Principate gedient hatten, knüpfte Constantinus an ein neues Himmelszeichen, die in den Wolken schwebende Christusfahne, den neuen Anfang, welchen er machen wollte, und schloß da¬ mit jene lange Reihe der die Geschichte Roms begleitenden Auspicien.
Wir bewundern die Consequenz, mit welcher man die in Italien vorgefundenen Religionsgebräuche in Rom verwerthete, die Klugheit, mit welcher man sie für die Zwecke des Staats in seinen verschiedenen Formen ausbildete. Aber wir sehen auch, wie im Laufe der Geschichte das Religiöse gänzlich ent¬ heiligt und verweltlicht wurde, wie das aus tiefem Bedürfnisse der Menschenseele Hervorgegangene in einem dürren und seelen¬ losen Schematismus erstarrte. Was wir in Sparta an ein¬ zelnen Spuren erkannten, ist in Rom zu einem vollkommenen Systeme der herrschenden Regierungspolitik ausgebildet wor¬ den, und wenn auch Einzelne noch in späten Zeiten die Auspicien als etwas Althergebrachtes und Nationales mit einer gewissen Ehrerbietung betrachteten, so war doch das ganze Auguralwesen Jahrhunderte lang ein Spott aller Verständigen, und der schnöde Mißbrauch göttlicher Dinge zu einer unwür¬ digen Parteitaktik, das hohle Formwesen mit seiner heuchleri¬ schen Unwahrheit mußte jedem ernster Fühlenden widerwärtig sein und das Volk entsittlichen.
Ueberblicken wir die Völker der alten Welt, so finden wir also bei allen denselben Zug zur Beschränkung der eigenen Freiheit, dasselbe Bedürfniß, alle wichtigeren Entschlüsse von Bestimmungen abhängig zu machen, die sie außer sich suchen, dasselbe Bewußtsein der Abhängigkeit von einem höheren Willen, dessen Kenntniß für den Sterblichen von größter Bedeutung ist, damit er nicht zu seinem Schaden mit ihm in Streit ge¬ rathe. Wir finden aber zunächst einen großen Unterschied zwischen Abend- und Morgenland. Denn trotz der allmählichen Uebergänge und der vielen Verknüpfungen, welche immer mehr zu Tage treten, sind es doch zwei verschiedene Welten. In der einen herrscht eine pantheistische Anschauung, bei welcher alles Einzelne ins Ganze verschlungen wird, das Sonderleben
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Die Unfreiheit der alten Welt.
Principate gedient hatten, knüpfte Conſtantinus an ein neues Himmelszeichen, die in den Wolken ſchwebende Chriſtusfahne, den neuen Anfang, welchen er machen wollte, und ſchloß da¬ mit jene lange Reihe der die Geſchichte Roms begleitenden Auſpicien.
Wir bewundern die Conſequenz, mit welcher man die in Italien vorgefundenen Religionsgebräuche in Rom verwerthete, die Klugheit, mit welcher man ſie für die Zwecke des Staats in ſeinen verſchiedenen Formen ausbildete. Aber wir ſehen auch, wie im Laufe der Geſchichte das Religiöſe gänzlich ent¬ heiligt und verweltlicht wurde, wie das aus tiefem Bedürfniſſe der Menſchenſeele Hervorgegangene in einem dürren und ſeelen¬ loſen Schematismus erſtarrte. Was wir in Sparta an ein¬ zelnen Spuren erkannten, iſt in Rom zu einem vollkommenen Syſteme der herrſchenden Regierungspolitik ausgebildet wor¬ den, und wenn auch Einzelne noch in ſpäten Zeiten die Auſpicien als etwas Althergebrachtes und Nationales mit einer gewiſſen Ehrerbietung betrachteten, ſo war doch das ganze Auguralweſen Jahrhunderte lang ein Spott aller Verſtändigen, und der ſchnöde Mißbrauch göttlicher Dinge zu einer unwür¬ digen Parteitaktik, das hohle Formweſen mit ſeiner heuchleri¬ ſchen Unwahrheit mußte jedem ernſter Fühlenden widerwärtig ſein und das Volk entſittlichen.
Ueberblicken wir die Völker der alten Welt, ſo finden wir alſo bei allen denſelben Zug zur Beſchränkung der eigenen Freiheit, daſſelbe Bedürfniß, alle wichtigeren Entſchlüſſe von Beſtimmungen abhängig zu machen, die ſie außer ſich ſuchen, daſſelbe Bewußtſein der Abhängigkeit von einem höheren Willen, deſſen Kenntniß für den Sterblichen von größter Bedeutung iſt, damit er nicht zu ſeinem Schaden mit ihm in Streit ge¬ rathe. Wir finden aber zunächſt einen großen Unterſchied zwiſchen Abend- und Morgenland. Denn trotz der allmählichen Uebergänge und der vielen Verknüpfungen, welche immer mehr zu Tage treten, ſind es doch zwei verſchiedene Welten. In der einen herrſcht eine pantheiſtiſche Anſchauung, bei welcher alles Einzelne ins Ganze verſchlungen wird, das Sonderleben
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Die Unfreiheit der alten Welt.
Principate gedient hatten, knüpfte Conſtantinus an ein neues
Himmelszeichen, die in den Wolken ſchwebende Chriſtusfahne,
den neuen Anfang, welchen er machen wollte, und ſchloß da¬
mit jene lange Reihe der die Geſchichte Roms begleitenden
Auſpicien.
Wir bewundern die Conſequenz, mit welcher man die in
Italien vorgefundenen Religionsgebräuche in Rom verwerthete,
die Klugheit, mit welcher man ſie für die Zwecke des Staats
in ſeinen verſchiedenen Formen ausbildete. Aber wir ſehen
auch, wie im Laufe der Geſchichte das Religiöſe gänzlich ent¬
heiligt und verweltlicht wurde, wie das aus tiefem Bedürfniſſe
der Menſchenſeele Hervorgegangene in einem dürren und ſeelen¬
loſen Schematismus erſtarrte. Was wir in Sparta an ein¬
zelnen Spuren erkannten, iſt in Rom zu einem vollkommenen
Syſteme der herrſchenden Regierungspolitik ausgebildet wor¬
den, und wenn auch Einzelne noch in ſpäten Zeiten die
Auſpicien als etwas Althergebrachtes und Nationales mit einer
gewiſſen Ehrerbietung betrachteten, ſo war doch das ganze
Auguralweſen Jahrhunderte lang ein Spott aller Verſtändigen,
und der ſchnöde Mißbrauch göttlicher Dinge zu einer unwür¬
digen Parteitaktik, das hohle Formweſen mit ſeiner heuchleri¬
ſchen Unwahrheit mußte jedem ernſter Fühlenden widerwärtig
ſein und das Volk entſittlichen.
Ueberblicken wir die Völker der alten Welt, ſo finden wir
alſo bei allen denſelben Zug zur Beſchränkung der eigenen
Freiheit, daſſelbe Bedürfniß, alle wichtigeren Entſchlüſſe von
Beſtimmungen abhängig zu machen, die ſie außer ſich ſuchen,
daſſelbe Bewußtſein der Abhängigkeit von einem höheren Willen,
deſſen Kenntniß für den Sterblichen von größter Bedeutung
iſt, damit er nicht zu ſeinem Schaden mit ihm in Streit ge¬
rathe. Wir finden aber zunächſt einen großen Unterſchied
zwiſchen Abend- und Morgenland. Denn trotz der allmählichen
Uebergänge und der vielen Verknüpfungen, welche immer mehr
zu Tage treten, ſind es doch zwei verſchiedene Welten. In
der einen herrſcht eine pantheiſtiſche Anſchauung, bei welcher
alles Einzelne ins Ganze verſchlungen wird, das Sonderleben
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/195>, abgerufen am 22.07.2024.
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