punkt der weiteren Geschichte in Philippos und macht ihn zur Hauptperson seines Geschichtswerks.
Dann folgen die Griechen einerseits dem Zuge Alexander's und beginnen ihre Arbeit im hellenischen Morgenlande, indem sie die Archive desselben öffnen, die Schätze der dort gesam¬ melten Weisheit verwerthen und im griechischen Sinne phöni¬ kische, babylonische, ägyptische, indische Geschichte bearbeiten, andererseits behandeln sie die eigene Volksgeschichte in neuem Sinne. Darin können wir aber wohl mit Recht ein ganz be¬ sonderes Zeugniß für die Energie des geschichtlichen Sinnes der Hellenen erkennen, daß sie die heimathliche Staatenge¬ schichte, nachdem die Staaten ihre geschichtliche Bedeutung ein¬ gebüßt hatten, nicht bei Seite werfen und dem Reize des Neuen folgen, sondern in richtigem Verständniß des besonders reichen Inhalts ihrer Geschichte den vollendeten Entwickelungen mit gesammeltem Geiste nachdenken, und es beginnt mit diesem Nachdenken eine neue Methode geschichtlicher Betrachtung, deren Grundzüge Aristoteles entwirft. Man sichtet und ordnet die ganze Erinnerung von Jahrhunderten, man sammelt Urkunden, man ergänzt und berichtigt die Ueberlieferung, man gruppirt und beurtheilt die verschiedenartigen Verfassungen, beobachtet die Uebergänge und Entartungen und sucht gleichsam eine Physiologie des Gemeindelebens in gesunden und kranken Zu¬ ständen zu entwerfen. Alles wird herangezogen: die Volks¬ gebräuche, die Sprache, die Sprichwörter, und so entwickelt sich aus dieser rückwärts gewendeten Betrachtung in der Schule des Aristoteles eine wissenschaftliche Culturgeschichte, wie sie kein anderes Volk von seiner eigenen Vergangenheit besitzt. Die ethische Behandlung der Geschichte, nach welcher der griechische Geist von Anfang an gestrebt hat, wird jetzt im Sinne strenger Wissenschaft vollzogen, Philosophie mit Ge¬ schichte in die rechte Verbindung gesetzt und ein Schatz von historischer Erkenntniß zusammengetragen, dessen trümmerhafte Ueberreste noch heute eine unerschöpfliche Quelle politischer Belehrung sind.
Es haben aber die Hellenen mit dieser Ernte nicht ab¬
Der hiſtoriſche Sinn der Griechen.
punkt der weiteren Geſchichte in Philippos und macht ihn zur Hauptperſon ſeines Geſchichtswerks.
Dann folgen die Griechen einerſeits dem Zuge Alexander's und beginnen ihre Arbeit im helleniſchen Morgenlande, indem ſie die Archive deſſelben öffnen, die Schätze der dort geſam¬ melten Weisheit verwerthen und im griechiſchen Sinne phöni¬ kiſche, babyloniſche, ägyptiſche, indiſche Geſchichte bearbeiten, andererſeits behandeln ſie die eigene Volksgeſchichte in neuem Sinne. Darin können wir aber wohl mit Recht ein ganz be¬ ſonderes Zeugniß für die Energie des geſchichtlichen Sinnes der Hellenen erkennen, daß ſie die heimathliche Staatenge¬ ſchichte, nachdem die Staaten ihre geſchichtliche Bedeutung ein¬ gebüßt hatten, nicht bei Seite werfen und dem Reize des Neuen folgen, ſondern in richtigem Verſtändniß des beſonders reichen Inhalts ihrer Geſchichte den vollendeten Entwickelungen mit geſammeltem Geiſte nachdenken, und es beginnt mit dieſem Nachdenken eine neue Methode geſchichtlicher Betrachtung, deren Grundzüge Ariſtoteles entwirft. Man ſichtet und ordnet die ganze Erinnerung von Jahrhunderten, man ſammelt Urkunden, man ergänzt und berichtigt die Ueberlieferung, man gruppirt und beurtheilt die verſchiedenartigen Verfaſſungen, beobachtet die Uebergänge und Entartungen und ſucht gleichſam eine Phyſiologie des Gemeindelebens in geſunden und kranken Zu¬ ſtänden zu entwerfen. Alles wird herangezogen: die Volks¬ gebräuche, die Sprache, die Sprichwörter, und ſo entwickelt ſich aus dieſer rückwärts gewendeten Betrachtung in der Schule des Ariſtoteles eine wiſſenſchaftliche Culturgeſchichte, wie ſie kein anderes Volk von ſeiner eigenen Vergangenheit beſitzt. Die ethiſche Behandlung der Geſchichte, nach welcher der griechiſche Geiſt von Anfang an geſtrebt hat, wird jetzt im Sinne ſtrenger Wiſſenſchaft vollzogen, Philoſophie mit Ge¬ ſchichte in die rechte Verbindung geſetzt und ein Schatz von hiſtoriſcher Erkenntniß zuſammengetragen, deſſen trümmerhafte Ueberreſte noch heute eine unerſchöpfliche Quelle politiſcher Belehrung ſind.
Es haben aber die Hellenen mit dieſer Ernte nicht ab¬
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Der hiſtoriſche Sinn der Griechen.
punkt der weiteren Geſchichte in Philippos und macht ihn
zur Hauptperſon ſeines Geſchichtswerks.
Dann folgen die Griechen einerſeits dem Zuge Alexander's
und beginnen ihre Arbeit im helleniſchen Morgenlande, indem
ſie die Archive deſſelben öffnen, die Schätze der dort geſam¬
melten Weisheit verwerthen und im griechiſchen Sinne phöni¬
kiſche, babyloniſche, ägyptiſche, indiſche Geſchichte bearbeiten,
andererſeits behandeln ſie die eigene Volksgeſchichte in neuem
Sinne. Darin können wir aber wohl mit Recht ein ganz be¬
ſonderes Zeugniß für die Energie des geſchichtlichen Sinnes
der Hellenen erkennen, daß ſie die heimathliche Staatenge¬
ſchichte, nachdem die Staaten ihre geſchichtliche Bedeutung ein¬
gebüßt hatten, nicht bei Seite werfen und dem Reize des
Neuen folgen, ſondern in richtigem Verſtändniß des beſonders
reichen Inhalts ihrer Geſchichte den vollendeten Entwickelungen
mit geſammeltem Geiſte nachdenken, und es beginnt mit dieſem
Nachdenken eine neue Methode geſchichtlicher Betrachtung, deren
Grundzüge Ariſtoteles entwirft. Man ſichtet und ordnet die
ganze Erinnerung von Jahrhunderten, man ſammelt Urkunden,
man ergänzt und berichtigt die Ueberlieferung, man gruppirt
und beurtheilt die verſchiedenartigen Verfaſſungen, beobachtet
die Uebergänge und Entartungen und ſucht gleichſam eine
Phyſiologie des Gemeindelebens in geſunden und kranken Zu¬
ſtänden zu entwerfen. Alles wird herangezogen: die Volks¬
gebräuche, die Sprache, die Sprichwörter, und ſo entwickelt
ſich aus dieſer rückwärts gewendeten Betrachtung in der Schule
des Ariſtoteles eine wiſſenſchaftliche Culturgeſchichte, wie ſie
kein anderes Volk von ſeiner eigenen Vergangenheit beſitzt.
Die ethiſche Behandlung der Geſchichte, nach welcher der
griechiſche Geiſt von Anfang an geſtrebt hat, wird jetzt im
Sinne ſtrenger Wiſſenſchaft vollzogen, Philoſophie mit Ge¬
ſchichte in die rechte Verbindung geſetzt und ein Schatz von
hiſtoriſcher Erkenntniß zuſammengetragen, deſſen trümmerhafte
Ueberreſte noch heute eine unerſchöpfliche Quelle politiſcher
Belehrung ſind.
Es haben aber die Hellenen mit dieſer Ernte nicht ab¬
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/300>, abgerufen am 23.11.2024.
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