Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die patriotische Pflicht der Parteinahme. Er beugt den Adel, er fördert Handel und Gewerbe, er ziehtdas Landvolk in die Mauern herein. Das städtische Leben blüht auf, mit ihm das Festwesen und die Kunst. Aber der Volksführer wird der Volkssache untreu; er sucht nur eignen Vortheil und strebt, von Söldnern umgeben, nach dynastischer Gewalt. Bald steht Alles gegen ihn; der freisinnige Adel verbündet sich mit dem Volke und nach dem Sturze der Ge¬ waltherrschaft sucht man den Staat der Herrschaft einzelner Stände und Parteien auf immer zu entziehen, durch geschriebene Rechtsnormen jeder Willkür vorzubeugen und das Gesetz zur Herrschaft zu bringen. Nun ist die Idee des hellenischen Staats verwirklicht, Wenn nun Solon seine Mitbürger kannte, wenn er die 21*
Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme. Er beugt den Adel, er fördert Handel und Gewerbe, er ziehtdas Landvolk in die Mauern herein. Das ſtädtiſche Leben blüht auf, mit ihm das Feſtweſen und die Kunſt. Aber der Volksführer wird der Volksſache untreu; er ſucht nur eignen Vortheil und ſtrebt, von Söldnern umgeben, nach dynaſtiſcher Gewalt. Bald ſteht Alles gegen ihn; der freiſinnige Adel verbündet ſich mit dem Volke und nach dem Sturze der Ge¬ waltherrſchaft ſucht man den Staat der Herrſchaft einzelner Stände und Parteien auf immer zu entziehen, durch geſchriebene Rechtsnormen jeder Willkür vorzubeugen und das Geſetz zur Herrſchaft zu bringen. Nun iſt die Idee des helleniſchen Staats verwirklicht, Wenn nun Solon ſeine Mitbürger kannte, wenn er die 21*
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Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.
Er beugt den Adel, er fördert Handel und Gewerbe, er zieht
das Landvolk in die Mauern herein. Das ſtädtiſche Leben
blüht auf, mit ihm das Feſtweſen und die Kunſt. Aber der
Volksführer wird der Volksſache untreu; er ſucht nur eignen
Vortheil und ſtrebt, von Söldnern umgeben, nach dynaſtiſcher
Gewalt. Bald ſteht Alles gegen ihn; der freiſinnige Adel
verbündet ſich mit dem Volke und nach dem Sturze der Ge¬
waltherrſchaft ſucht man den Staat der Herrſchaft einzelner
Stände und Parteien auf immer zu entziehen, durch geſchriebene
Rechtsnormen jeder Willkür vorzubeugen und das Geſetz zur
Herrſchaft zu bringen.
Nun iſt die Idee des helleniſchen Staats verwirklicht,
aber damit iſt keine Ruhe gewonnen, kein Abſchluß erreicht.
Auf Grund voller Rechtsgleichheit betheiligt ſich nun Alles am
öffentlichen Leben; alle Fragen der inneren und äußeren Po¬
litik werden zur Parteiſache, und der Parteikampf wird im
Oſtrakismos geſetzlich organiſirt. Eine Partei nach der anderen
bringt ihren Führer an das Ruder und die volle Demokratie,
welche in keinem anderen Orte als in Athen eine Zeitlang
mit Ehren beſtanden hat, bewährte ſich nur dadurch, daß ſie
es möglich machte, durch freien Parteikampf die wahrhaft be¬
deutendſten Männer an die Spitze des Staats zu bringen.
Der Letzte war Demoſthenes. Der Parteigeiſt überdauerte
aber die politiſche Geſchichte Athens. Er ging auf andere
Gebiete über, er lebte fort in den geiſtigen Gemeinden der
Philoſophen, ähnlich wie in Rom die Juriſtenſchulen an die
Stelle der politiſchen Gegenſätze traten. Noch in Byzanz fin¬
den wir die Nachklänge jener volksthümlichen Bewegung; die
Parteien der Rennbahn ſind die letzten Ausläufer und zugleich
die klägliche Parodie jener Gegenſätze, in welchen ſich das
Leben des helleniſchen Volks von Anfang an bewegt hat.
Wenn nun Solon ſeine Mitbürger kannte, wenn er die
geiſtigen Triebe in ihnen nicht binden, ſondern löſen und ent¬
falten wollte, wenn er ſeine Verfaſſung als ein Werk anſah,
das im Kampfe der Gegenſätze ſich bewähren und fortbilden
ſollte: ſo konnte er freilich keinen Bürger leiden, der ſich dieſem
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