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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die Idee der Unsterblichkeit bei den Alten.
nen. Die ihnen Angehörenden bilden ein Volk im Volke; sie
stehen der sich selbst überlassenen Welt als die von der Eitel¬
keit derselben Erlösten, von der Todesfurcht Befreiten, als die
Begnadigten gegenüber; hier ist also eine religiöse Gemeinde,
für deren Vereine Gemeindehäuser eingerichtet werden, wie sie
sonst der hellenische Cultus nicht kannte; hier ist unstreitig etwas,
was sich dem Begriffe einer Kirche annähert, welche die Men¬
schen aus der Welt zu sich ruft mit den Verheißungen einer
nur bei ihr zu findenden Befriedigung und diese Verheißungen
ihnen durch heilige Handlungen verbürgt. Diese Aehnlichkeit
zeigt sich endlich auch darin, daß die Mysterien zwar das
nationale Leben stärkten, indem sie die Verehrung der vater¬
ländischen Götter ihren Genossen einschärften, andererseits
aber auch über die nationalen Gränzen und Schranken hinaus¬
gingen. Denn da es ein allgemein menschliches Interesse war,
welches jene Anstalten vertraten, so wurde frühzeitig auch
Nichtgriechen die Aufnahme gestattet, während die Tempel der
Landesgottheiten den Angehörigen fremder Stämme unzugäng¬
lich blieben.

Wenn also hier im Gegensatze zu dem ausschließenden
Charakter der alten Religionen eine gewisse Verbrüderung der
Stämme vorbereitet wurde, so erklärt sich auch, wie gerade
bei dem, was die Mysterien lehrten, ein lebhafter Austausch
einheimischer und fremder Ueberlieferungen stattgefunden hat,
und der Eifer, mit welchem die Griechen den Lehren anderer
Völker nachgingen, aus denen sie ihre eignen Unsterblichkeits¬
hoffnungen ergänzen und stärken konnten, zeigt wiederum, wie
tief das Bedürfniß derselben in ihrem Herzen wurzelte. Aegypten
war hier von besonderer Bedeutung. Denn der Glaube an die
göttliche Herkunft, die unzerstörbare Natur und die persönliche
Verantwortlichkeit der Menschenseele war ein fester Besitz des
ägyptischen Volksbewußtseins, und der tiefe Ernst, mit welchem
die Aegypter an diesem Glauben festhielten, so wie die be¬
wunderungswürdige Energie, mit welcher sie die Sorge für
die Todten zu einer ihrer wichtigsten Lebensaufgaben machten,
konnten ihren Eindruck auf die Griechen nicht verfehlen. Sie

Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten.
nen. Die ihnen Angehörenden bilden ein Volk im Volke; ſie
ſtehen der ſich ſelbſt überlaſſenen Welt als die von der Eitel¬
keit derſelben Erlöſten, von der Todesfurcht Befreiten, als die
Begnadigten gegenüber; hier iſt alſo eine religiöſe Gemeinde,
für deren Vereine Gemeindehäuſer eingerichtet werden, wie ſie
ſonſt der helleniſche Cultus nicht kannte; hier iſt unſtreitig etwas,
was ſich dem Begriffe einer Kirche annähert, welche die Men¬
ſchen aus der Welt zu ſich ruft mit den Verheißungen einer
nur bei ihr zu findenden Befriedigung und dieſe Verheißungen
ihnen durch heilige Handlungen verbürgt. Dieſe Aehnlichkeit
zeigt ſich endlich auch darin, daß die Myſterien zwar das
nationale Leben ſtärkten, indem ſie die Verehrung der vater¬
ländiſchen Götter ihren Genoſſen einſchärften, andererſeits
aber auch über die nationalen Gränzen und Schranken hinaus¬
gingen. Denn da es ein allgemein menſchliches Intereſſe war,
welches jene Anſtalten vertraten, ſo wurde frühzeitig auch
Nichtgriechen die Aufnahme geſtattet, während die Tempel der
Landesgottheiten den Angehörigen fremder Stämme unzugäng¬
lich blieben.

Wenn alſo hier im Gegenſatze zu dem ausſchließenden
Charakter der alten Religionen eine gewiſſe Verbrüderung der
Stämme vorbereitet wurde, ſo erklärt ſich auch, wie gerade
bei dem, was die Myſterien lehrten, ein lebhafter Auſtauſch
einheimiſcher und fremder Ueberlieferungen ſtattgefunden hat,
und der Eifer, mit welchem die Griechen den Lehren anderer
Völker nachgingen, aus denen ſie ihre eignen Unſterblichkeits¬
hoffnungen ergänzen und ſtärken konnten, zeigt wiederum, wie
tief das Bedürfniß derſelben in ihrem Herzen wurzelte. Aegypten
war hier von beſonderer Bedeutung. Denn der Glaube an die
göttliche Herkunft, die unzerſtörbare Natur und die perſönliche
Verantwortlichkeit der Menſchenſeele war ein feſter Beſitz des
ägyptiſchen Volksbewußtſeins, und der tiefe Ernſt, mit welchem
die Aegypter an dieſem Glauben feſthielten, ſo wie die be¬
wunderungswürdige Energie, mit welcher ſie die Sorge für
die Todten zu einer ihrer wichtigſten Lebensaufgaben machten,
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[231/0247] Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten. nen. Die ihnen Angehörenden bilden ein Volk im Volke; ſie ſtehen der ſich ſelbſt überlaſſenen Welt als die von der Eitel¬ keit derſelben Erlöſten, von der Todesfurcht Befreiten, als die Begnadigten gegenüber; hier iſt alſo eine religiöſe Gemeinde, für deren Vereine Gemeindehäuſer eingerichtet werden, wie ſie ſonſt der helleniſche Cultus nicht kannte; hier iſt unſtreitig etwas, was ſich dem Begriffe einer Kirche annähert, welche die Men¬ ſchen aus der Welt zu ſich ruft mit den Verheißungen einer nur bei ihr zu findenden Befriedigung und dieſe Verheißungen ihnen durch heilige Handlungen verbürgt. Dieſe Aehnlichkeit zeigt ſich endlich auch darin, daß die Myſterien zwar das nationale Leben ſtärkten, indem ſie die Verehrung der vater¬ ländiſchen Götter ihren Genoſſen einſchärften, andererſeits aber auch über die nationalen Gränzen und Schranken hinaus¬ gingen. Denn da es ein allgemein menſchliches Intereſſe war, welches jene Anſtalten vertraten, ſo wurde frühzeitig auch Nichtgriechen die Aufnahme geſtattet, während die Tempel der Landesgottheiten den Angehörigen fremder Stämme unzugäng¬ lich blieben. Wenn alſo hier im Gegenſatze zu dem ausſchließenden Charakter der alten Religionen eine gewiſſe Verbrüderung der Stämme vorbereitet wurde, ſo erklärt ſich auch, wie gerade bei dem, was die Myſterien lehrten, ein lebhafter Auſtauſch einheimiſcher und fremder Ueberlieferungen ſtattgefunden hat, und der Eifer, mit welchem die Griechen den Lehren anderer Völker nachgingen, aus denen ſie ihre eignen Unſterblichkeits¬ hoffnungen ergänzen und ſtärken konnten, zeigt wiederum, wie tief das Bedürfniß derſelben in ihrem Herzen wurzelte. Aegypten war hier von beſonderer Bedeutung. Denn der Glaube an die göttliche Herkunft, die unzerſtörbare Natur und die perſönliche Verantwortlichkeit der Menſchenſeele war ein feſter Beſitz des ägyptiſchen Volksbewußtſeins, und der tiefe Ernſt, mit welchem die Aegypter an dieſem Glauben feſthielten, ſo wie die be¬ wunderungswürdige Energie, mit welcher ſie die Sorge für die Todten zu einer ihrer wichtigſten Lebensaufgaben machten, konnten ihren Eindruck auf die Griechen nicht verfehlen. Sie

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/247>, abgerufen am 24.11.2024.