchadet unſerer per¬
ſönlichen Verpflichtung, nach Kräften mit allen Menſchen Frieden
zu halten, wird es als eine Nothwendigkeit anerkannt, als
eine Weltordnung, welche unentbehrlich iſt, damit die Herzen
der Menſchen offenbar werden, damit Wahrheit und Lüge ſich
ſcheiden.

Zugleich iſt nun ein neuer Gährſtoff da, und zwar der
gefährlichſte von allen. Im klaſſiſchen Alterthume gab es
keine Bekenntnißſtreitigkeiten; es kommen wohl einzelne Ver¬
folgungen von Irrlehrern vor, aber die religiöſen Ketzereien
waren im Grunde auch nur politiſche Verbrechen. Die Re¬
ligion wurde nur als Staatscultus geſchützt. Nun erfolgte
aber die verhängnißvolle Uebertragung des antiken Princips
auf das Chriſtenthum, und wenn auch ſchon früher Parteien
in der Gemeinde beſtanden, welche nothwendig waren und
heilſam zu ihrer Entwickelung, wie der Apoſtel ſagt: »es iſt
gut, daß Rotten unter euch ſind«: ſo iſt doch erſt ſeit der
Verſchmelzung des Geiſtlichen und Weltlichen jene Reihe von
Parteiungen entſtanden, welche die Erde mit Blut getränkt
haben. Sie waren ſchlimmer als alle, welche das Alterthum
kannte. Die Partei wurde Gewiſſensſache; die Parteiwuth
glaubte ſich himmliſchen Lohn verdienen zu können, und indem
Bekenntnißformen einer myſteriöſen Dogmatik zu Bedingungen
ſtaatsbürgerlicher Rechte wurden, drängte ſich in das Heiligſte
eine ſchmutzige Selbſtſucht ein, welche, mit Heuchelei verbunden,
gewiß die widerwärtigſte aller Erſcheinungen iſt, in denen die
Parteiung jemals unter den Menſchen aufgetreten iſt.

Ein zweiter Unterſchied in der Parteibildung alter und
neuer Zeit beruht auf der Form der Staaten. Der Hellenen
ganze Energie war der Geſtaltung des politiſchen Sonder¬
lebens zugewendet. Ihrem künſtleriſchen Sinn widerſtrebte
das Maſſenhafte; ſie liebten das Ueberſichtliche und Begränzte.

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[329/0345] Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme. Sie geht vielmehr mit ſcharfer Scheidung durch alle Menſchen¬ kreiſe hindurch und der erſten Friedensbotſchaft folgte ſogleich die inhaltſchwere Weiſſagung: Siehe, dieſer iſt geſetzt zu einem Zeichen, welchem widerſprochen wird! So wird das Partei¬ weſen gewiſſermaßen ſanctionirt, und unbeſchadet unſerer per¬ ſönlichen Verpflichtung, nach Kräften mit allen Menſchen Frieden zu halten, wird es als eine Nothwendigkeit anerkannt, als eine Weltordnung, welche unentbehrlich iſt, damit die Herzen der Menſchen offenbar werden, damit Wahrheit und Lüge ſich ſcheiden. Zugleich iſt nun ein neuer Gährſtoff da, und zwar der gefährlichſte von allen. Im klaſſiſchen Alterthume gab es keine Bekenntnißſtreitigkeiten; es kommen wohl einzelne Ver¬ folgungen von Irrlehrern vor, aber die religiöſen Ketzereien waren im Grunde auch nur politiſche Verbrechen. Die Re¬ ligion wurde nur als Staatscultus geſchützt. Nun erfolgte aber die verhängnißvolle Uebertragung des antiken Princips auf das Chriſtenthum, und wenn auch ſchon früher Parteien in der Gemeinde beſtanden, welche nothwendig waren und heilſam zu ihrer Entwickelung, wie der Apoſtel ſagt: »es iſt gut, daß Rotten unter euch ſind«: ſo iſt doch erſt ſeit der Verſchmelzung des Geiſtlichen und Weltlichen jene Reihe von Parteiungen entſtanden, welche die Erde mit Blut getränkt haben. Sie waren ſchlimmer als alle, welche das Alterthum kannte. Die Partei wurde Gewiſſensſache; die Parteiwuth glaubte ſich himmliſchen Lohn verdienen zu können, und indem Bekenntnißformen einer myſteriöſen Dogmatik zu Bedingungen ſtaatsbürgerlicher Rechte wurden, drängte ſich in das Heiligſte eine ſchmutzige Selbſtſucht ein, welche, mit Heuchelei verbunden, gewiß die widerwärtigſte aller Erſcheinungen iſt, in denen die Parteiung jemals unter den Menſchen aufgetreten iſt. Ein zweiter Unterſchied in der Parteibildung alter und neuer Zeit beruht auf der Form der Staaten. Der Hellenen ganze Energie war der Geſtaltung des politiſchen Sonder¬ lebens zugewendet. Ihrem künſtleriſchen Sinn widerſtrebte das Maſſenhafte; ſie liebten das Ueberſichtliche und Begränzte.

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/345>, abgerufen am 22.07.2024.