anerkennen, deren Verständniß uns die Bürgschaft giebt, daß auch das wissenschaftliche Leben und Fortschreiten der Mensch¬ heit nach göttlichen Plänen geleitet wird.
Wenn nun in Folge großartiger Entdeckungen fast alle Hauptstätten der alten Geschichte wieder aufgefunden worden sind, wenn der Gang der alten Cultur in den religiösen Ur¬ kunden von Indien und Iran einen Anknüpfungspunkt ge¬ wonnen hat, wenn die Cultur von Babel und Assur aus dem Schutthaufen Mesopotamiens wieder aufgetaucht ist, wenn die persischen Reichsurkunden in Bild und Schrift uns deutlich vorliegen, wenn Aegypten mit dem starren Ernste seiner vier¬ tausendjährigen Geschichte an das Tageslicht getreten und dadurch nicht nur ein breiter und tiefer Hintergrund gewonnen ist für Griechenland und Rom, sondern auch die Quelle mannig¬ faltiger Cultur, die aus jenen Ländern geflossen ist, sich nach¬ weisen läßt: so darf sich die Alterthumswissenschaft wohl neben die Naturwissenschaften stellen; denn den wissenschaftlichen Werth der Entdeckungen wird an dieser Stelle Niemand von dem Gesichtspunkte praktischer Nutzbarkeit abhängig machen. Die historischen Wissenschaften vermögen freilich nicht unerkannte Kräfte aufzubieten, um dieselben als Sendboten und Lastthiere dem Menschen dienstbar zu machen, aber sie vertiefen des Menschen eigenstes Bewußtsein, indem sie die lebende Gene¬ ration in Verbindung setzen mit verschollenen Thatsachen, die vor Jahrtausenden der menschliche Geist hervorgebracht hat.
Mühsam ringt die Wissenschaft mit dem aufgehäuften Stoffe; sie strebt darnach, die Wechselbeziehungen der verschie¬ denen Völkerracen und Einzelvölker der alten Welt zu ent¬ räthseln; sie sucht eine allgemeine Geschichte der Religion, der Cultur, der Kunst, der Schrift im Alterthume zu begründen, und von den großen Erweiterungen der historischen Kenntniß bleiben auch selbst die engsten Fachstudien des Philologen nicht unberührt. Schon können die Keilschriften auf dem heiligen Berge an der Ostgränze Assyriens benutzt werden, um den Text Herodot's festzustellen und zu erklären.
Wenn also das Interesse, das im Kreise der Universitäts¬
Das Mittleramt der Philologie.
anerkennen, deren Verſtändniß uns die Bürgſchaft giebt, daß auch das wiſſenſchaftliche Leben und Fortſchreiten der Menſch¬ heit nach göttlichen Plänen geleitet wird.
Wenn nun in Folge großartiger Entdeckungen faſt alle Hauptſtätten der alten Geſchichte wieder aufgefunden worden ſind, wenn der Gang der alten Cultur in den religiöſen Ur¬ kunden von Indien und Iran einen Anknüpfungspunkt ge¬ wonnen hat, wenn die Cultur von Babel und Aſſur aus dem Schutthaufen Meſopotamiens wieder aufgetaucht iſt, wenn die perſiſchen Reichsurkunden in Bild und Schrift uns deutlich vorliegen, wenn Aegypten mit dem ſtarren Ernſte ſeiner vier¬ tauſendjährigen Geſchichte an das Tageslicht getreten und dadurch nicht nur ein breiter und tiefer Hintergrund gewonnen iſt für Griechenland und Rom, ſondern auch die Quelle mannig¬ faltiger Cultur, die aus jenen Ländern gefloſſen iſt, ſich nach¬ weiſen läßt: ſo darf ſich die Alterthumswiſſenſchaft wohl neben die Naturwiſſenſchaften ſtellen; denn den wiſſenſchaftlichen Werth der Entdeckungen wird an dieſer Stelle Niemand von dem Geſichtspunkte praktiſcher Nutzbarkeit abhängig machen. Die hiſtoriſchen Wiſſenſchaften vermögen freilich nicht unerkannte Kräfte aufzubieten, um dieſelben als Sendboten und Laſtthiere dem Menſchen dienſtbar zu machen, aber ſie vertiefen des Menſchen eigenſtes Bewußtſein, indem ſie die lebende Gene¬ ration in Verbindung ſetzen mit verſchollenen Thatſachen, die vor Jahrtauſenden der menſchliche Geiſt hervorgebracht hat.
Mühſam ringt die Wiſſenſchaft mit dem aufgehäuften Stoffe; ſie ſtrebt darnach, die Wechſelbeziehungen der verſchie¬ denen Völkerracen und Einzelvölker der alten Welt zu ent¬ räthſeln; ſie ſucht eine allgemeine Geſchichte der Religion, der Cultur, der Kunſt, der Schrift im Alterthume zu begründen, und von den großen Erweiterungen der hiſtoriſchen Kenntniß bleiben auch ſelbſt die engſten Fachſtudien des Philologen nicht unberührt. Schon können die Keilſchriften auf dem heiligen Berge an der Oſtgränze Aſſyriens benutzt werden, um den Text Herodot's feſtzuſtellen und zu erklären.
Wenn alſo das Intereſſe, das im Kreiſe der Univerſitäts¬
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Das Mittleramt der Philologie.
anerkennen, deren Verſtändniß uns die Bürgſchaft giebt, daß
auch das wiſſenſchaftliche Leben und Fortſchreiten der Menſch¬
heit nach göttlichen Plänen geleitet wird.
Wenn nun in Folge großartiger Entdeckungen faſt alle
Hauptſtätten der alten Geſchichte wieder aufgefunden worden
ſind, wenn der Gang der alten Cultur in den religiöſen Ur¬
kunden von Indien und Iran einen Anknüpfungspunkt ge¬
wonnen hat, wenn die Cultur von Babel und Aſſur aus dem
Schutthaufen Meſopotamiens wieder aufgetaucht iſt, wenn die
perſiſchen Reichsurkunden in Bild und Schrift uns deutlich
vorliegen, wenn Aegypten mit dem ſtarren Ernſte ſeiner vier¬
tauſendjährigen Geſchichte an das Tageslicht getreten und
dadurch nicht nur ein breiter und tiefer Hintergrund gewonnen
iſt für Griechenland und Rom, ſondern auch die Quelle mannig¬
faltiger Cultur, die aus jenen Ländern gefloſſen iſt, ſich nach¬
weiſen läßt: ſo darf ſich die Alterthumswiſſenſchaft wohl neben
die Naturwiſſenſchaften ſtellen; denn den wiſſenſchaftlichen Werth
der Entdeckungen wird an dieſer Stelle Niemand von dem
Geſichtspunkte praktiſcher Nutzbarkeit abhängig machen. Die
hiſtoriſchen Wiſſenſchaften vermögen freilich nicht unerkannte
Kräfte aufzubieten, um dieſelben als Sendboten und Laſtthiere
dem Menſchen dienſtbar zu machen, aber ſie vertiefen des
Menſchen eigenſtes Bewußtſein, indem ſie die lebende Gene¬
ration in Verbindung ſetzen mit verſchollenen Thatſachen, die
vor Jahrtauſenden der menſchliche Geiſt hervorgebracht hat.
Mühſam ringt die Wiſſenſchaft mit dem aufgehäuften
Stoffe; ſie ſtrebt darnach, die Wechſelbeziehungen der verſchie¬
denen Völkerracen und Einzelvölker der alten Welt zu ent¬
räthſeln; ſie ſucht eine allgemeine Geſchichte der Religion, der
Cultur, der Kunſt, der Schrift im Alterthume zu begründen,
und von den großen Erweiterungen der hiſtoriſchen Kenntniß
bleiben auch ſelbſt die engſten Fachſtudien des Philologen nicht
unberührt. Schon können die Keilſchriften auf dem heiligen
Berge an der Oſtgränze Aſſyriens benutzt werden, um den
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Wenn alſo das Intereſſe, das im Kreiſe der Univerſitäts¬
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/34>, abgerufen am 17.02.2025.
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