Das heutige Fest richtet unsern Blick auf die Ziele der Wissenschaft, deren gemeinsamer Dienst das Band ist, welches uns zu einer geistigen Genossenschaft vereinigt. Denn indem die Preise vertheilt und die neuen Aufgaben verkündigt werden, an denen die Jugend ihre Kräfte üben soll, werden auch die Lehrer unwillkürlich an die Aufgaben erinnert, welche sich ein Jeder in seinem Fache für seine Forschung ausgewählt hat. Diese Aufgaben sind aber nur scheinbar der Wahl des Einzelnen anheimgegeben. Denn wie nach dem Sprichworte ein Tag den andern lehrt, so stellt auch ein Tag dem anderen neue Fragen und die Universitäten sind vorzugsweise berufen, dieselben zum klaren Bewußtsein zu bringen. Für die geschichtliche Forschung giebt es jetzt aber kaum eine Frage von allgemeinerem Interesse, als die nach dem geistigen Zusammenhange unter den Völkern der alten Welt. Denn mit den großen Entdeckungen auf dem Gebiete ältester Menschengeschichte, welche unserer Zeit vorbe¬ halten waren, ist der Begriff des Alterthums selbst ein wesent¬ lich anderer für uns geworden; wo man sonst von vorn an¬ fangen zu können glaubte, sieht man sich jetzt in der Mitte vielseitiger Beziehungen, welche in frühere Zeiten und ältere Staaten zurückweisen, und der menschliche Geist kann nicht anders, als mit steigender Wißbegierde diesen neu eröffneten Bahnen nachgehen.
XV. Wort und Schrift.
Das heutige Feſt richtet unſern Blick auf die Ziele der Wiſſenſchaft, deren gemeinſamer Dienſt das Band iſt, welches uns zu einer geiſtigen Genoſſenſchaft vereinigt. Denn indem die Preiſe vertheilt und die neuen Aufgaben verkündigt werden, an denen die Jugend ihre Kräfte üben ſoll, werden auch die Lehrer unwillkürlich an die Aufgaben erinnert, welche ſich ein Jeder in ſeinem Fache für ſeine Forſchung ausgewählt hat. Dieſe Aufgaben ſind aber nur ſcheinbar der Wahl des Einzelnen anheimgegeben. Denn wie nach dem Sprichworte ein Tag den andern lehrt, ſo ſtellt auch ein Tag dem anderen neue Fragen und die Univerſitäten ſind vorzugsweiſe berufen, dieſelben zum klaren Bewußtſein zu bringen. Für die geſchichtliche Forſchung giebt es jetzt aber kaum eine Frage von allgemeinerem Intereſſe, als die nach dem geiſtigen Zuſammenhange unter den Völkern der alten Welt. Denn mit den großen Entdeckungen auf dem Gebiete älteſter Menſchengeſchichte, welche unſerer Zeit vorbe¬ halten waren, iſt der Begriff des Alterthums ſelbſt ein weſent¬ lich anderer für uns geworden; wo man ſonſt von vorn an¬ fangen zu können glaubte, ſieht man ſich jetzt in der Mitte vielſeitiger Beziehungen, welche in frühere Zeiten und ältere Staaten zurückweiſen, und der menſchliche Geiſt kann nicht anders, als mit ſteigender Wißbegierde dieſen neu eröffneten Bahnen nachgehen.
<TEI><text><body><pbfacs="#f0267"/><divn="1"><head><hirendition="#aq">XV.</hi><lb/><hirendition="#b">Wort und Schrift.</hi><lb/></head><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Das heutige Feſt richtet unſern Blick auf die Ziele der<lb/>
Wiſſenſchaft, deren gemeinſamer Dienſt das Band iſt, welches<lb/>
uns zu einer geiſtigen Genoſſenſchaft vereinigt. Denn indem die<lb/>
Preiſe vertheilt und die neuen Aufgaben verkündigt werden,<lb/>
an denen die Jugend ihre Kräfte üben ſoll, werden auch die<lb/>
Lehrer unwillkürlich an die Aufgaben erinnert, welche ſich ein<lb/>
Jeder in ſeinem Fache für ſeine Forſchung ausgewählt hat.<lb/>
Dieſe Aufgaben ſind aber nur ſcheinbar der Wahl des Einzelnen<lb/>
anheimgegeben. Denn wie nach dem Sprichworte ein Tag den<lb/>
andern lehrt, ſo ſtellt auch ein Tag dem anderen neue Fragen<lb/>
und die Univerſitäten ſind vorzugsweiſe berufen, dieſelben zum<lb/>
klaren Bewußtſein zu bringen. Für die geſchichtliche Forſchung<lb/>
giebt es jetzt aber kaum eine Frage von allgemeinerem Intereſſe,<lb/>
als die nach dem geiſtigen Zuſammenhange unter den Völkern<lb/>
der alten Welt. Denn mit den großen Entdeckungen auf dem<lb/>
Gebiete älteſter Menſchengeſchichte, welche unſerer Zeit vorbe¬<lb/>
halten waren, iſt der Begriff des Alterthums ſelbſt ein weſent¬<lb/>
lich anderer für uns geworden; wo man ſonſt von vorn an¬<lb/>
fangen zu können glaubte, ſieht man ſich jetzt in der Mitte<lb/>
vielſeitiger Beziehungen, welche in frühere Zeiten und ältere<lb/>
Staaten zurückweiſen, und der menſchliche Geiſt kann nicht<lb/>
anders, als mit ſteigender Wißbegierde dieſen neu eröffneten<lb/>
Bahnen nachgehen.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[0267]
XV.
Wort und Schrift.
Das heutige Feſt richtet unſern Blick auf die Ziele der
Wiſſenſchaft, deren gemeinſamer Dienſt das Band iſt, welches
uns zu einer geiſtigen Genoſſenſchaft vereinigt. Denn indem die
Preiſe vertheilt und die neuen Aufgaben verkündigt werden,
an denen die Jugend ihre Kräfte üben ſoll, werden auch die
Lehrer unwillkürlich an die Aufgaben erinnert, welche ſich ein
Jeder in ſeinem Fache für ſeine Forſchung ausgewählt hat.
Dieſe Aufgaben ſind aber nur ſcheinbar der Wahl des Einzelnen
anheimgegeben. Denn wie nach dem Sprichworte ein Tag den
andern lehrt, ſo ſtellt auch ein Tag dem anderen neue Fragen
und die Univerſitäten ſind vorzugsweiſe berufen, dieſelben zum
klaren Bewußtſein zu bringen. Für die geſchichtliche Forſchung
giebt es jetzt aber kaum eine Frage von allgemeinerem Intereſſe,
als die nach dem geiſtigen Zuſammenhange unter den Völkern
der alten Welt. Denn mit den großen Entdeckungen auf dem
Gebiete älteſter Menſchengeſchichte, welche unſerer Zeit vorbe¬
halten waren, iſt der Begriff des Alterthums ſelbſt ein weſent¬
lich anderer für uns geworden; wo man ſonſt von vorn an¬
fangen zu können glaubte, ſieht man ſich jetzt in der Mitte
vielſeitiger Beziehungen, welche in frühere Zeiten und ältere
Staaten zurückweiſen, und der menſchliche Geiſt kann nicht
anders, als mit ſteigender Wißbegierde dieſen neu eröffneten
Bahnen nachgehen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/267>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.