stadt nicht verantworten zu können, wenn er den knechtischen Gruß leistete.
Die Griechen haben sich auch in diesem Punkte nicht auf einmal vom Orient und seinen Sitten frei gemacht. Dachte man sich doch das alte homerische Königthum noch mit üppiger Pracht umkleidet und ließ Agamemnon auf Purpurteppichen in seinen Palast schreiten. Erst allmählich sonderten sich die beiden Welten und im Gegensatze zu dem überschwänglichen Wesen des Orients trat auf allen Gebieten des öffentlichen und häuslichen Lebens das Einfache, Maßvolle und Vernünf¬ tige ein, wodurch sich das Hellenische vom Barbarischen unter¬ scheidet. So auch im Gruß, und bei keinem Volke hat ein schlichter Gruß als nationales Symbol und charakteristisches Kennzeichen des Volks sich so glücklich ausgebildet und festge¬ stellt, wie bei den Hellenen.
Grüße dieser Art sind unübersetzbar. Das fühlen wir gleich, wenn am Eingange von Briefen ein "Freude zuvor" die Stelle des "Chaire" vertritt, dessen leichte Anmuth, der Charis verwandt, in fremder Zunge unerreichbar ist.
Und was ist der Sinn des Spruchs? Nicht Sinnenlust und üppiger Genuß, sondern harmlose Freude an allem Guten und Schönen, womit die Götter die Menschen gesegnet haben, dankbares Wohlbehagen an der Welt, in welcher das Volk sich glücklich fühlte.
Darum ist das "Freue dich" der Wahlspruch, mit dem es ganz verwachsen ist, die von allen besonderen Anlässen un¬ abhängige, allgemeine Ansprache, der fröhliche Wechselgruß auf Straßen und Plätzen, der lebendige Ausdruck einer hei¬ teren Lebensgemeinschaft, wie ihn Herodot in den Städten des Orients vermißte. Denn wo Despotie und kastenmäßige Scheidung der Stände herrscht, muß trüber Ernst, Mißtrauen und Furcht wie eine schwere Wolke auf dem Leben lasten.
Die Griechen sind die Ersten gewesen, welche Freundschaft und brüderlichen Sinn als die Grundbedingung jedes Gemein¬ wesens erkannt haben. Daraus ergiebt sich die Theilnahme an des Nächsten Wohlergehen, das Bewußtsein einer familien¬
Der Gruß.
ſtadt nicht verantworten zu können, wenn er den knechtiſchen Gruß leiſtete.
Die Griechen haben ſich auch in dieſem Punkte nicht auf einmal vom Orient und ſeinen Sitten frei gemacht. Dachte man ſich doch das alte homeriſche Königthum noch mit üppiger Pracht umkleidet und ließ Agamemnon auf Purpurteppichen in ſeinen Palaſt ſchreiten. Erſt allmählich ſonderten ſich die beiden Welten und im Gegenſatze zu dem überſchwänglichen Weſen des Orients trat auf allen Gebieten des öffentlichen und häuslichen Lebens das Einfache, Maßvolle und Vernünf¬ tige ein, wodurch ſich das Helleniſche vom Barbariſchen unter¬ ſcheidet. So auch im Gruß, und bei keinem Volke hat ein ſchlichter Gruß als nationales Symbol und charakteriſtiſches Kennzeichen des Volks ſich ſo glücklich ausgebildet und feſtge¬ ſtellt, wie bei den Hellenen.
Grüße dieſer Art ſind unüberſetzbar. Das fühlen wir gleich, wenn am Eingange von Briefen ein »Freude zuvor« die Stelle des »Chaire« vertritt, deſſen leichte Anmuth, der Charis verwandt, in fremder Zunge unerreichbar iſt.
Und was iſt der Sinn des Spruchs? Nicht Sinnenluſt und üppiger Genuß, ſondern harmloſe Freude an allem Guten und Schönen, womit die Götter die Menſchen geſegnet haben, dankbares Wohlbehagen an der Welt, in welcher das Volk ſich glücklich fühlte.
Darum iſt das »Freue dich« der Wahlſpruch, mit dem es ganz verwachſen iſt, die von allen beſonderen Anläſſen un¬ abhängige, allgemeine Anſprache, der fröhliche Wechſelgruß auf Straßen und Plätzen, der lebendige Ausdruck einer hei¬ teren Lebensgemeinſchaft, wie ihn Herodot in den Städten des Orients vermißte. Denn wo Despotie und kaſtenmäßige Scheidung der Stände herrſcht, muß trüber Ernſt, Mißtrauen und Furcht wie eine ſchwere Wolke auf dem Leben laſten.
Die Griechen ſind die Erſten geweſen, welche Freundſchaft und brüderlichen Sinn als die Grundbedingung jedes Gemein¬ weſens erkannt haben. Daraus ergiebt ſich die Theilnahme an des Nächſten Wohlergehen, das Bewußtſein einer familien¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0255"n="239"/><fwplace="top"type="header">Der Gruß.<lb/></fw>ſtadt nicht verantworten zu können, wenn er den knechtiſchen<lb/>
Gruß leiſtete.</p><lb/><p>Die Griechen haben ſich auch in dieſem Punkte nicht auf<lb/>
einmal vom Orient und ſeinen Sitten frei gemacht. Dachte<lb/>
man ſich doch das alte homeriſche Königthum noch mit üppiger<lb/>
Pracht umkleidet und ließ Agamemnon auf Purpurteppichen<lb/>
in ſeinen Palaſt ſchreiten. Erſt allmählich ſonderten ſich die<lb/>
beiden Welten und im Gegenſatze zu dem überſchwänglichen<lb/>
Weſen des Orients trat auf allen Gebieten des öffentlichen<lb/>
und häuslichen Lebens das Einfache, Maßvolle und Vernünf¬<lb/>
tige ein, wodurch ſich das Helleniſche vom Barbariſchen unter¬<lb/>ſcheidet. So auch im Gruß, und bei keinem Volke hat ein<lb/>ſchlichter Gruß als nationales Symbol und charakteriſtiſches<lb/>
Kennzeichen des Volks ſich ſo glücklich ausgebildet und feſtge¬<lb/>ſtellt, wie bei den Hellenen.</p><lb/><p>Grüße dieſer Art ſind unüberſetzbar. Das fühlen wir<lb/>
gleich, wenn am Eingange von Briefen ein »Freude zuvor«<lb/>
die Stelle des »Chaire« vertritt, deſſen leichte Anmuth, der<lb/>
Charis verwandt, in fremder Zunge unerreichbar iſt.</p><lb/><p>Und was iſt der Sinn des Spruchs? Nicht Sinnenluſt<lb/>
und üppiger Genuß, ſondern harmloſe Freude an allem Guten<lb/>
und Schönen, womit die Götter die Menſchen geſegnet haben,<lb/>
dankbares Wohlbehagen an der Welt, in welcher das Volk<lb/>ſich glücklich fühlte.</p><lb/><p>Darum iſt das »Freue dich« der Wahlſpruch, mit dem<lb/>
es ganz verwachſen iſt, die von allen beſonderen Anläſſen un¬<lb/>
abhängige, allgemeine Anſprache, der fröhliche Wechſelgruß<lb/>
auf Straßen und Plätzen, der lebendige Ausdruck einer hei¬<lb/>
teren Lebensgemeinſchaft, wie ihn Herodot in den Städten<lb/>
des Orients vermißte. Denn wo Despotie und kaſtenmäßige<lb/>
Scheidung der Stände herrſcht, muß trüber Ernſt, Mißtrauen<lb/>
und Furcht wie eine ſchwere Wolke auf dem Leben laſten.</p><lb/><p>Die Griechen ſind die Erſten geweſen, welche Freundſchaft<lb/>
und brüderlichen Sinn als die Grundbedingung jedes Gemein¬<lb/>
weſens erkannt haben. Daraus ergiebt ſich die Theilnahme<lb/>
an des Nächſten Wohlergehen, das Bewußtſein einer familien¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[239/0255]
Der Gruß.
ſtadt nicht verantworten zu können, wenn er den knechtiſchen
Gruß leiſtete.
Die Griechen haben ſich auch in dieſem Punkte nicht auf
einmal vom Orient und ſeinen Sitten frei gemacht. Dachte
man ſich doch das alte homeriſche Königthum noch mit üppiger
Pracht umkleidet und ließ Agamemnon auf Purpurteppichen
in ſeinen Palaſt ſchreiten. Erſt allmählich ſonderten ſich die
beiden Welten und im Gegenſatze zu dem überſchwänglichen
Weſen des Orients trat auf allen Gebieten des öffentlichen
und häuslichen Lebens das Einfache, Maßvolle und Vernünf¬
tige ein, wodurch ſich das Helleniſche vom Barbariſchen unter¬
ſcheidet. So auch im Gruß, und bei keinem Volke hat ein
ſchlichter Gruß als nationales Symbol und charakteriſtiſches
Kennzeichen des Volks ſich ſo glücklich ausgebildet und feſtge¬
ſtellt, wie bei den Hellenen.
Grüße dieſer Art ſind unüberſetzbar. Das fühlen wir
gleich, wenn am Eingange von Briefen ein »Freude zuvor«
die Stelle des »Chaire« vertritt, deſſen leichte Anmuth, der
Charis verwandt, in fremder Zunge unerreichbar iſt.
Und was iſt der Sinn des Spruchs? Nicht Sinnenluſt
und üppiger Genuß, ſondern harmloſe Freude an allem Guten
und Schönen, womit die Götter die Menſchen geſegnet haben,
dankbares Wohlbehagen an der Welt, in welcher das Volk
ſich glücklich fühlte.
Darum iſt das »Freue dich« der Wahlſpruch, mit dem
es ganz verwachſen iſt, die von allen beſonderen Anläſſen un¬
abhängige, allgemeine Anſprache, der fröhliche Wechſelgruß
auf Straßen und Plätzen, der lebendige Ausdruck einer hei¬
teren Lebensgemeinſchaft, wie ihn Herodot in den Städten
des Orients vermißte. Denn wo Despotie und kaſtenmäßige
Scheidung der Stände herrſcht, muß trüber Ernſt, Mißtrauen
und Furcht wie eine ſchwere Wolke auf dem Leben laſten.
Die Griechen ſind die Erſten geweſen, welche Freundſchaft
und brüderlichen Sinn als die Grundbedingung jedes Gemein¬
weſens erkannt haben. Daraus ergiebt ſich die Theilnahme
an des Nächſten Wohlergehen, das Bewußtſein einer familien¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/255>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.