in voller Blüthe steht. Dies sind die Lichtpunkte und Sonnen¬ tage der Geschichte, deren Vergegenwärtigung unser Herz er¬ freut, und bei festlichen Anlässen ist es wohl vergönnt, bei solchen Zeiten anschauend zu verweilen. So lassen Sie uns heute einen Abschnitt dieser Art in das Auge fassen, und zwar den Höhenpunkt der attischen Geschichte; lassen Sie uns das Glück des perikleischen Athens in der Weise prüfen, daß wir daran erkennen, welche Züge es vorzugsweise sind, die uns berechtigen, einer Zeit den Namen einer großen und glück¬ lichen zu geben.
Um das Glück einer Zeit zu bestimmen, bedarf es vor Allem eines Maßstabs, und dieser ist kein unmittelbar ge¬ gebener. Denn so sehr die Menschen alle darin einverstanden sind, daß sie glücklich sein wollen, so weit sind sie in der Be¬ stimmung dessen, was sie Glück nennen, von jeher aus einander gegangen und noch heute pflegt jedes Lebensalter, jede Bil¬ dungsstufe, ja, jede Menschennatur ein anderes Ideal zu haben. Die Meisten haben freilich immer das Wesen des Glücks darin gefunden, daß es etwas außerhalb aller Berechnung Liegendes und von der Thätigkeit des Menschen durchaus Unabhängiges sei; die Weisen des Alterthums haben uns aber schon einen anderen Standpunkt kennen gelehrt. Sie haben erkannt, daß das, was alle Menschenseelen nach ihrem innersten Naturtriebe erstreben, unmöglich etwas Derartiges sein könne, was ein¬ zelnen Begünstigten durch Zufall in den Schoß falle und eben so leicht dem Besitzer wieder abhanden komme. Es könne dasselbe vielmehr nichts Anderes sein, als die Verwirklichung dessen, worauf die menschliche Natur angelegt sei, die Erfüllung ihrer sittlichen Zwecke. So haben die Griechen den Begriff des Glücks der Sphäre des Zufälligen entrückt und ihn, als den des höchsten Gutes, kühn und sicher in die Mitte ihrer Sittenlehre gestellt; sie haben die Begriffe von Tugend und Glück unzertrennlich mit einander verbunden. Auf diesem Standpunkte sehen wir Solon dem eitlen Lyderkönige gegen¬ über stehen und mit ihm sind die größten Philosophen des Alterthums bis Aristoteles hinauf im Einklange geblieben.
Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.
in voller Blüthe ſteht. Dies ſind die Lichtpunkte und Sonnen¬ tage der Geſchichte, deren Vergegenwärtigung unſer Herz er¬ freut, und bei feſtlichen Anläſſen iſt es wohl vergönnt, bei ſolchen Zeiten anſchauend zu verweilen. So laſſen Sie uns heute einen Abſchnitt dieſer Art in das Auge faſſen, und zwar den Höhenpunkt der attiſchen Geſchichte; laſſen Sie uns das Glück des perikleiſchen Athens in der Weiſe prüfen, daß wir daran erkennen, welche Züge es vorzugsweiſe ſind, die uns berechtigen, einer Zeit den Namen einer großen und glück¬ lichen zu geben.
Um das Glück einer Zeit zu beſtimmen, bedarf es vor Allem eines Maßſtabs, und dieſer iſt kein unmittelbar ge¬ gebener. Denn ſo ſehr die Menſchen alle darin einverſtanden ſind, daß ſie glücklich ſein wollen, ſo weit ſind ſie in der Be¬ ſtimmung deſſen, was ſie Glück nennen, von jeher aus einander gegangen und noch heute pflegt jedes Lebensalter, jede Bil¬ dungsſtufe, ja, jede Menſchennatur ein anderes Ideal zu haben. Die Meiſten haben freilich immer das Weſen des Glücks darin gefunden, daß es etwas außerhalb aller Berechnung Liegendes und von der Thätigkeit des Menſchen durchaus Unabhängiges ſei; die Weiſen des Alterthums haben uns aber ſchon einen anderen Standpunkt kennen gelehrt. Sie haben erkannt, daß das, was alle Menſchenſeelen nach ihrem innerſten Naturtriebe erſtreben, unmöglich etwas Derartiges ſein könne, was ein¬ zelnen Begünſtigten durch Zufall in den Schoß falle und eben ſo leicht dem Beſitzer wieder abhanden komme. Es könne daſſelbe vielmehr nichts Anderes ſein, als die Verwirklichung deſſen, worauf die menſchliche Natur angelegt ſei, die Erfüllung ihrer ſittlichen Zwecke. So haben die Griechen den Begriff des Glücks der Sphäre des Zufälligen entrückt und ihn, als den des höchſten Gutes, kühn und ſicher in die Mitte ihrer Sittenlehre geſtellt; ſie haben die Begriffe von Tugend und Glück unzertrennlich mit einander verbunden. Auf dieſem Standpunkte ſehen wir Solon dem eitlen Lyderkönige gegen¬ über ſtehen und mit ihm ſind die größten Philoſophen des Alterthums bis Ariſtoteles hinauf im Einklange geblieben.
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Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.
in voller Blüthe ſteht. Dies ſind die Lichtpunkte und Sonnen¬
tage der Geſchichte, deren Vergegenwärtigung unſer Herz er¬
freut, und bei feſtlichen Anläſſen iſt es wohl vergönnt, bei
ſolchen Zeiten anſchauend zu verweilen. So laſſen Sie uns
heute einen Abſchnitt dieſer Art in das Auge faſſen, und zwar
den Höhenpunkt der attiſchen Geſchichte; laſſen Sie uns das
Glück des perikleiſchen Athens in der Weiſe prüfen, daß wir
daran erkennen, welche Züge es vorzugsweiſe ſind, die uns
berechtigen, einer Zeit den Namen einer großen und glück¬
lichen zu geben.
Um das Glück einer Zeit zu beſtimmen, bedarf es vor
Allem eines Maßſtabs, und dieſer iſt kein unmittelbar ge¬
gebener. Denn ſo ſehr die Menſchen alle darin einverſtanden
ſind, daß ſie glücklich ſein wollen, ſo weit ſind ſie in der Be¬
ſtimmung deſſen, was ſie Glück nennen, von jeher aus einander
gegangen und noch heute pflegt jedes Lebensalter, jede Bil¬
dungsſtufe, ja, jede Menſchennatur ein anderes Ideal zu haben.
Die Meiſten haben freilich immer das Weſen des Glücks darin
gefunden, daß es etwas außerhalb aller Berechnung Liegendes
und von der Thätigkeit des Menſchen durchaus Unabhängiges
ſei; die Weiſen des Alterthums haben uns aber ſchon einen
anderen Standpunkt kennen gelehrt. Sie haben erkannt, daß
das, was alle Menſchenſeelen nach ihrem innerſten Naturtriebe
erſtreben, unmöglich etwas Derartiges ſein könne, was ein¬
zelnen Begünſtigten durch Zufall in den Schoß falle und eben
ſo leicht dem Beſitzer wieder abhanden komme. Es könne
daſſelbe vielmehr nichts Anderes ſein, als die Verwirklichung
deſſen, worauf die menſchliche Natur angelegt ſei, die Erfüllung
ihrer ſittlichen Zwecke. So haben die Griechen den Begriff
des Glücks der Sphäre des Zufälligen entrückt und ihn, als
den des höchſten Gutes, kühn und ſicher in die Mitte ihrer
Sittenlehre geſtellt; ſie haben die Begriffe von Tugend und
Glück unzertrennlich mit einander verbunden. Auf dieſem
Standpunkte ſehen wir Solon dem eitlen Lyderkönige gegen¬
über ſtehen und mit ihm ſind die größten Philoſophen des
Alterthums bis Ariſtoteles hinauf im Einklange geblieben.
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/319>, abgerufen am 03.07.2024.
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